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Der Umgang mit dem Fremden - Zur Angst verurteilt

Der Mensch ist ein Hasenfuß. Anders hätten wir nicht bis heute überlebt. Zwar können Ängste mal mehr und mal weniger rational begründet sein. Eine verantwortungsvolle Politik sollte trotzdem nicht zwischen guten und schlechten Ängsten unterscheiden, sagt Alexander Grau

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Angst macht klein. Angst schränkt ein. Sie macht den Menschen unfrei, engstirnig und hartherzig. Angst ist unschön.

Andererseits ist Angst überlebensnotwendig. Angst warnt uns vor Gefahren. Angst sorgt dafür, dass wir uns nicht sinnlos in Gefahr geben, dass wir gesund und möglichst lang am Leben bleiben. Sie ist unser archaischstes, unser wichtigstes Gefühl. Ohne die Angst unserer Vorfahren wären wir nicht.

Doch der Mensch hat im Zuge der Evolution gelernt, vorausschauend zu agieren. Also versucht er Angst zu vermeiden. Wir haben Angst vor der Angst. Denn schon das Aufkommen von Angst ist ein ungutes Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt, dass eine Gefahr droht.

Unsere gesamte Zivilisation ist auf Angst gebaut
 

Aus diesem Grund ist unsere gesamte Zivilisation auf Angst gebaut – oder besser: auf deren Vermeidung. Menschen haben Städte gegründet, um hinter hohen Stadtmauern angstfrei und beschützt leben zu können. Und Sie haben Sicherheitskräfte geschaffen, um ohne Angst vor Überfällen, vor Verbrechern und räuberischen Banden ihrem Alltag nachgehen zu können.

Später in der Menschheitsgeschichte hat der Mensch den Sozialstaat geschaffen. Weil er Angst hat vor Armut, vor Hunger und Elend und weil er seine Liebsten versorgt sehen wollte, falls dem Ernährer der Familie ein Unglück zustößt. Denn der Mensch hat nicht nur Angst um sich, sondern mehr noch um die Menschen, die ihm lieb und teuer sind.

Und weil die Ansprüche des Menschen gewachsen sind, sind die Bedingungen für ein angstfreies Leben gestiegen. Einfache Existenzvorsorge reicht dem modernen Menschen in den westlichen Gesellschaften schon lange nicht mehr. Um angstfrei zu leben, braucht der Mensch der Wohlstandsmoderne mehr als die Gewissheit, morgen noch Wasser, Brot und ein Dach über dem Kopf zu haben. Wir haben Angst um unseren Reichtum und Angst vor allem, was diesen Reichtum bedroht. Das ist nicht logisch, aber menschlich.

Mut ist nichts als eine trotzige Angstreaktion
 

Der Grund dafür liegt in unserer Psyche. Unser Gehirn ist ein Gefahrenvermeidungsorgan. Seine wichtigste Funktion: uns am Leben zu erhalten. Deshalb scannt es in jeder Zehntelsekunde unsere Umwelt nach Indizien für eine Gefahr. Auch wenn es uns nicht immer bewusst ist: Wir leben in einem permanenten Alarmzustand, stets bereit, eine gefährliche Situation als solche zu erkennen, Angst zu bekommen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Mensch ist ein Hasenfuß, deshalb hat er so lange überlebt.

Der Mut, zu dem der Mensch auch fähig ist, ist nichts Anderes als eine trotzige Angstreaktion. Deshalb hat der Mensch eine Vielzahl an Ritualen entwickelt, um seine Angst zu überwinden – um mutig zu sein. Krieger stürzten sich mit Gebrüll auf ihren Feind, malten sich ihre Gesichter wild an, zogen mit Trommeln in die Schlacht oder benebelten sich mit Brandwein. Es ist die Angst, die unser primäres Gefühl ist. Zur Angstüberwindung müssen wir uns zwingen.

Weil das so ist, haben wir eine postheroische Gesellschaft erschaffen. Eine Gesellschaft, die keinen Mut erfordert, die unseren Wohlstand behütet und beschützt. Eigentlich müsste das Gefühl der Angst in westlichen Gesellschaften der Vergangenheit angehören.

Doch es ist vertrackt. Die Lebensumstände mögen so sicher sein, wie sie wollen: Wir ängstigen uns. Und wenn es keinen rationalen Grund für die Angst gibt, so signalisiert unser Gehirn dennoch Gefahr: vor Techniken, die wir nicht verstehen, vor überkomplexen Prozessen, die wir nicht überschauen, vor dem Geheimnisvollen, dem Unbegreiflichen und natürlich vor dem Fremden.

Schlimmer noch: In unserem Bedürfnis angstfrei zu leben, haben wir eine Welt geschaffen, die so komplex und undurchschaubar ist, das sie uns nur noch mehr ängstigt.

Nein, wir kommen von unseren Ängsten nicht los. Und zu behaupten, man müsse nur aufklären, um sie zu beseitigen, geht an der menschlichen Natur vorbei.

Natürlich gibt es rationalere und weniger rationale Ängste. Die Menschheitsgeschichte ist gespickt mit Ängsten, die schlichtem Aberglauben entsprangen oder einfachem Unwissen. Eine aufgeklärte, verantwortungsvolle Politik sollte daher nicht auf jeden denkbaren Unsinn eingehen.

Nicht zwischen guten und schlechten Ängsten unterscheiden
 

Doch viele Ängste entspringen schlicht unterschiedlichen Präferenzen. Menschen haben etwa Angst, ihre Identität zu verlieren, ihr gewohntes Lebensumfeld, das, was sie als ihre Kultur begreifen.

Um auch noch dieser Angst zu begegnen, haben wir pluralistische Gesellschaften geschaffen. Sie versuchen, Ängste zu mindern, indem sie jedem Lebensentwurf ein Refugium zu bieten. Doch leider nehmen insbesondere in pluralistischen Gesellschaften Ängste noch mehr zu, gerade weil in ihnen eine Vielzahl an Lebensmodellen miteinander konkurriert. Denn das macht wiederum Angst – auf allen Seiten. Es ist wie verhext.

In einer solchen Situation ist die Politik gut beraten, nicht zwischen guten und schlechten Ängsten zu unterscheiden. Zumal in einer Demokratie sollte jede Regierung auf die Ängste aller Menschen eingehen, deshalb wurde sie gewählt, hierin liegt ihre Legitimation. Eine Politik, die zwischen dunklen und hellen Ängsten unterscheidet, befeuert, was sie vorgibt zu vermeiden. Denn Angst essen Seele auf.

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