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Gleichstellung jetzt! - Die Homo-Debatte ist Zeitverschwendung

Zwei Sachen gehen einfach nicht: Im 21. Jahrhundert gegen die Homo-Ehe zu sein und sich über das Wetter zu beklagen

Autoreninfo

Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Meines Erachtens regen sich die Leute immer über die falschen Dinge auf und schlimmer noch, sie lernen nichts daraus.
 
Nehmen wir als erstes Beispiel das Wetter: Ich lebe jetzt mit kurzen Unterbrechungen seit 1997 in Berlin, schöpfe mithin aus einer Erfahrung von 16 Jahren meteorologischer Beobachtung des hiesigen Wetters. Ein Wetterjahr in der Hauptstadt geht ungefähr so: keine weißen Weihnachten, aber gerne arschkalt, eher trocken, dann kurze wärmere Phase mit einstelligen Plusgraden, eher feucht. Man (=Anfänger) denkt, jetzt sei der Winter vorbei, aber er kommt immer, ich wiederhole, immer noch mal wieder, also wieder Schnee.
 
Spätestens dann entsteht diese mehrere Zentimeter dicke, unebene Decke aus Eis und Schnee auf allen Bürgersteigen, weil niemand Schnee schippt oder streut und der Räum- und Streudienst, der diesmal die Ausschreibung der Stadt gewonnen hat, bereits nach dem ersten Schneefall im vorherigen November Insolvenz angemeldet hat. Ich denke mir das nicht aus, alles mehrfach vorgekommen, aber ich rege mich nicht darüber auf. Wirklich nicht.
 
Es geht dann weiter, meistens so im April oder Mai, mit drei, maximal vier Wochen von dem, was landläufig als schönes Wetter bezeichnet wird: also Sonne, blauer Himmel, kaum Wolken und Temperaturen über 22 Grad Celsius. Leider riecht es dann auch immer etwas streng, weil die gefrorene Hundekacke auftaut. Alle (=Anfänger) denken jetzt: Endlich mal ein guter Sommer. Genau an dem Tag, an dem Morgenpost, Tagesspiegel und Berliner Zeitung die ersten Geschichten darüber machen wir haben jetzt so Mitte Mai , dass die Brandenburger Bauern darüber klagen, dass es zu trocken ist und sie um ihre Ernte fürchten, beginnt die jährliche Regenzeit. Die dauert im Schnitt vier Monate und endet an dem Tag, an dem Morgenpost, Tagesspiegel und Berliner Zeitung die ersten Geschichten darüber machen wir haben jetzt so Mitte September , dass die Brandenburger Bauer darüber klagen, dass der Sommer viel zu nass war und sie sich ernsthaft Sorgen um ihre Ernte machen.
 
Es folgt ein traumhafter Altweibersommer, der vier bis sechs Wochen dauert, gefolgt vom ersten Schneefall, bei dem der nächste Räumdienst Insolvenz anmeldet, weil er feststellt, dass er nicht rechtzeitig genügend Salz oder Granulat eingekauft hat. Die Preise dafür sind aufgrund der erhöhten Nachfrage gestiegen, weswegen die Kalkulation des Räumdienstes nicht mehr aufgeht. Und schon ist wieder ein Jahr rum. Ausnahmen davon gibt es, Stichwort: Jahrhundertsommer. Sie bestätigen die Regel ungefähr genauso häufig, wie hierzulande eine Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet. Was ich aber eigentlich sagen will: Es ist Zeitverschwendung, sich über das Wetter aufzuregen, weil man es nicht ändern kann. Wenn es einem nicht gefällt, gibt es außerdem eine ganz einfache Lösung: wegziehen. Es gibt Orte auf dieser Welt, wo häufiger die Sonne scheint und es entsprechend wärmer ist.   

Als Freund brachialer, sinnloser Überleitungen („wärmer“) komme ich jetzt zum zweiten Beispiel: der überflüssigen Diskussion um die Homo-Ehe. Wie kann man anno domini 2013 ernsthaft ein Problem damit haben, dass die Ehe von homosexuellen und heterosexuellen Paaren exakt gleich behandelt wird?
 
[[{"fid":"52620","view_mode":"teaser","type":"media","attributes":{"height":220,"width":115,"style":"width: 115px; height: 220px; margin: 5px 10px; float: left;","class":"media-element file-teaser"}}]]Auf Facebook habe ich eine schöne Fotocollage entdeckt, auf der ein aktuelles Bild von Demonstranten auf den Stufen des US-Supreme-Courts zu sehen ist, die vor anderthalb Wochen gegen eine Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe protestieren mit Schildern in der Hand, auf denen steht: „One man, one woman for life“. Darunter ist ein Foto zu sehen, wo auf denselben Stufen im Jahr 1967 Leute Schilder in die Luft halten, auf denen steht: „Race mixing is communism“. Frei übersetzt aus dem Amerikanischen: Das Mixen der Rassen ist des Teufels. Beide Fotos sind verbunden mit dem Satz: Imagine how stupid you are going to look in 40 years.
 
Das ist in zweierlei Hinsicht erschreckend: 1. Erst 1967 entschied der US Supreme Court, dass Angehörige verschiedener Rassen heiraten dürfen. 2. Auch 2013, wenn es um das Recht von Schwulen und Lesben geht, die Ehe miteinander einzugehen, finden sich wieder welche, die ohne jedes Argument dagegen protestieren. Die sogar dann noch ihre Schilder hochhalten, wenn selbst Bill O’Reilly, der Star-Moderator des ultra-konservativen US-„Nachrichten“-Senders Fox News, in seiner Sendung sagt: „The compelling argument is on the side of the homosexuals. … ‚We are Americans, we just want to be treated like everybody else.’ That is a compelling argument. And to deny that, you have got to have a very strong argument on the other side. And the other side has not been able to do anything but thump the Bible.”
 
Also noch mal für alle, ganz langsam zum Mitlesen: Die überzeugenden Argumente liegen auf Seiten der Homosexuellen, sie wollen einfach nur behandelt werden, wie alle anderen auch. Die andere Seite kann nichts weiter als auf die Bibel zu pochen, sagt, wenn man so will, der Gott-sei-bei-uns selbst, also zumindest aus Sicht der amerikanischen Liberalen. Die wissen wahrscheinlich eh nicht mehr, ob sie noch pro-same-sex-marriage sein sollen, nachdem sogar die dunkle Seite der Macht, also Ex-Vizepräsident Dick Cheney und Ex-First-Lady Laura Bush, dafür ist.
 
Jetzt will es der Zufall, dass das Thema Homo-Ehe gerade dann hochpoppt, wenn es einen neuen Papst gibt, was dann unvermeidlich in den Medien dazu führt, dass man diese beiden Themen, die nichts miteinander zu tun haben, offenbar fast zwanghaft miteinander verknüpfen muss. Willkürlich herausgepickt als Beispiel ein Interview aus dem Tagesspiegel mit dem Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki, der auf die Frage, ob er denn nicht froh sei, dass sich mit der Union wenigstens noch eine Partei für die traditionelle Familie starkmache, antwortet: „Unsere Gesellschaft lebt von der Familie als Keimzelle, und dieses Lebensmodell hat Erhebliches für unser Zusammenleben geleistet. Deshalb glaube ich, dass die Familie, wie vom Grundgesetz festgelegt, auch weiter gefördert werden muss. Wenn Sie junge Menschen fragen, was für sie ein gelingendes Leben ausmacht, dann ist es für sie immer wichtig, in stabilen Beziehungen zu leben.“
 
Die Interviewer entgegnen: Auch eine Homo-Ehe kann stabil sein. Darauf Woelki: „Für uns als katholische Kirche ist die Ehe eindeutig beschränkt auf die sakramentale Beziehung zwischen Mann und Frau. Ich wende mich insofern sehr eindeutig gegen eine Ausweitung des Ehe- oder Familienbegriffes.“
 
Ich teile diese Einschätzungen nicht, aber habe noch ein gewisses Verständnis dafür, wenn ein leitender Angestellter der katholischen Kirche sie vertritt, der Finanzminister der Cayman Islands setzt sich ja auch nicht für höhere Steuern ein. In diesem Zusammenhang finde ich den aus meiner Sicht eher kirchenfreundlichen Kommentar der taz zum Wechsel an der Spitze in Rom lesenswert.
 
Aber warum dieser Aufschrei mit riesigen Demonstrationen in Frankreich, nationalen Diskussionen in der USA und in Deutschland? Geht das nicht alles völlig an der Realität vorbei? „Schwule und Lesben, die heiraten wollen, sind eine Minderheit in der Minderheit, noch weniger wollen gemeinsam Kinder großziehen. In Deutschland gab es 2011 lediglich 27.000 eingetragene Lebenspartnerschaften, nur rund 7000 Kinder lebten bei gleichgeschlechtlichen Paaren“, schreibt die ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe. Das hält die Gegner der Homo-Ehe aber nicht davon ab, immer wieder zu unterstellen, niemand denke in dem Zusammenhang an das Kindeswohl. Wie anmaßend ist das denn in Zeiten, in denen in Deutschland jede zweite Ehe zerbricht und in der Hälfte der Fälle Kinder davon betroffen sind?
 
Aber für die Kirche gilt das ja gar nicht, weil sie Scheidungen einfach nicht anerkennt. Genial, diese Idee mit den Sakramenten. Und Papst Franziskus hält die Adoption von Kindern durch schwule oder lesbische Paare trotzdem für eine Diskriminierung der Kinder. Ich nehme an, er ist auch dagegen, dass Lesben auf mehr oder weniger natürlichem Wege schwanger werden oder Schwule mithilfe der modernen Reproduktionsmedizin und Leihmüttern Nachwuchs zeugen oder einfach eine Freundin um Hilfe bitten. Aber werden diese Kinder diskriminiert? Statt das einfach zu behaupten, könnte man sie doch einfach mal fragen, was das Magazin der Süddeutschen Zeitung dankenswerter Weise schon getan hat. Das ist auch insofern gut, weil sich das ZEIT-Magazin dann die Mühe sparen kann, Günter Wallraff als verkleidetes Kind in eine sogenannte Regenbogenfamilie einzuschleusen.
 
Ein anderes Argument, das gerne gegen das Adoptionsrecht der Schwulen in den Ring geworfen wird, geht ungefähr so: Und was machen wir dann, wenn in zehn Jahren eine WG, die Fußballmannschaft oder der SPD-Ortsverein ein Kind will? Gar keine so gute Frage, aber ich antworte trotzdem: Das machen wir nicht. Wir lassen ja auch nicht eine Frau zehn Typen gleichzeitig heiraten und das Polygamie-Verbot hat sich meines Wissens auch als gut durchsetzbar erwiesen bisher. Wichtiger fände ich ja, aber das nur am Rande, eine Abschaffung des Ehegattensplittings, der wahrscheinlich unsinnigsten finanz- und familienpolitischen Regelung aller Zeiten weltweit.
 
Wenn Sie jetzt immer noch gegen die Homo-Ehe sind, gucken Sie bitte folgenden Clip des britischen Komikers Ricky Gervais über die Arche Noah und die sexuelle Orientierung des Herrn an. Und wenn Ihnen immer noch kalt ist, testen Sie doch mal die neuen Bacon-Kondome von J&D. Fastenzeit, Karfreitag und so sind doch jetzt vorbei und der Frühling steht vor der Haustür.
 
[video:Ricky Gervais über die Arche Noah]

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