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Antje Berghäuser

Dokumentarfilmerin Laura Poitras: - „Snowden hat sein Leben riskiert“

Sie ist die leise, mutige Journalistin hinter den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden: Laura Poitras. Ihr Dokumentarfilm „Citizenfour“ kommt am 6. November in die Kinos. Im Interview spricht Poitras über ihre Rolle in dem Film, über den NSA-Ausschuss und die Frage, ob sie mit ihren Henri-Nannen-Preis einschmelzen wird

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Als Laura Poitras die E-Mail in ihrem Postfach öffnet, ahnt sie noch nicht, dass sie bald den wohl größten Geheimdienstskandal der jüngeren Geschichte enthüllen würde. Der Unbekannte – er nennt sich „Citizenfour“ – verkündet, Poitras habe sich selbst ausgewählt. Die investigative Filmemacherin hatte jahrelang zur Überwachung recherchiert und war immer wieder an US-Flughäfen festgesetzt worden.

In der Dokumentation „Citizenfour“ erzählt sie nun, wie es zu der historischen Begegnung mit Edward Snowden kam. Der oscarverdächtige Film, der am 6. November bundesweit in die Kinos kommt, überrascht auch mit neuen Enthüllungen. Der Zuschauer erfährt von einem zweiten Whistleblower und sieht, dass Snowdens Lebenspartnerin Lindsay Mills jetzt mit dem Ex-Agenten in Moskau lebt. „Citizenfour“, der unter anderem von Steven Soderbergh mitproduziert wurde, ist der dritte Film einer Trilogie über die USA nach dem 11. September 2001. Für „My Country, My Country“ (2006) erhielt Poitras die Oscar-Nominierung, für „My Oath“ (2010) den Pulitzer-Preis.

 

Cicero: Frau Poitras, Edward Snowden sagt in Ihrem Film einen ganz zentralen Satz: „Ich bin hier nicht die Geschichte.“ Der NSA-Whistleblower hatte Sie und Ihren Kollegen Glenn Greenwald ausgewählt, um Details über ein bis dahin unbekanntes Überwachungssystem zu enthüllen. In „Citizenfour“ kommt der Zuschauer Snowden nun ganz nahe. Wir sehen ihn barfuß und unrasiert im Bett liegen, der Laptop mal auf seinem Schoß, mal auf seinem Kissen. Warum haben Sie letztendlich doch Edward Snowden zur Geschichte gemacht?
Laura Poitras: Lassen Sie mich ein Stück zurückgehen. Er schrieb mir erstmals im Januar 2013 anonyme E-Mails. Im Februar war ich von seiner Glaubwürdigkeit als Quelle überzeugt: Das könnten wirklich große, aber auch gefährliche Enthüllungen werden. Aber ich dachte in dieser Phase, dass er anonym bleiben und ich ihn niemals treffen würde. Das war mein Eindruck von ihm. Doch im April sagte er: „Ich werde meine Identität bekannt geben. Ich werde die Verantwortung übernehmen. Ich möchte keine massive Untersuchung lostreten, die viele unbeteiligte Leute mit hineinzieht.“ In diesem Fall, sagte ich ihm, musst du mich treffen. Mich und meine Kamera. Du solltest erklären, warum du dieses Risiko auf dich nimmst. Und seine Antwort war: „Nein, ich will nicht die Geschichte sein. Es geht nicht um mich.“ Er fürchtete, dass uns bei einem möglichen Treffen Regierungsbeamte überfallen und die Berichte stoppen könnten. Ich versicherte ihm, dass das nicht passieren würde.
Das war der Kontext – und schließlich stimmte er dem Treffen ja auch zu. Was er tat, machen nur wenige Menschen. Fast niemand würde wie Snowden sein Leben riskieren, um etwas zu enthüllen. Darum geht es für mich in seinem Porträt. In dem Film geht es nicht um seine Hintergründe, seine Kindheit. Mich hat interessiert, warum jemand alles aufgibt, nur um Informationen preiszugeben.

„Citizenfour“ ist die Geschichte eines Whistleblowers.
Ja, genau. Snowden ist der zentrale Protagonist.

Wir sehen verwackelte Bilder, immer wieder Unschärfen. Die Aufnahmen einer Handkamera. Der größte Teil der Dokumentation erinnert an ein Kammerspiel – im Hongkonger Hotel „Mira“. Warum brauchte es diese Intimität?
Snowden ist mir sympathisch, denn in gewisser Weise bin ich ihm ähnlich: Ich wollte mich bedeckt halten, wollte nicht die Story sein, obwohl ich sie jetzt bin.

„Ich bin hier nicht die Geschichte“ – das könnte genauso gut Ihr Satz sein.
Ja. Natürlich. Ich weiß, dass ich jetzt eine bin. Natürlich musste ich die Ereignisse aus einer subjektiven Perspektive erzählen. Ich war ja selbst Teilnehmerin. Deswegen bin ich im Film, ich erzähle den Film, und wir tun nicht so, als wären wir nicht da gewesen. Ich bin Teil der Geschichte.

Manche Ihrer Kritiker sagen: Der Film ist parteiisch, weil Sie die Sichtweise von Snowden übernehmen.
Es gibt viele Formen von Journalismus, die aus dem Blickwinkel der ersten Person erzählt werden. Das ist ein weiteres Beispiel dafür. Ich glaube nicht notwendigerweise, dass das parteiisch ist. Ich enthülle ja, wie diese Begegnung verlief.

Es gibt eine Debatte über journalistischen „Aktivismus“. Was ist für Sie objektiver Journalismus?
Ich benutze das Wort Aktivismus nicht für das, was ich tue. Ich verstehe mich als visuelle Journalistin. Ich filme Dinge, die in Echtzeit passieren. Da ist viel Journalismus drin: 60 Minuten dieses Films zeigen, wie sich eine Quelle mit Journalisten trifft. Es gibt genug Informationen, die dem Zuschauer eigene Schlussfolgerungen ermöglichen. Ich begreife mich wirklich nicht als Aktivistin.

Wann haben Sie das letzte Mal mit Snowden gesprochen?
Das war vor etwa einem Monat. Ich habe mit ihm und seiner Freundin Lindsay Mills den Film abgestimmt. Einige Dinge habe ich noch verändert, etwa das Geräusch des Tastaturtippens. Wir wussten ja, dass sich Geheimdienste diesen Film Bild für Bild anschauen würden.

Wieso? Kann man anhand des Tastaturgeräuschs etwas herausfinden?
Ja, daran kann man rekonstruieren, was getippt wurde. In einer bestimmten Szene war Snowden da besonders sensibel. Er machte Anmerkungen zur Sicherheit.

Wie fühlt sich Snowden in Russland angesichts der aktuellen politischen Ereignisse in der Ukraine?
Wir hatten nicht viel Zeit. Ich habe ihn weder dazu befragt noch haben wir darüber gesprochen. Ich arbeite mit ihm über die Geschichten und Dokumente, die er uns gegeben hat.

Bevor Snowden Sie erstmals kontaktierte, waren Sie über Jahre auf einer US-Beobachtungsliste. Sie wurden mehr als 40 Mal an Flughäfen festgehalten und befragt. In Newark fühlten sich Grenzbeamte sogar bedroht, weil Sie während eines Verhörs die Fragen mitschrieben.
Ja. Das war verrückt. Sie sagten: „Legen Sie den Stift zur Seite.“ Sie fürchteten, ich könnte den Stift gegen sie benutzen. Da rief ich Glenn an – der hatte schon lange etwas über meine Erfahrungen mit Grenzkontrollen schreiben wollen. Er sagte, du musst das öffentlich machen. Ich war mir unsicher. Normalerweise bin ich es doch, die als Journalistin andere um ihr Vertrauen bittet. Aber diese Bedrohung durch Leute, die eine Waffe tragen, das ging einfach zu weit. Also gab ich Glenn mein Okay. Seitdem hat das mit den Durchsuchungen aufgehört. Manchmal ist es doch ganz gut, die Rollen zu tauschen.

Als Sie dann Edward Snowden in Hongkong besuchten, hatten Ihre Freunde und Familienangehörige nicht Angst, dass Ihnen etwas zustoßen könnte?
Ich habe nur wenige Vertraute eingeweiht, die eng mit mir zusammenarbeiten. Ich ahnte, dass die Geheimdienste massiv nach der undichten Stelle fahnden würden. Und diese Suche würde zwangsläufig auch mich und alle meine Kontakte umfassen.

Glenn Greenwald schreibt in seinem Buch, dass Sie sehr wütend waren, dass der Guardian Sie beide nicht alleine zu Snowden nach Hongkong reisen ließ. Das Blatt schickte Ihnen den Reporter Ewan MacAskill mit – quasi als Aufpasser.
Ich glaube, das wurde etwas falsch berichtet. Ich war aufgebraucht, das stimmt schon. Aber das Problem war: Sie haben mich nie gefragt. Wir konnten zum Beispiel keine rechtlichen Fragen mehr klären: Es ging hier um amerikanische Überwachung – was würde passieren, wenn jemand mit einem britischen Pass diese Geschichte recherchiert? Aber am Ende war es die absolut richtige Entscheidung.

In dem Film erwähnen Sie auch immer wieder, dass der Guardian sehr ängstlich war, all die Details über den britischen Geheimdienst GCHQ zu veröffentlichen. Ihr Partner Glenn Greenwald hatte anfangs Zweifel und wollte sogar sein eigenes NSA-Blog eröffnen. Wie fühlten Sie sich dabei?
Ja, Glenn war entschlossen, schnell zu publizieren. Der Guardian war da vorsichtiger. Aber dann hat die Zeitung trotzdem nach nur drei Tagen die erste Geschichte veröffentlicht: Die Nachricht, dass das Geheimgericht „Fisa“ den US-Telefonanbieter Verizon zwang, Nutzerdaten an die NSA auszuhändigen. Der Guardian war so aggressiv, weil Glenn drohte zu gehen. Als er mich bezüglich seiner Webseite fragte, sagte ich, ich würde ihn unterstützen. Aber es war auch riskant: Denn einerseits braucht man konfrontative Journalisten wie Glenn, andererseits sollte derartige Berichterstattung eher im Team erfolgen. Man braucht viel Recherche und institutionelle Hilfe für eine Story dieser Größe. Möglicherweise hätten wir mit einem Alleingang auch nicht so einen Erfolg gehabt.

Als Sie und Glenn Greenwald zur Onlineplattform The Intercept wechselten, gab es Kritik. Denn hinter The Intercept steht Ebay-Gründer Pierre Omidyar. Über sein angeschlossenes Online-Bezahlsystem „Paypal“ fror Omidyar 2010 die Konten der Enthüllungsplattform Wikileaks ein. Bei Wikileaks handelt es sich immerhin um jene Organisation, die Edward Snowden 2013 von Hongkong nach Moskau begleitete – und ihm einen sicheren Aufenthalt in Russland verschaffte. Warum vertrauen Sie sich einer Person an, die den Whistleblower-Schutz gefährdet?
Da stecken viele unterschiedliche Punkte drin. Es stimmt, Wikileaks und Sarah Harrison haben große Risiken auf sich genommen, um Snowden zu helfen. Sie verdienen Anerkennung. Ich selbst jedenfalls habe immer unabhängig gearbeitet. Niemand kontrolliert mich, und mein Film hat keine Verbindung zu The Intercept. Ich sitze im Aufsichtsrat der Freedom of the Press Foundation. Wir haben viel Geld für Wikileaks gesammelt. Während des Prozesses gegen den Informanten Chelsea (früher: Bradley) Manning habe ich ein Crowdfunding angeregt, damit wir ein Protokoll des Gerichtsverfahrens erstellen können. Meine Arbeit, meine Solidarität mit Wikileaks und mein Engagement für den Whistleblower-Schutz sprechen für sich selbst.

Aber bei The Intercept haben Sie diese Paypal-Sache offensichtlich nicht kritisiert.
Oh, ich glaube, wir haben darüber publiziert.

Nicht bei The Intercept.
Ich habe nie etwas nicht publiziert, weil es Druck gab. Ich habe völlige redaktionelle Kontrolle über jeden meiner Filme. Etwas anderes zu behaupten, ist völlig falsch und ohne Anhaltspunkt.

Also hat Pierre Omydiar kein Problem damit?
Er hat uns nie gebeten, etwas nicht zu veröffentlichen.

Wikileaks würde es auch lieber sehen, wenn die Snowden-Enthüllungen alle komplett öffentlich wären. Was sagen Sie dazu?
Ich glaube, Wikileaks hat Großes geleistet. Ich glaube – hoffe – dass dank ihnen Dinge aggressiver im Journalismus angegangen werden. Ich kann auch ihre Kritik nachvollziehen, dass wir nicht schnell genug berichtet haben. Wir arbeiten daran. Aber ich glaube, es gibt Dinge, die sollten nicht in den Archiven stehen. Zum Beispiel möchte ich nicht alle Namen veröffentlichen. Da haben wir offensichtlich andere Meinungen.

Für uns Deutsche ist eine Schlüsselszene in Ihrem Film, als Angela Merkels Telefonnummer gefunden wird. Was glauben Sie: Warum hat Merkel bislang nicht stärker darauf reagiert?
Ich glaube, sie möchte die Amerikaner nicht verärgern. Aber ich denke schon, dass sie sehr wütend war.

Hat es Sie schockiert herauszufinden, dass der BND mit der Türkei auch Nato-Partner ausspäht?
Nein. Das ist es, was Geheimdienste tun. Sie nennen sie Alliierte und spionieren diese dann aus. Das überrascht mich überhaupt nicht.

Grüne und Linke im Bundestag klagen gerade vor dem Bundesverfassungsgericht, um Snowden doch noch als Zeugen hören zu können. Würden Sie Snowden empfehlen, vor dem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen?
Das hängt davon ab, welche Zusagen sie ihm machen können. Eine wichtige Frage wäre eine sichere Einreise. Ich glaube, der Ausschuss sollte ihn einladen.

Eine Video-Befragung Snowdens halten Sie für unzureichend?
Es gibt gewisse sensible Dinge, die sollte man nicht über solche Kommunikationskanäle besprechen. Aber das sollten wohl eher seine Rechtsberater klären.

Aber was sagt uns das, wenn die Bundesregierung den NSA-Ausschussmitgliedern angeforderte Dokumente verweigert oder nur geschwärzt vorlegt?
Einerseits ist es ermutigend, dass es überhaupt einen NSA-Ausschuss gibt. Ich wünschte, wir hätten das auch in den USA. Andererseits muss man sich fragen: Was lernen sie überhaupt – und welche Informationen werden sie offenlegen können? Es ist unklar, ob es eine Auswirkung haben wird.

Ein Teil des Problems ist, dass die Abgeordneten keinen Zugang zu Snowdens Dokumenten haben.
Aber wir haben einiges veröffentlicht. Die Sache ist die: Es ist nicht die Aufgabe eines Journalisten, staatsanwaltschaftliche Bemühungen zu unterstützen. Das wäre kein guter Präzedenzfall. Andererseits möchten wir natürlich so viel wie möglich veröffentlichen.

Würden Sie vor dem Ausschuss aussagen?
Das bezweifle ich. Regierungen sollten nicht Journalisten vorladen. Ich habe weiterhin die Verpflichtung, die Quelle, über die ich rede, zu schützen.

Auch nicht in Form einer losen Expertenanhörung?
Nein.

Frau Poitras, Sie haben den Henri-Nannen-Preises 2014 für Ihre Verdienste um die Pressefreiheit gewonnen. Sie zeigten sich mit Jacob Appelbaum solidarisch, als er ankündigte, die Preisstatue wegen der NS-Vergangenheit des Namensgebers und Stern-Gründers Henri Nannen einschmelzen zu lassen. Werden Sie das umsetzen?
Die Frage ist doch: Warum gibt es einen Journalismuspreis, der nach einem bekannten Propagandisten benannt ist? Warum benennt Deutschland seinen höchsten Journalismuspreis nach jemandem, der für Leni Riefenstahl arbeitete? Es scheint, dass Jakes Haltung dazu geführt hat, dass der nächste Nannen-Preis ausfällt. Das habe ich gehört.

Nein. Der Hintergrund sind die massiven Sparmaßnahmen. Das Verlagshaus Gruner + Jahr entlässt 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter…
…und kann deswegen keinen Preis verleihen?

Man hält es wohl für unangemessen, einerseits Leute zu entlassen und andererseits eine große Gala zu feiern.
Ja, klar. Ich glaube, in diesem Fall ist es der Druck, den Jacob Appelbaum ausgeübt hat, als er fragte: Wieso wird ein Journalismuspreis nach jemandem mit einer solchen Vergangenheit benannt?

Und was machen Sie nun mit dem Preis?
Wie gesagt, die Frage ist: Was wird Deutschland tun, um diesen Preis umzubenennen?

Das Interview führte Petra Sorge. Fotos: Antje Berghäuser

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