lesen,hören,sehen: journal - Die Liebe ist kein Schlachtfeld

Allen Verschmelzungs-Sehnsüchten zum Trotz: Alain Badiou feiert die Liebe als Verbindung zweier unendlicher Subjektivitäten

Einem Philosophen oder einer Philosophin stehen vier Wahrheitsverfahren zur Verfügung: die Wissenschaft, die Kunst, die Politik und die Liebe. Die Philosophie kann ihre Wahrheiten überhaupt nur mit den Verfahren dieser vier – wie soll man sagen: Tätigkeiten hervorbringen. Für einen Philosophen heißt das, dass er (oder sie) nicht nur ein guter Wissenschaftler, ein Künstler und ein politischer Aktivist sein muss, sondern auch ein Liebender. Das sind die Bausteine, aus denen der französische Philosoph Alain Badiou sein Denken zusammensetzt, um es in die Waagschale der Welt zu werfen.

Durch diese Methode ist Badiou in den letzten Jahren zum Meisterdenker der französischen Philosophie geworden – eine Position, die vor ihm Michel Foucault, Gilles Deleuze oder Jacques Derrida besetzten. Stets hat es Badiou verstanden, in seiner Philosophie alle Wahrheitsprozeduren zu durchlaufen. Als Mathematiker, der er auch ist, durchzieht sein Denken von Anfang an die Frage, ob sich die Unendlichkeit (und nicht nur die des Kosmos) mathematisieren lasse. Auch die Kunst ist in Badious Denken stets präsent: als Zeugin der Konstruktion von Geschichte und des Denkens über sie. Vor allem aus den Werken der Lyriker Stéphane Mallarmé, Ossip Mandelstam, Fernando Pessoa und Wallace Stevens zieht Badiou die Wahrheiten seiner Philosophie. Politisch hat der ehemalige maoistische Aktivist nie aufgehört, die herrschende Politik zu attackieren – vor allem in Frankreich. Auch wenn er sich heute mit seiner Organisation Politique (OP) auf den konkreten Kampf für die Aufenthaltserlaubnis der sans-papiers und den gleichen Zugang zu Gesundheitsfürsorge und Erziehung konzentriert, ist er dabei im Denken ein Revolutionär geblieben.

Es fehlte bis jetzt nur ein Text, in dem Badiou seine Sicht auf die Wahrheitsprozedur der Liebe entwickelt. Und der liegt mit dem gerade auf Deutsch erschienen «Lob der Liebe» nun vor. In Frankreich war die «Éloge de l’amour» bereits 2009 ein philosophischer Bestseller. Das Buch geht auf ein Gespräch zurück, das Badiou am 14. Juli des Jahres 2008 auf dem Theater-Festival von Avignon mit dem Journalisten Nicolas Truong geführt hatte. Beiden Gesprächspartnern merkt man die Freude an, am französischen Nationalfeiertag nicht Armee, Nation und Staat feiern zu müssen, sondern die Liebe loben zu dürfen – und zu ihrer Neuerndung beizutragen.

Denn das ist sicher: Die Liebe muss neu erfunden werden, weil sie in der Welt der Frauenzeitschriften, Ehevermittlungs- und -beratungsinstitute, die neben dem richtigen Partner auch noch «Liebescoaching» anbieten, derart «zugemüllt» (Rainald Goetz) worden ist, dass von ihr nur noch «die Vollkaskoversicherung der Liebe» (Badiou) übrig geblieben ist. Eine Veranstaltung ohne Risiko und ohne Zufall, die Badiou fatal an die Propaganda der amerikanischen Armee für einen Krieg «ohne Tote» erinnert. Der Krieg «ohne Tote» und die Liebe «ohne Risiko» entspringen demselben Herrschaftskalkül: dem Sicherheitsdenken. Für Badiou steht aber auch fest, dass die Liebe eben nicht, wie es im Schlager heißt, ein Schlachtfeld ist. Sie ist kein Kampf um Anerkennung, wie er zum Wesen jeder Politik gehört. Während es in der Politik um die Bennenung des Feindes geht, also jener Figur, von der man auf gar keinen Fall regiert werden will, spielt der Feind in der Liebe keine Rolle.
Die Liebe, wie Badiou sie konstruiert, ist die «Bühne der Zwei». An ihrem Anfang steht eine Trennung, der schlichte Unterschied zwischen zwei Personen mit ihren jeweils unendlichen Subjektivitäten. Und «eben weil die Liebe eine Trennung behandelt, kann sie in dem Moment, in dem sich die Zwei zeigt, als solche die Bühne betritt und uns die Welt in neuer Weise erfahren lässt, nur eine zufällige oder kontingente Form annehmen», meint Badiou dazu. Alles, was aus der zufälligen, die stärksten Dualitäten und die radikalsten Trennungen überwindenden Begegnung in der Liebe folgt, bleibt unter dem Zeichen der Zwei, nicht der Eins. Badiou hält sich damit alle Verschmelzungstheorien vom Leib.

Gleichzeitig verabschiedet er auch die Sex-Theorien der Liebe. Denn im Sex, so Badiou, genießt man mithilfe des anderen nur sich selbst. Natürlich kann es zu körperlichen Verrenkungen kommen, bei denen man nicht mehr weiß, welches Glied nun wem gehört: «Aber die Liebe bezieht sich auf die Gesamtheit des Seins des anderen, und die Hingabe des Körpers ist das materielle Symbol dieser Gesamtheit.» Von hier aus kann man wirklich damit beginnen, die Liebe neu zu denken.


Alain Badiou
Lob der Liebe
Aus dem Französischen von Richard Steurer.
Passagen, Wien 2011. 87 S., 11,90 €

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