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Stasi-Verdacht - Wie sich ein Journalistenfunktionär gegen Journalisten wehrt

Gegen Bernd Lammel, den Chef des Deutschen Journalistenverbandes Berlin, gibt es Vorwürfe, als Inoffizieller Mitarbeiter gearbeitet zu haben. Ob er davon wusste oder hätte wissen müssen, ist unklar. Seitdem Journalisten darüber berichteten, sieht er sich als Opfer einer „Kampagne“. Der Fall zeigt, wie sich Perspektiven ändern können.

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Der Ärger begann mit einer Exklusivmeldung der Abendschau des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) Mitte September: „Stasi-Verdacht gegen Chef des Berliner Journalistenverbandes“. Der Fotograf Bernd Lammel soll demnach in den 1980er Jahren Informeller Mitarbeiter (IM) gewesen sein. Der Stasi-Unterlagenbehörde lägen Hinweise vor, die es rechtlich erlauben, den Decknamen IM „Michael“ Bernd Lammel zuzuordnen – darunter zwei Karteikarten mit identischer Registraturnummer. Sein Einsatzort: Hauptabteilung II, Spionageabwehr. Einmal soll es gemäß der Unterlagen sogar zu einem Treffen zwischen IM „Michael“ und der Stasi in einer konspirativen Wohnung gekommen sein.

[[{"fid":"67816","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":422,"width":750,"style":"width: 350px; height: 197px; margin: 3px 5px; float: left;","title":"Akte des IM \"Michael\". Quelle: BStU","class":"media-element file-full"}}]]Der Bericht erschien kurz nachdem die „Bild“-Zeitung auch andere Journalisten einer Zusammenarbeit mit der DDR-Geheimpolizei verdächtigt hatte. So sollen Journalistenfunktionäre in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg in dem früheren sozialistischen Staat spioniert haben. In Sachsen-Anhalt trat der gesamte Landesvorstand des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) zurück, nachdem die Vorwürfe gegen drei der sechs Mitglieder bekannt geworden waren. Der Gesamtvorstand forderte alle eigenen Funktionsträger auf, sich bei der Stasi-Unterlagenbehörde überprüfen zu lassen.

Der Berliner DJV-Chef Bernd Lammel bestritt laut dem RBB-Bericht am Telefon, Inoffizieller Mitarbeiter gewesen zu sein. Er habe aber eingeräumt, sich mit einem Stasi-Mitarbeiter getroffen und Informationen weitergegeben zu haben.

Journalistengewerkschaft steht für Transparenz


Lammel lehnte einen Rücktritt von seinem Vorstandsposten ab. Es folgte weitere Berichterstattung – bundesweit. Der Tenor: Steht die Journalistengewerkschaft nicht gerade für Transparenz und Aufklärung? Wie passt das dann mit einer solchen Personalie zusammen?

Einen Monat später verfasste Lammel eine Eidesstattliche Erklärung: „Ich habe zu keiner Zeit wissentlich für das Ministerium der Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) gearbeitet oder mich bereit erklärt, diesem Informationen zu liefern.“ Ihm sei damals nicht bekannt gewesen, dass die Stasi Unterlagen über ihn angelegt oder einem Decknamen IM „Michael“ zugeordnet habe.

Lammel ergänzte, dass er bei „Befragungen“ zu Vorwürfen gegen sich Stellung genommen habe. Ab 1987 sei er davon ausgegangen, „dass es sich um Personen des MfS handelte“.

Prompt verwendete der Mediendienst „Kress“ Lammels Einlassungen gegen ihn und veröffentlichte eine Expertise von Helmut Müller-Enbergs, Politikwissenschaftler an der dänischen Syddansk-Universität: Durch die Bereitschaft, an Personen des MfS Informationen zu liefern, habe Lammel die Merkmale erfüllt, „ihn als IM des MfS bezeichnen zu können“. Die Belege in den bislang aufgefundenen Materialen seien „zureichend“, in dem Betroffenen IM „Michael“ zu sehen.

„Rufmord- und Verleumdungskampagne“


Bernd Lammel zeigte sich bestürzt. Er sieht in der Berichterstattung eine Missachtung ethischer Prinzipien. Auf dem bundesweiten DJV-Verbandstag in Fulda Anfang November sprach er von einer „Rufmord- und Verleumdungskampagne“. Es gehe gar nicht mehr um journalistische Aufklärung.

Die RBB-Reporterin Gabi Probst weist diesen Vorwurf zurück. Zwei Tage vor der Sendung schickte sie Lammel ihre Fragen und bot ihm auch ein Interview an. Lammel schlug ein persönliches Gespräch vor. Doch anderthalb Stunden vor der Sendung sagte er den Termin per E-Mail ab. Seitdem habe er überhaupt nicht mehr mit Gabi Probst geredet.

Lammel hielt dem RBB, der Bild-Zeitung und Kress vor, E-Mails „wortgleich Copy & Paste“ geschickt zu haben. Er sprach von „Trittbrettfahrern“, die sich „kampagnenartig organisiert“ hätten, was die Betreffenden jedoch bestreiten. Er wiederholte, was ein anderer zunächst vermutet hatte: „Es könnte auch sein, dass persönliche Rechnungen oder innerverbandliche Dinge auf diese Art und Weise versucht worden wären zu klären.“

Hintergrund ist, dass der Deutsche Journalisten Verband zwei Gliederungen in der Hauptstadt hat: den DJV Berlin mit Lammel an der Spitze und den Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB). Jahrelang gab es Versuche, beide Gewerkschaften zu fusionieren. Doch die Gespräche sind immer wieder gescheitert. Der JVBB weist jede Einflussnahme im Fall Lammel von sich.

Lammel kritisierte, die RBB-Reporterin Gabi Probst habe die Stasi-Akten seit fünf Jahren „als kleine Vorratsdatenspeicherung in ihrem Schreibtisch gehalten“, um sie genau am Vorabend einer Verbandsvorstandssitzung auf den Sender zu bringen. Probst wehrte sich in einem offenen Brief gegen die Vermutung, den DJV Berlin mit der Veröffentlichung schaden zu wollen: Der Termin sei „blanker Zufall“, der Fernsehverantwortliche habe gerade Platz in der Sendung gehabt. „Wenn ich das gewollt hätte, was Sie mir unterstellen, dann hätte ich viel früher gesendet. So zum Beispiel, als Sie vor Jahren vom Stellvertreter zum Vorsitzenden gewählt wurden oder als die Fusion beider Verbände in Berlin auf der Tagesordnung stand. Nichts dergleichen ist jetzt der Fall!“

Unangemessene Skandalisierung?


Ist der Fall Lammel also ein Beispiel für eine unangemessene Skandalisierung durch die Medien?

Fakt ist: Lammels Unterlagen sind nicht geeignet, ihm Täterschaft und aktives Denunzieren vorzuwerfen. Bislang ist zudem keine schriftliche IM-Verpflichtungserklärung vorhanden, mit dem sich die Informanten in der Regel bereit erklärten, für das MfS zu arbeiten. Auch habe er der Stasi „ausweislich der wenigen vorliegenden Dokumente keinerlei belastende, ja nicht einmal verwertbare Informationen geliefert“, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk, Forscher beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU).

Der Politikwissenschaftler Enbergs indes betont gegenüber Cicero: Auf den Inhalt der Informationen komme es mit Blick auf die gesetzlichen IM-Definitionen gar nicht an.

Kowalczuk bestreitet nicht, dass das MfS Lammel als IM registriert hat. Ungewöhnlich sei aber, dass „Michael“ vier Jahre lang als „IM-Vorlauf“ angelegt wurde. Eine Zeit, in der er selbst beobachtet wurde. „In der Regel dauerte dieser Vorgang nicht länger als ein Jahr. Offenbar lag der Stasi nicht genug Material vor, um ihn final zu verpflichten.“

In den Unterlagen befindet sich der IM-Eintrag „Michael“ im Vorgangsheft des Führungsoffiziers Peter Geffke. IM „Michael“ hat laut den Akten des Majors außerdem Informationen zu einem Empfang des britischen Botschafters im Februar 1989 geliefert. War Lammel also die Quelle?

RBB-Reporterin Gabi Probst, die seit 15 Jahren die Identität früherer Stasi-Mitarbeiter aufdeckt, ist sich sicher: „Woher soll er sonst die Informationen bekommen haben? Zumal er am Telefon zugab, sich mit diesem Stasi-Mann getroffen zu haben. Gern hätte ich erfahren, warum und als was er das tat.“

Kowalczuk jedoch sagt, auch andere Personen hätten bei einer öffentlichen Veranstaltung Zuträger sein können. Ungewöhnlich sei zudem, dass auf dem Original die handschriftliche Notiz „ZMA“ steht, wonach das Material zum Botschaftsbesuch einzig in die „Zentrale Materialablage“ der Stasi gebracht worden sei, statt es in Lammels IM-Akte zu heften.

Die Frage muss also nicht mehr lauten: War Bernd Lammel IM „Michael“? Sondern: War es möglich, dass DDR-Bürger Inoffizielle Mitarbeiter des MfS waren, ohne davon zu wissen?

Der Historiker Kowalczuk sagt: „Natürlich konnte das vorkommen.“

Der Befund „Inoffizieller Mitarbeiter“ stigmatisiert


Stasi-Forscher Müller-Enbergs widerspricht: Zwar habe im Regelfall kein Betroffener geahnt, dass er vom MfS als „Inoffizieller Mitarbeiter“ geführt wurde. Im Prozess des Kennenlernens sei es jedoch üblich gewesen, sich ab einem geeigneten Zeitpunkt als Vertreter des Ministeriums zu erkennen zu geben. „Insoweit wussten IM regelmäßig, dass ihr Gesprächspartner vom MfS war, mit dem bestimmte Fragen erörtert wurden.“

Auch die Abteilung der Stasi-Unterlagenbehörde, die die Medienanträge bearbeitet, sieht das anders als Kowalczuk. In dem Begleitschreiben zur Lammel-Akte heißt es: „Anhand verschiedener Karteikarten sowie nach Auswertung der Sachakten (…) ist nachvollziehbar, dass mit dem IM „Michael“ ab 1988 aktiv zusammengearbeitet wurde.“

Dass sich Lammel gegen die jüngsten Berichte wehrt, ist nicht überraschend. Der Befund „Inoffizieller Mitarbeiter“ ist ein Stigma für Betroffene. Der Thüringer Linken-Abgeordnete Frank Kuschel, der seine Stasi-Verstrickung früh aufgearbeitet hat, muss sich bis heute schlimme Anwürfe gefallen lassen.

Dabei war IM nicht gleich IM. Einige wurden vom Geheimdienst erpresst.

Daran glaubt auch Lammel. Auf dem DJV-Verbandstag sagte er: „Ich war zu dieser Zeit alleinerziehender Vater… und massiv unter Druck gesetzt.“ Aber warum weist er erst in einer Erklärung jegliche wissentliche Zusammenarbeit mit dem MfS von sich und spricht dann auf dem Kongress von einer Zwangslage?

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