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Benedikt XVI. - „Der Rücktritt ist die Revolution seiner Amtszeit“

Joseph Ratzinger war in seinem knapp achtjährigen Pontifikat ein Konservativer im wahrsten Sinne des Wortes. Als solcher war er gewählt worden und nichts anderes hatte man von ihm erwartet. Mit seinem überraschenden Rücktritt entwächst er erstmals diesem Image

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Katie Kahle ist freie Journalistin und lebt in Rom

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Am Anfang seines Pontifikats stand ein Wechselbad der Gefühle. Als sich am Abend des 19. April 2005 weißer Rauch in den Nieselregen über dem Petersdom mischt, um anzukündigen, dass die Vollversammlung der Kardinäle einen neuen Papst gewählt hatten, waren erst 17 Tage vergangen. Erst 17 Tage zuvor hatten noch Millionen Gläubige in tiefer Trauer Johannes Paul II. beweint. Mit diesem charismatischen Vorgänger musste es der bis dahin als „Panzerkardinal“ und „Inquisitor“ verschriene, frisch gebackene Papst Benedikt XVI. nun aufnehmen. Die Kardinäle hatten ihn im Konklave an die Spitze der katholischen Kirche gewählt - drei Tage nach seinem 78. Geburtstag. „Ich bin doch nur ein einfacher, kleiner Arbeiter im Weinberg des Herrn“, sagte Benedikt nach seiner Ernennung mit sichtlich gemischten Gefühlen. Er habe den Kelch dieses Amtes angenommen, als wäre es der „Gang aufs Schafott“, kommentierten Kritiker später.

Ratzingers damals schon hohes Alter - die Kardinäle dürfen nicht älter als 80 sein, um überhaupt gewählt werden zu können - und sein Johannes Paul entsprechendes konservatives Profil sprechen für sich. Nicht nur scharfe Kritiker wie der italienische Vatikanist und Schriftsteller Marco Politi, auch Befürworter von Benedikt XVI. wie etwa sein ehemalige Schüler Wolfgang Beinert haben den deutschen Pontifex stets als bewusst gewählten Bewahrer gesehen. Nicht ein Reformer, sondern ein „Kurshalter“ sollte als Zwischenspiel die große emotionale Lücke, die der polnische „Papa Wojtyla“ hinterlassen hatte, überbrücken und verheilen lassen. „Benedikt ist nicht gewählt worden, um das Steuer des Kirchenschiffs herumzureißen“, so Beinert. Er habe einen von Grund auf konservativen Charakter.

„Il pastore tedesco“ titelte eine linke italienische Zeitung kritisch nach der Papstwahl 2005, was sowohl „der deutsche Hirte“ als auch „der deutsche Schäferhund“ heißen kann. Unfreundlich, vielleicht, doch ist Benedikt diesem Image des inquisitorischen Wachhundes in gewisser Weise treu geblieben bis zuletzt. „Nicht alle Meldungen, die aus Rom kommen, werden angenehm sein“, war sein Leitwort nicht nur in den langen Jahren  als strenger Präfekt der Glaubenskongregation unter Johannes Paul II. Bis heute bemühte er sich, auf dem konservativen Kurs seines polnischen Vorgängers die Einheit der Kirche zu bewahren. Auf Beliebtheit kam es ihm nicht an. Lange geforderte Reformen wie beim Zölibat oder der Sexualmoral mussten ausbleiben. Ein konservativer Papst also? Doch ist das nur die halbe Wahrheit. In ungewöhnlicher Weise war sein Pontifikat von schweren Krisen überschattet.

Nach Aufruhr um extrem konservative Äußerungen zu Abtreibung und Homosexualität schon gleich nach seiner Wahl, war es dann 2006, als der brillante Denker und Schreiber in Regensburg mit einem unseligen Mohammed-Zitat eine Welle gewalttätiger Proteste in der islamischen Welt auslöste. Mohammed habe nur „Schlechtes und Inhumanes“ gebracht, weil er den Glauben mit dem Schwert verbreiten lassen wollte, zitierte Benedikt damals bei einer Vorlesung einen byzantinischen Kaiser. Fassungslos fragte sich die Welt, wie der Papst in seiner Rolle die Tragweite einer solchen Äußerung nicht hatte vorhersehen können. Erste Kritik an dem weltfremden Professor, der auch als Kirchenoberhaupt weiter im Elfenbeinturm sitzt, ward laut.

Was folgte, ließ vor allem Deutschland erstmals an dem 2005 von einem deutschen Boulevard-Blatt gegossenen Freudentitel „Wir sind Papst“ ernsthaft zweifeln. Mit der umstrittenen Rücknahme der Exkommunikation der Piusbischöfe durch Benedikt riskierte der Vatikan den Super-Gau. Wie konnte ausgerechnet ein deutscher Papst „übersehen“, dass sich unter den teilrehabilitierten Bischöfen der Holocaust-Leugner Richard Williamson befand, fragte sich damals nicht nur die jüdische Welt entsetzt. Die Affäre Williamson bleibt bis heute für viele unfassbar. Wenig später legte sich dann mit der langsamen Aufklärung Jahrzehnte langen sexuellen Missbrauchs hinter Kirchenmauern eine wohl noch schwerere Krise bleiern auf die katholische Kirche. So entschlossen der Papst hier um Vergebung bat und „Null Toleranz“ forderte, die Kluft zwischen Kirche und Gläubigen verbreiterte sich.

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Über die Verantwortlichkeiten scheiden sich dabei bis heute die Geister. Die einen akzeptieren die Entschuldigung der Kurie einer „Kommunikationspanne“ : Benedikt selbst sei eine „reine Seele“, verteidigte etwa der einstige langjährige Chef von Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen, den Pontifex, andere sprachen von schwerer Mitverantwortung des Papstes.

„Das waren keine Medien- sondern echte Regierungspannen“, urteilte etwa Vatikankenner Politi und sprach von verharmlosten Katastrophen. Und das gelte bis zum letzten Skandal, der sogenannten Vatileaks-Affäre. Hier ließ der Raub von persönlichen Dokumenten aus den Gemächern des Papstes plötzlich tiefe Abgründe und Grabenkämpfe in der römischen Kurie erkennen. Verurteilt wurde Paolo Gabriele, Benedikts Kammerdiener. Doch an seine alleinige Schuld glaubt bis heute niemand. In noch keinem Pontifikat habe es so viele Krisen gegeben wie in diesem, so Politi.

„Der Krisenzustand ist praktisch permanent“. Nur als Zeichen mangelnder Führungskraft des Papstes könne man das auslegen. Der sei dafür bekannt gewesen, sich nicht gern reinreden zu lassen. Er habe nach dem Motto regiert: "Man darf den Fahrer nicht stören". Fehlendes Fingerspitzengefühl beim Regieren, fehlendes Talent. Ein Wechselbad auch hier also im Umschwung vom Charisma und Talent des Kirchenführers Johannes Paul II. hin zu der stillen, bescheidenen Strenge von Benedikt XVI. - stets ein bisschen zu intellektuell, um der Welt wirklich zugänglich zu sein.

Doch wo ihm das Talent zum Regieren gefehlt haben mag, wächst Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt über sich hinaus. Die volle Verantwortung eines politischen Führers, der sein Land - oder seine Kirche - nicht in Krisen im Stich lassen will, bewies er mit seinem spektakulären und wohl überdachten Abtritt. Wer die Weltkirche mit weit über einer Milliarde Katholiken leiten wolle, brauche “die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes“, gestand Benedikt ein eigenes „Unvermögen“ ein, das Schiff des Heiligen Petrus noch weiter durch die ihm immer fremdere Welt zu führen. „Dalla croce non si scende - Vom Kreuz steigt man nicht herab“, kritisierte ihn am Montag als einer der wenigen Stanislaw Dziwisz, einst Sekretär seines Vorgängers. Doch selbst scharfe Benedikt-Gegner sehen das anders.

„Der heutige Rücktritt von Benedikt XVI. ist die eigentliche Revolution seiner Amtszeit“, kommentierte Benedikt-Kritiker Politi im unabhängigen italienischen TV-Sender La7 die Entscheidung des Papstes. „Mit diesem Rücktritt vollendet er die Reform von Paul VI., der für Bischöfe und Kardinäle ein Höchstalter einführte“. Tatsächlich ist Benedikts Entschluss, aus Gesundheits- und Altersgründen abzutreten, einmalig in der Kirchengeschichte. Denn der in Italien stadtbekannte Coelestin V. trat zwar vor 700 Jahren auch zurück, doch schon wenige Monate nach seiner Ernnenung und unter politischem Druck. Auch als Affekthandlung ist sein Schritt wohl kaum zu betrachten. So hatte der im April 86-Jährige Joseph Ratzinger seine überlegte Revolution schon mehrfach angedacht. Ein Pontifex könne durchaus abtreten, wenn es geistig und körperlich nicht mehr gehe, äußerte er sich etwa 2010 in einem viel beachteten Interviewbuch gegenüber dem Schriftsteller und Gesprächspartner Peter Seewald.

Wandel im Vatikan braucht Zeit. Das ist nichts Neues. Und Papst Benedikt XVI. schien bislang weniger auf Strukturreformen der Kirche im 21. Jahrhundert als auf eine innere Erneuerung des Menschen zu setzen. Und mit rapiden Änderungen hatte er schon gar nichts am Hut. Mit seinem ungewöhnlichen Rücktritt scheint der Papst hingegen nun zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben: Eine kleine Strukturreform in ungewöhnlicher Schnelle.

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