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(picture alliance) Die meisten von uns verstoßen täglich gegen das Urherberrecht und wissen es nicht mal

Urheberrecht und Lobbyisten - Die Copyright-Kriege

Wir sollten keine Lösungen fordern, bevor wir nicht das Problem durchdrungen haben. Ein Plädoyer für eine vernünftige Urheberrechtsdiskussion

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus der Mai-Ausgabe des Cicero zum Thema "Republik der Rechthaber - Moral-Standort Deutschland".

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In den vergangenen Jahren hat zunächst die Musik-, dann die Filmindustrie versucht, ihre bewährten Vertriebsmodelle im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Beide bedienten sich einer doppelten Strategie. Zum einen schalteten sie Werbekampagnen, um die Öffentlichkeit für ihre Belange zu sensibilisieren („Raubkopierer sind Verbrecher“). Zum anderen betrieben sie massive Lobbyarbeit für ein schärferes Urheberrecht. Der zweite Teil ihrer Strategie war deutlich erfolgreicher als der erste. Seit Mitte der neunziger Jahre wurde das Urheberrecht mehrfach verschärft; in den Gesetzesbegründungen wurde stets auf die Gefahren hingewiesen, die das Internet für Rechteinhaber darstelle. Im selben Zeitraum ist die Akzeptanz für das Urheberrecht in der Bevölkerung rapide gesunken.

Womöglich war das der Grund, warum sich die Presseverlage von vornherein auf die Lobbyarbeit konzentriert haben. Der Trend ist klar: Die Diskussionen um das Immaterialgüterrecht und die Form, die dieses Rechtsgebiet in der digitalen Welt annehmen soll, werden meist außerhalb oder allenfalls in den Hinterzimmern der Parlamente geführt. Wirkungsmächtige Lobbygruppen überzeugen einen Teil der Abgeordneten oder eine Gruppe von Staaten hinter verschlossenen Türen, dass eine Verschärfung des Urheberrechts vonnöten sei. Andere, ähnlich wirkungsmächtige Lobbygruppen wiederum überzeugen dann die Öffentlichkeit, dass jene schärferen Maßnahmen die Rechte des Einzelnen unangemessen einschränken.

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Auch die Bemühungen der Presseverleger waren nicht vergeblich: In ihrem Koalitionsvertrag verpflichtete sich die schwarz-gelbe Bundesregierung 2009 zur Einführung eines Schutzrechts für verlegerische Leistungen. Anfang März dieses Jahres beschloss dann der Koalitionsausschuss der Bundesregierung, die Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Für eine Schutzdauer von einem Jahr sollen Presseverleger ein „Leistungsschutzrecht für die redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge oder kleiner Teile hiervon“ erhalten. Urheber sollen auf noch ungenannte Weise profitieren. Wahrgenommen werden soll das Recht über Verwertungsgesellschaften.
Durch das Leistungsschutzrecht möchte die Bundesregierung Presseverlegern eine Beteiligung an den Einnahmen sichern, die News-Aggregatoren und Suchmaschinen wie Google News erzielen. Diese Dienste zeigen Links zu kostenlos im Internet zugänglichen Presseartikeln und machen kleine Ausschnitte der Artikel zugänglich. In der Regel erlauben sie Nutzern zudem, Stichwortsuchen durchzuführen. Üblicherweise finanzieren sie sich durch Werbung.

Ein Gesetzentwurf liegt bisher nicht vor. Wie das Recht genau ausgestaltet werden soll, ist nicht bekannt. Inhaltliche Kritik muss darum vorerst grundsätzlich bleiben: Die Einführung des Leistungsschutzrechts ist weder erforderlich noch wünschenswert. Die Presseverlage, die sich am stärksten für das Recht eingesetzt haben, führen ein sehr erfolgreiches Internetgeschäft. Burda verdankt einen Großteil seines im vergangenen Jahr um 26,5 Prozent gestiegenen Umsatzes dem digitalen Bereich. Auch Springers zweistelliges Umsatzplus im Jahr 2011 beruht zu einem großen Teil auf dem 35-prozentigen Wachstum des Bereichs „Digitale Medien“. Juristisch sind Presseverlage außerdem bereits heute in der Lage, Urheberrechtsverletzungen im Internet zu verfolgen, da sie sich die Nutzungsrechte von den Urhebern – ihren Journalisten, Fotografen und Grafikdesignern – abtreten lassen.

International ist das Urheberrecht von Lobbyisten hart umkämpft...

Die Presseverleger wünschen sich ein Recht, das über das Urheberrecht hinausgeht. Sie begehren Schutz für kleinste Teile journalistischer Leistungen, etwa für Satzteile oder einzelne Sätze eines Zeitungsartikels, die aus gutem Grund nicht urheberrechtlich geschützt sind. Unter Juristen ist dieser Wunsch auf überwältigende Kritik gestoßen – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis. Urheberrechtsprofessoren sprechen sich fast einstimmig gegen das Leistungsschutzrecht aus. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in einer Stellungnahme ebenfalls von seiner Einführung abgeraten.

Die Empörung, die das Leistungsschutzrecht in der Blogosphäre hervorruft, erinnert in ihrer Vehemenz an jene, mit der vor ein paar Monaten über Acta (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) diskutiert wurde. Acta ist ein völkerrechtliches Abkommen, das eine effektivere Ahndung von Immaterialgüterrechtsverletzungen ermöglichen soll. Es wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt. Der genaue Text des Abkommens blieb lange geheim.
Die Rechtslage in Deutschland würde durch Acta allenfalls marginal geändert. Trotzdem demonstrierten allein in Deutschland Tausende Menschen gegen das Abkommen. Aufgescheucht durch die Protestwelle, kündigte die Bundesjustizministerin an, die Unterzeichnung von Acta durch die Bundesrepublik bis auf Weiteres zu verschieben, „damit eventueller Diskussionsbedarf ausgeräumt werden kann“.

Wochen vorher war in den USA Ähnliches passiert. Auf Vorschlag der Unterhaltungsindustrie berieten Senat und Repräsentantenhaus über Sopa (Stop Online Piracy Act) und Pipa (Protect Intellectual Property Act). Diese Gesetzentwürfe sollten, wie Acta, dazu führen, dass Immaterialgüterrechtsverletzungen künftig einfacher geahndet werden können. Internetaktivisten sowie die Unternehmen des Silicon Valley samt ihrer Lobbygruppen begehrten auf. Wikipedia ließ seine Seite für einen Tag schwarz. Die Abgeordneten, von denen sich im Repräsentantenhaus alle und im Senat ein Drittel diesen Herbst der Wiederwahl stellen müssen, beschlossen daraufhin, dass ihnen das Gesetzesvorhaben zu heiß sei. Sie legten die Entwürfe auf Eis.

Beide Seiten erzählen nur einen Teil der Geschichte. Inzwischen reden sie, wenn sie überhaupt miteinander sprechen, meist aneinander vorbei. Die Unterhaltungsindustrie veranstaltet Tagungen zum Urheberrecht, auf denen sie sich der Richtigkeit ihrer Position versichert. Die Technologieindustrie organisiert eigene Veranstaltungen, bei denen sie sich ebenfalls selbst auf die Schulter klopft. Alle stellen Behauptungen auf. Argumente werden selten ausgetauscht. Im Amerikanischen, das Metaphern aus Sport und Krieg liebt, wird dieses Phänomen seit einigen Jahren als „copyright wars“ bezeichnet. Dort wie hier ist das Urheberrecht von Lobbyisten hart umkämpft. In Berlin, Brüssel und Washington hört man immer wieder, nur die Diskussion um das Gesundheitssystem sei stärker von Lobbyinteressen getrieben.

Warum wir mehr öffentlichen Streit brauchen...

Das Verhalten der Interessenvertreter ist ärgerlich, aber verständlich. Das Verhalten der Politiker hingegen ist kurzsichtig und unverständlich. Die Regierungsparteien scheinen keine eigene Vision für den rechtlichen Rahmen zu haben, den sie der digitalen Welt geben wollen. Stattdessen geben sie dem Lobbydruck von allen Seiten nach. Sie handeln Abkommen wie Acta aus, wagen sich aber nicht an deren Unterzeichnung, wenn der öffentliche Protest über sie hereinbricht. Sie erteilen Versprechen im Koalitionsvertrag, widmen sich diesen Versprechen aber erst so spät in der Legislaturperiode, dass ihre Umsetzung unwahrscheinlich ist. Auch die SPD, traditionell eng mit den Verwertungsgesellschaften verbandelt, hält sich bedeckt. Grüne und Linke wittern derweil die Gunst der Stunde, warnen vor Acta und malen Gespenster an die Wand. Gleiches gilt für die Piratenpartei, die ihre schiere Existenz der Unfähigkeit der anderen Parteien verdankt, glaubwürdig und visionär über das Internet nachzudenken. Zu einer offenen Diskussion lädt die Politik nicht ein.

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Wie sehr sich die Beteiligten an diesen Zustand gewöhnt haben, welche Verwirrung also ein Gesprächsangebot hervorrufen kann, zeigt wiederum ein Vorfall aus den USA. Dort hatten sich viele Juraprofessoren gegen Sopa und Pipa ausgesprochen. Einige von ihnen erhielten daraufhin einen Brief von Paramount Pictures. Das Unternehmen hatte sich für die Gesetzentwürfe starkgemacht. Paramount bot an, einen Vertreter in die Unis zu senden. Er würde sich den Fragen stellen und seine eigene Position darlegen. Nachdem der erste Brief seinen Adressaten erreicht hatte, flogen E-Mails zwischen den Professoren hin und her. Würde man sich vor den Karren des Teufels spannen, wenn man Paramount ein Forum böte? Oder sei man verpflichtet, die andere Seite zu hören? Schließlich habe man Schweigen und Heimlichtuerei immer angeprangert.

Die Antwort darauf ist klar, denn: Wir brauchen mehr Diskussion, mehr wirkliche Auseinandersetzung, sogar mehr öffentlichen Streit. Wir müssen aufhören, populistische Behauptungen aufzustellen und Feindbilder aufzubauen. Wir sollten beginnen, sachliche Argumente auszutauschen. Wir sollten keine Lösungen fordern, bevor wir die Probleme durchdrungen haben. Sonst verlieren wir alle. Die meisten von uns verstoßen täglich gegen urheberrechtliche Vorgaben. Wenigen ist das in vollem Umfang bewusst. Ein Rechtsgebiet, dessen Normen nicht eingehalten werden, büßt auf Dauer seine Autorität ein. Darauf lässt sich auf zwei Weisen reagieren: entweder durch eine schärfere und effektivere Rechtsdurchsetzung oder durch eine Anpassung der rechtlichen Vorgaben an die tatsächlichen Verhältnisse. Beides birgt Chancen, beides birgt Risiken. Diese müssen wir offen und ehrlich besprechen. 

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