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(picture alliance) Cool, cooler, Marlboro-Mann.

Starfotograf Hannes Schmid - Der längere Marlboro-Atem

Wer kann schon von sich behaupten, einen amerikanischen Mythos geprägt zu haben? Hannes Schmid, der Fotograf des Marlboro Man, kann es. Dass der Appropriation-Künstler Richard Prince Millionen mit Schmids Bildern machte, findet er nicht mehr tragisch. Dafür malt er jetzt selbst.

Es ist ein kleiner Ort an einem Waldrand außerhalb von Zürich, neugierige Pferde beäugen von ihren Weiden aus jeden Fremdling, der die stillen Straßen entlanggeht. „Ist es wegen der Pferde, dass Sie hier wohnen, Herr Schmid?“ Schließlich hat der Fotograf zehn Jahre lang mit vielen Pferden gearbeitet, drüben, in Amerika. Mit bis zu 250 pro Shooting, extra nur gezüchtet, damit sie als muskulöse Statisten den einen richtig in Szene setzen konnten: den Marlboro Man. „Nein, nein“, sagt Hannes Schmid, der zwischen 1993 und 2002 für Leo Burnett und Philip Morris Marlboro-Kampagnen entwickelt hat, „Pferde interessieren mich nicht.“ Aber seine Cowboys. Im Herbst 2009 hielt Barack Obama eine Rede, sagte, Amerika müsse sich auf seine Grundwerte besinnen, dazu wurde ein Bild des Marlboro Man eingeblendet. Einer von Hannes Schmid. Da wusste er: Ich habe einen amerikanischen Mythos geprägt.

Fotografieren gelernt hat Hannes Schmid in Südafrika. 1968 wanderte der 23-jährige Elektro- und Beleuchtungstechniker mit Freunden nach Kapstadt aus. Die abenteuerlustigen Jungs bekamen Arbeit bei der Telefunken, doch die Aufträge stockten. Kurz studierte er in Kapstadt an der Kunsthochschule, aber das war nicht seine Welt, er brachte sich lieber das Fotografieren bei. Die Kamera neutralisierte ihn, gab ihm eine Art Diplomatenpass, mit ihr war er auch bei den Schwarzen willkommen, doch die Aufnahmen, die er schoss, bekam er monatelang nicht zu Gesicht. Er schickte sie an eine Freundin in der Schweiz, die entwickelte sie und kritisierte ihn so konstruktiv, dass er bald die Bildideen fixfertig in seinem Kopf hatte, bevor er überhaupt abdrückte. Die Bilder selbst, die interessierten ihn gar nicht. Es waren Konzepte, denen er nachjagte, Arbeitsprozesse, nicht die Resultate.

Auch später nicht. Als er sich der Rockmusik und der Mode widmete. „Diese blöde Mode“, sagt er, und dabei war er in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre einer der gefragtesten Modefotografen der Welt und wurde 1988 in Paris zum Modefotografen des Jahres gekürt. Was er ausgerechnet Nina Hagen verdankte. Die neue deutsche Männer-Vogue wollte nämlich 1984 ihre erste Nummer mit einer Nina-Hagen-Modestrecke dekorieren, und Nina Hagen bestand darauf, nur mit dem unbekannten Schweizer zu arbeiten. Vor der Mode war Hannes Schmid sieben Jahre lang mit Rockbands um die Welt gereist, war der persönliche Tourfotograf von Blondie, von AC/DC, von Kim Wilde oder eben Nina Hagen, lebte mit ihnen und dokumentierte in ihrem Auftrag. Nicht für Magazine, sondern für die persönlichen „Familienalben“ der Stars.

Für die Männer-Vogue reiste er mit Nina Hagen nach London, er wollte sie so fotografieren wie auf Tour, in all ihrer schrägen Nina-Hagen-Normalität, und zu zweit gingen sie auf die Londoner Straßen, die Sängerin mischte sich in ihren Designerklamotten unter die Punks, und Hannes Schmid drückte ab. Die Fotostrecke wurde zum Erfolg, danach wollte die italienische Vogue, dass Schmid Wintermode fotografierte. Er ließ die Models an Seilen die Eigernordwand hoch- und runterklettern.

Plötzlich war Hannes Schmid ein Star, und dabei hatte er, der in den Bergen und auf Skiern aufgewachsen war, bloß das für ihn Naheliegendste getan. So wie er den Bands, mit denen er unterwegs gewesen war, das Skifahren beigebracht hatte. Abba zum Beispiel. „Rockstars“ hieß vor zwei Jahren das Buch zu seinen Jahren mit den Prominenten, es ist inzwischen ausverkauft. Der Verlag würde gern eine zweite Auflage lancieren, aber Hannes Schmid nicht, er ist ein Mann der scharfen Schnitte. Nostalgische Reue kennt er nicht. Nur seinen Cowboys ist er treu geblieben.

Es brauchte allerdings einen Schock, damit Schmid begriff, wie eng er und die Cowboys eigentlich zusammengehören. 2003 begegnete er bei der Biennale in Venedig sich selbst. Beziehungsweise seinem Plagiat. Einem Bild des Amerikaners Richard Prince, der einen Teil einer Schmid-Marlboro-Werbung fotografiert und mit seinem Namen signiert hatte. „Es stimmte ja“, sagt Schmid, „Prince hatte einen amerikanischen Mythos noch einmal neu fotografiert, er war der Autor dieses Bildes.“ Natürlich war er verblüfft, hilflos und wütend, dass da einer kam und millionenteure Werke aus seinen Vorlagen schuf. Er, der nie reich gewesen war. Der all sein Geld in Experimente und Abenteuer gesteckt hatte. Der mal im Urwald mit Orang-Utans gelebt hatte oder sich seit vielen Jahre ritueller chinesischer Oper in Singapur widmet.

Zuerst wollte er prozessieren. Sein Anwalt riet ihm davon ab und sagte: „Jetzt musst du eben selbst was machen. Malen zum Beispiel.“ „Malen? Ich kann doch nicht malen!“, beschwerte sich Schmid bei seiner Frau, einer Chinesin, und die sagte: „Wenn wir Chinesen etwas nicht können, üben wir so lange, bis es geht!“ Und so übte der Fotograf Hannes Schmid eben, bis er malen konnte. Seither nimmt er seine Cowboys, hebt sie heraus aus der auktorialen Anonymität der Werbefotografie, bannt sie auf der Leinwand und gibt ihnen endlich seinen Namen. Eignet sich das Eigene an. Schafft purste Appropriation Art. Bearbeitet die Oberfläche mit dem Pinsel so lange, bis sie fast keinen malerischen Charakter mehr hat, bis die Medien Fotografie und Malerei sich ineinander auflösen. Und erfindet so selbst ein Werk, das in seiner monumentalen, fotorealistischen Selbstbehauptung erneut sehr amerikanisch ist, genau wie der Marlboro Man. Ist er Richard Prince noch böse? „Nein! Prince verdanke ich alles!“, sagt Schmid. Und strahlt dazu wie ein Kind aus den Bergen, das gerade einen Schatz im ewigen Schnee geborgen hat.

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