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Die Frau in der Moderne - Der zerrissene Körper

Frau ist nicht gleich Frau: Selten war der weibliche Körper so mit Bedeutung aufgeladen wie heute. Selten aber auch war das Verständnis davon, was eine Frau sein sollte, so verschiedenartig wie heute. Ein Essay über den Kampf eines Geschlechtes mit sich selbst

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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Der weibliche Körper ist zerrissen. Selten war er so weit von seiner ursprünglichen Schönheit entfernt, wie heute. In Zeiten, in denen das Diktat des Körpers dem Diktat des Marktes unterliegt, das von den Hausdächern dieser Welt ein neues Glaubensbekenntnis schreit und nach einer Perfektion lechzt, die gar nicht existiert.

Er ist verzerrt und verschoben, dieser weibliche Körper, verloren zwischen all den Bedeutungsebenen, die ihm erst zu-, dann wieder abgesprochen werden. So oszilliert er zwischen Organismus und Automate. Er kreist zwischen Offenbarung und Apokalypse, zwischen süßer Verheißung und Sünde. Der weibliche Körper ist Ikone und Sakrileg. Er ist Symbol für Weiblichkeit, für Fruchtbarkeit, für all das, was nicht männlich ist. Er ist Objekt der Begierde, der Frustration, der Industrie. Er ist Werkzeug und Mythos. Er wird verehrt, instrumentalisiert, ausgebeutet und missverstanden. Der Dualismus ist ihm immanent und dass er mit sich selbst ins Reine kommt, eine Utopie, die ihm das neue Zeitalter versprochen hat.

Nie war es Frauen möglich, so frei über ihren Körper zu verfügen wie heute. Und selten bedeutete diese Verfügbarkeit ein so großes Dilemma. Denn das irrwitzige Ideal des weiblichen Körpers – nach dem so viele Frauen aus welchen Gründen auch immer zu streben meinen – ertönt nicht mehr einfach in jenem phantastischen Dreiklang aus Brust-, Taillen- und Hüftumfang. Das eine wahre Ideal gibt es nicht mehr. An seine Stelle ist eine Vielfalt weiblicher Formen getreten, die von der Wagner’schen Walküre bis hin zu seltsam androgynen Wesen reicht. Seit Frauen überall auf der Welt für ihr Recht zu sein eintreten, gibt es so viele ideale Frauenbilder, wie es Frauen gibt. Doch speist sich dieses Frauenbild nach wie vor eben auch aus einem bestimmten, dem Körper zugedachten Rollenbild, das nicht an seine biologische Natur geknüpft ist, sondern an seine soziale.

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Zwischen Biologie und Rollenidentität

„Am Grunde des Geschlechts – die Wahrheit.“ So schrieb Michel Foucault. Der französische Philosoph glaubte, die „tiefste Wahrheit des Individuums“ in seinem Geschlecht begründet zu finden. Im Schoß des Menschen, der bei Gustave Courbet später zum Ursprung der ganzen Welt werden sollte, verbargen sich nach Foucault die geheimen Bestandteile des Menschen, die Struktur seiner Phantasmen, die Wurzeln seines Ichs, die Formen seiner Beziehung zur Wirklichkeit. Aus ihm ließ sich erkennen, „was es ist und was es bestimmt“.

Der menschliche Körper war nie nur ein biologischer. Seine organische Beschaffenheit, die Verteilung seiner Chromosomen, Testosteron und Östrogen machten aus ihm seit Adam und Eva zwei unterschiedliche, einen männlichen und einen weiblichen. Die Biologie nennt das Geschlechtsdiphormismus, der liebe Gott Schöpfungsgeschichte. Spätestens jedoch seit Beginn der Moderne, seit unsere geschlechtsbestimmten Körper in ein kulturelles, dogmatisch angereichertes Erbe geboren werden, definiert er sich nicht mehr nur über das zufällige Vorhandensein eines Penisses oder einer Vagina, sondern zunehmend über sein subjektives Empfinden und seine ausgeprägte Rollenidentität.

Für die Frau bedeutete ihr Körper deshalb lange Zeit eine bestimmte Form von Determinismus. Aus ihrer körperlichen Konstitution heraus, der Veranlagung der Frau als Gebärende und Sammlerin, wurde schon früh ihre soziale Rolle als diejenige abgeleitet, die für den Zusammenhalt der Gruppe Sorge trug. Die feministische Anthropologin Margaret Ehrenberg legt ihr das – frauenrechtlich gesehen – natürlich jedoch nicht nachteilig aus. Im Gegenteil nimmt sie an, dass die Frau der Urzeit aufgrund ihrer Beständigkeit ein höheres Ansehen genoss als der Mann. Ihre stetigen Erträge als Sammlerin sollen für die Gruppe ökonomisch wichtiger gewesen sein, als der schwankende Jagderfolg der Männer. Und auch die Fähigkeit, Kinder zu gebären und zu nähren, sicherten den Erhalt der Gruppe und stärkten nach Ehrenberg so das Ansehen der Frau.

Um die Fähigkeit, Leben zu schenken, rankten sich dann auch die ersten Kulte und Religionen, in denen vor allem weibliche Gottheiten von Frauen, aber auch von Männern verehrt wurden. Doch ob das für ein Matriarchat der Urgeschichte spricht, darf bezweifelt werden.

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Bis heute jedenfalls haftet der Frau das Bild als Patronin der Familie an. Die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten sind ihr mehr oder minder naturgegeben. Die Zuschreibung ihrer sozialen Rolle dagegen ist es nicht. Sie ist konstruiert. Zu einem Großteil zumindest. Dennoch wurde der Widerstand gegen die zementierte Vorstellung von der Frau als Mutter, Haus- und Ehefrau als einem Heimchen am Herd in der aufkeimenden Frauenbewegung als „unnatürlich“, ja gar als pathologisch empfunden. Und obwohl diese Vorstellung in Zeiten von Emanzipation und der gedanklichen (als auch ganz konkreten) Angleichung der Geschlechter keine eindeutige Gültigkeit mehr hat, verharrt das moderne Bewusstsein immer noch oft genug auf diesen althergebrachten Schemata.

Der weibliche Körper wird zum Schlachtfeld

Die Frauenbewegung kämpft heute mit einer neuen Radikalität gegen diese Naturalisierung der Geschlechterdifferenz. Mit nackten Oberkörpern wirft sie sich gegen das Diktat des herrschenden Patriarchats. Dabei streben die gereiften Aktivistinnen der Generation Alice Schwarzer und ein neuer, junger, fast schon aggressiver Feminismus nicht mehr nach der absoluten Gleichmachung der Geschlechter, sondern nach einem Ausgleich des Verhältnisses zwischen ihnen: nach einem Ausgleich der grundlegenden Unterschiede in ihrer Sozialisation, egal ob zuhause, im Berufsleben oder in der Politik. Die Mechanismen, die mit der Hierarchisierung der Geschlechter in Verbindung stehen, sollen heute nicht einfach ausgehebelt, sondern benannt und verändert werden.

Problematisch dabei ist nur, dass sich das soziale Geschlecht – ganz gleich ob beim Mann oder bei der Frau – seit eh und je nie ganz von seinem biologischen trennen lässt. Der Körper bleibt die Basis seiner eigenen kulturellen Bedeutung. Und so wird gerade er, vornehmlich der weibliche Körper, in der anhaltenden Genderdebatte zum Schlachtfeld einer heftigen, kontrovers geführten Diskussion.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Österreich eine Venusfigurine entdeckt, die vor gut 25.000 Jahren in der Altsteinzeit entstanden ist. Sie ist elf Zentimeter klein, gesichtslos, und aus Kalkstein gefertigt. Ihre Hüften sind stark, das Gesäß ausgeprägt, der Bauch steht vor und die Arme der „Venus von Willendorf“, wie die Figurine getauft wurde, ruhen auf ihren schweren Brüsten. Eine beleibte Frau als Ideal für eine Gesellschaft, die kurz vor der nächsten Eiszeit stand. Heute zehrt der weibliche Körper nach einer „Size Zero“ in einer Gesellschaft, die übersättigt ist, und an allem zu viel hat.

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Die Weiblichkeit und damit der weibliche Körper unterliegen einem ständigen sozialen Wandel, so wie sich auch die Vorstellung von Männlichkeit ständig ändert. Und heute steht auf der einen Seite Heidi Klum mit ihrem Gefolge disziplinierter, systemoptimierter Vorzeigedamen, die sich auf ihre äußere Hülle reduzieren und sich dem „Fleischmarkt“, wie es die wütende britische Feministin und Bloggerin Laurie Penny nennt, freiwillig unterwerfen. Sie überschreiben ihren Körper der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft als Ressource, die sich ausbeuten lässt, auf dass sie darüber frei verfüge. Auf der anderen Seite steht die Riege der Femen-Aktivistinnen, die „Heidis Horror Picture Show“ unter Einsatz ihres Körpers bloßzustellen versuchen. Wehe dem, der zwischen die Fronten gerät.

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