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Diskussion um Wachstum und Nachhaltigkeit - Zurück zur Welt des Sonntagsbratens

Markus Kerber und Harald Welzer, der eine Ökonom, der andere Sozialpsychologe, eint das Verantwortungsbewusstsein für die Natur und künftige Generationen - und die Liebe zu Motorengeräusch und Benzingeruch

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Wenn sich ein Kapitalismuskritiker und der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie treffen, sollte man meinen, dass die Fetzen fliegen. Dem war am Donnerstagabend auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg nicht so. Wider Erwarten zeigte sich BDI-Ökonom Markus Kerber sehr interessiert an den alternativen Wirtschaftsmodellen, die ihm sein Kontrahent vorstellte, der Sozialpsychologe Harald Welzer. Sogar die scharfe Kritik Welzers an seinem Fach, „die Wirtschaftswissenschaften waren ein Komplettausfall in den letzten vierzig Jahren“, ließ Kerber ungerührt. Nicht zuletzt dürfte die Einigkeit auch von der gemeinsamen Leidenschaft für Autos und Motorräder herrühren.

Beim zweiten Teil der von der RWE Stiftung für Energie und Gesellschaft und dem Magazin Cicero organisierten Veranstaltung unter dem Titel „Nachhaltig und gut?“ ging es um die Frage, ob Nachhaltigkeit und Wachstum zusammenpassen. Für Welzer war die Antwort klar: Nein. Die beiden Begriffe seien „nicht kompatibel“. Denn um nachhaltig zu wirtschaften, müsse man die natürlichen Grenzen respektieren. Wachstum aber kenne per se keine Grenzen.

Kerber zeigte sich als Realist: „Sie können Wachstum so wenig unterbinden wie die Schwerkraft.“ Auch ist er sich sicher, dass wir bis 2050, wenn das Bevölkerungswachstum erstmals stagniere, noch „Old-School-Wachstum“ haben werden.

Es wird auch Verlierer geben
 

Einig waren sich beide in dem Punkt, dass Qualität ihren Preis habe und ein Verzicht auf permanentes Wachstum nicht ohne Verteilungskämpfe einhergehen werde. So sagte Welzer, es sei ein Irrglaube der Politik, dass gesellschaftliche Veränderungen immer zu einer allseitigen Win-win-Situation führten. Und Kerber pointierte: „Es muss möglich sein, dass sich manche Leute mehr Fleisch leisten können als andere.“ Die „Welt des Sonntagsbratens“, in der es nur einmal pro Woche Fleisch gegeben habe, sei so schlecht nicht gewesen.

Wenn aber die Menschen weniger Auto fahren, gehen Jobs in der Automobilindustrie verloren. Der BDI-Geschäftsführer Kerber sieht Volkswagen, Mercedes und Co. deshalb künftig nicht länger nur in der Rolle der Produzenten, sondern auch in der der Dienstleister. Damit waren die Gesprächsteilnehmer bei der sogenannten „Share Economy“ angekommen, die das Teilen als Grundprinzip hat, ob bei Autos, Bohrmaschinen oder Gärten.

Der Moderator des Abends, Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke, fragte, ob es überhaupt möglich sei, den Menschen vom Konsum abzuhalten: „Meine Frau kann nicht genug Schuhe kriegen.“

Welzer konterte, die Konsumlust liege nicht in der Natur des Menschen. Die Menschheit habe 2000 Jahre ohne den Kapitalismus und die daraus entstandenen Bedürfnisse gelebt. Die Vorstellung der permanenten Weiterentwicklung sei historisch neu. Die menschlichen Grundbedürfnisse, „Essen und Trinken, Sex und Beziehungen“, hätten sich seit Jahrhunderten nicht geändert. „Ich predige auch keinen Verzicht“, beteuerte er. Vielmehr sehe er, dass viele Menschen unter dem heutigen „Hyperkonsum“ leiden würden.

Welzer entzieht sein Auto dem Verkehr
 

Kerber gestand: „Ich bin jemand, der endlos Musik konsumieren kann. Bei mir zu Hause sieht es aus wie in einem CD-Gebrauchtwarenladen. Dort wäre ich niemals bereit, mich einzuschränken.“ Er kaufe CDs, auch wenn er diese nur ein einziges Mal höre. Der Konsum sei für die Musikindustrie schließlich besser, als sie illegal aus dem Internet herunterzuladen: „Wenn Musik nur noch raubkopiert wird, begegnen wir Künstlern bald nur noch auf der Straße oder vor dem Kino.“

Welzer hat zwei seiner drei Autos verkauft. Das verbliebene werde zwar nicht genutzt, aber immerhin „dem Verkehr entzogen“. „Aber ich finde es gut, das zu haben“, erklärt er sich. Während Autos die Statussymbole seiner Generation gewesen seien, bemerke er bei seinen Studierenden heute einen Wandel. Junge Leute definierten sich über das Reisen. Auch hier gelte die Maxime: Je billiger, desto besser.


Die Veranstaltungsreihe „Nachhaltig und gut?“ ist eine Initiative der RWE Stiftung für Energie und Gesellschaft und des Magazins Cicero. Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diskutieren über Nachhaltigkeit als Ausgangspunkt für die Bewältigung der Herausforderungen moderner Gesellschaften.

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