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(picture alliance) Gutes liegt oft nah: Statt fernöstliche Spezialitäten, einfach mal wieder das bürgerliche Butterbrot geniessen

Küchenkabinett - Die Streichfett-Renaissance

Selbst auf den Speisekarten sind Indizien für die derzeitige Europakrise zu erkennen. Immer mehr Connaisseure sagen sich vom Laissez-faire des Mittelmeers los und ziehen die Butter dem Olivenöl vor

Italienische Nudeln, französischer Käse, Drehfleisch vom Balkan, spanische Tapas: Der europäische Gedanke ist keine Schimäre für die meisten Deutschen, auch wenn die vielsprachige Sprachlosigkeit der Politik es einen glauben machen könnte. Tatsächlich begegnen die Bürger tagtäglich der Kultur ihrer Nachbarvölker, wenn sie auf den Teller schauen. Ja, die Durchdringung der europäischen Küchen mit den Erzeugnissen und Rezepturen der Nachbarn hat in unserem Land ein kulturelles Verständnis der anderen wachsen lassen, das durch Währungsturbulenzen nicht erschüttert werden kann. Wer allerdings genau hinschaut, kann auch auf den Speisekarten Indizien für die derzeitige Krise erblicken.

Schon in ihren Anfängen legte die Europäische Gemeinschaft ihren Schwerpunkt auf die Agrarwirtschaft – vielleicht haben die Unterzeichner der römischen Verträge die europäische Idee auf diese Weise mehr befördert als mit Schüleraustausch und Städtepartnerschaften. Durch Gaststätten und zunächst ungewohnte Lebensmittel in den Supermarktregalen breitete sich zum Beispiel die italienische Küche im Deutschland der sechziger und siebziger Jahre rasant aus und bildete die Vorhut eines mediterranen Lebensgefühls, das schließlich den ganzen Kontinent erfassen sollte. Es gibt kaum einen besseren Beleg dafür als die Verbreitung des Olivenöls in ganz Nordeuropa. Leidtragende waren vor allem die ohnehin schon gebeutelten Butterproduzenten. Bis dahin galt ein gut und womöglich auf beiden Seiten gebuttertes Brot als Zeichen für Wohlstand und Gesundheit. Aber erst hatte die Margarineindustrie die Butter zum Feind des Herzens und der schlanken Linie erklärt, und dann kam die Toskanafraktion mit kaltgepresstem Öl der Güteklasse extra vergine – als könnte man Jungfräulichkeit noch steigern! – und machte mit diesem neuen Wundermittel aus jeder Speise quasi einen gesunden Salat. Die Butter fristete derweil ein Dasein als tödliche Cholesterinquelle und überflüssiger Butterberg. Auch die Nouvelle Cuisine versuchte weitestgehend auf Butter zu verzichten.

Dabei ist die Milchwirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung für die Haute Cuisine. In der europäischen Küche gelten vor allem die Provinzen der Alpenumgebung als Heimat feiner Zubereitungen und Rezepturen. Dort herrschen in angenehmer Kühle gute Bedingungen zur Weiterverarbeitung von Milch, und ein ansehnliches Spektrum an Gemüsen und Getreiden inspiriert jeden Koch. Butter spielt dabei als Geschmacksträger und Bindemittel eine Hauptrolle. Ohne Butter lässt sich keine Sauce montieren und kein Mürbeteig kneten – die physikalischen und chemischen Eigenschaften dieses plastischen Gemischs kommen in der Natur kein zweites Mal vor. Kein Wunder also, dass sich nach dem Siegeszug des Olivenöls seit einigen Jahren eine Gegenbewegung formiert. Gesalzene Butter aus der Normandie ist zum Thema geworden, über das sich Connaisseure wieder stundenlang austauschen können.

Die Renaissance des Streichfetts aus dem Euter hat jedoch nicht nur einen kulinarischen Aspekt. Die Zubereitung von Butter ist eine aufwendige Angelegenheit: Kühe wollen jeden Tag pünktlich zur gleichen Stunde gemolken, die leicht verderbliche Milch muss alsbald weiterverarbeitet werden. Der Bauer steht täglich in der Verantwortung, denn das Rind kennt keinen Feiertag. Auch die Molkereien brauchen eine ausgefeilte Logistik, um ihre Ware schnell an den Konsumenten zu bringen. Die Herstellung und Lagerung des Olivenöls charakterisiert dagegen die mediterrane Lebensart: Der Bauer verlässt sich weitgehend auf das Walten der Natur und spannt im Herbst seine Netze auf, um die fallenden Steinfrüchte nicht vom Boden sammeln zu müssen. Danach werden die Oliven ausgepresst, und das Öl wird auf Flaschen gezogen. Bei Gelegenheit wird das leicht zu lagernde Produkt dann verkauft und verbraucht. Von eventuellen, aber immer möglichen Panschereien wollen wir gar nicht reden. Und so ist die Rückkehr zur Butter auch eine Abkehr vom Laissez-faire des Mittelmeers. Es kann gut sein, dass der nordeuropäische Buttergürtel und die Ölbaumhaine des Südens als Wirtschaftsraum doch noch jene Homogenisierung brauchen, die bei der Milch längst Vorschrift ist.

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