Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

In Wolle und Jute - Die Sehnsucht des Hipsters nach dem Land

Er zieht sich an wie ein Landarbeiter, lebt aber in der Stadt: Der Hipster. Über die Sehnsucht der urbanen Metropolbewohner

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

So erreichen Sie Marie Amrhein:

Der Hipster zeichnet sich aus durch ein flanellenes Holzfällerhemd, einen naturfarbenen Jutesack, einen Parka aus rauer schwerer Baumwolle, klobige Schuhe, Wollmütze und Hornbrille im Retro-Look. Mittels seiner artifiziell hergestellten Natürlichkeit hat er sich eine Nonkonformität in der urbanen Großstadt erarbeitet, die ihm allerdings nur solange zum Alleinstellungsmerkmal gereicht, bis er umgeben ist von anderen Hipstern. Jene Hipster-Biotope finden sich in acht deutschen Städten, etwa rund um die Körnerstraße in Köln, in Leipzigs Plagwitz, dem Münchener Glockenbachviertel und natürlich der Torstraße in Berlin-Mitte. Das fand vor kurzem die Zeit heraus.

Setzte man den Hipster allerdings in einem deutschen Dorf aus, man könnte gar nicht sicher sein, dass er nicht für einen ganz gewöhnlichen Holzfäller gehalten würde. Auffallend ist doch, dass der Hipster einerseits in den Metropolen am Puls der Zeit lebt und mit Macbook, Iphone oder Ipad von den neuesten Entwicklungen im Minutentakt per Push-Meldung unterrichtet wird, sich andererseits aber kleidet wie ein Bauernjunge, der noch den Hofplatz fegen muss.

Es gibt eine Diskrepanz zwischen Sehnsucht nach Leben und dem Leben selbst. Und sie wird größer. Mit jeder App, die entwickelt, mit jedem Tweet, der abgesetzt wird. Das Magazin Landlust punktet mit Themen wie der gemeinen Wühlmaus und dem Bau einer Sonnenuhr.  Im vergangenen Jahr verzeichnete Landlust unter seinen Lesern einen Zuwachs von 20 Prozent – der einzige Lichtblick am Horizont gebeutelter Zeitschriftenkioskbesitzer.

Auf diese Erfolgswelle aufspringen will auch das Magazin Päng mit dem Motto: „Für die Wirklichkeit gibt es keinen Ersatz“. Mit Schafen in Südtirol, einer Bauanleitung für ein Vogelnest oder dem Reparaturratgeber für das eigene Fahrrad wollen die Macher „urbane 20 bis 35-Jährige“ zum „Träumen und zu Abenteuern“ anregen. Futter für die Phantasien derer, die tagtäglich an ihren PCs sitzen, in geheizten oder gekühlten Büros, die mit der hochautomatisierten Espressomaschine ihren Kaffee kochen und am Wochenende alte Kaffeemühlen auf dem Flohmarkt erstehen.

Die Sehnsucht der urbanen Bevölkerung nach Land und nach Authentizität manifestiert sich auch unter den Demonstrantengruppen, die vor Landwirtschaftsministerien, Kanzleramt und dem europäischen Parlament Fahnen schwenken. Neben den Bauern, die die Themen der Agrarindustrie wirklich betreffen, finden sich viele Aktivisten städtischer Herkunft, die eine Art Stellvertreterkrieg ausfechten. Sie protestieren für die Rettung kleiner Bauernhöfe, gegen die Agrarpolitik, gegen keimfreie Äcker, das Bienensterben, Putenmastanlagen und Tierversuche.
Dabei betrifft sie dieses Leben nur dann, wenn sich ihr Frühstücksei als Nachkomme einer unglücklichen Henne entpuppt oder sich in ihrem Döner Pferdefleisch findet. Was mit den eigenen Händen nicht greifbar ist, wird in Ideologien verpackt. So hat sich die Zahl der Vegetarier in den vergangenen 30 Jahren um das Fünfzehnfache erhöht.

Der Hipster träumt vielleicht vom Landleben. Seinen Jutesack wird er aber wahrscheinlich niemals am Rande eines Ackers abstellen, um mit den Händen in der Erde zu graben.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.