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() Ist der Deutsche Film von der Rolle?
Der Deutsche Film - ins Abseits gefördert

Die deutsche Filmindustrie wird gnadenlos subventioniert, trotzdem entsteht meist nur Mittelmaß. Jetzt ist ein erbitterter Streit über das gesamte Finanzierungssystem entbrannt, der die Zukunft der Kinos infrage stellt. Gebannt erwartet die Branche eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.

Eigentlich ist alles in bester Ordnung. 300 Millionen Euro gibt es jährlich zur Unterstützung des deutschen Films, mehr als je zuvor. Zwei Drittel davon fließen in die Filmproduktion, der Rest dient der Absatzförderung. Dank der Einführung des Deutschen Filmfernsehfonds, kurz DFFF, wird ein immer höherer Anteil ohne kreativitätsbremsende Antragsbittstellerei ausgezahlt. Den DFFF nennen alle einen Segen: für den Filmstandort Deutschland, für die nun bestens ausgelasteten Studiokapazitäten von Babelsberg, für die Jobmaschine Film, für internationale Koproduktionen ebenso wie für kleine einheimische Werke. Die Zahl der deutschen Produktionen wächst und wächst, trotz Finanzkrise und Kinosterben. Obendrein ist der Film des Kulturstaatsministers liebstes Kind, gerade erst hat Bernd Neumann den Produzenten leichteren Zugang zu Bankkrediten verschafft. Kirsten Niehuus, Chefin der Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg, sagt es so: „Deutschland ist gut ausgestattet, es gibt einen enormen Humus, quantitativ wie qualitativ.“

Auch beim Publikum ist Kino „Made in Germany“ kein Kassengift mehr; 2009 sahen 27,4 Prozent der hiesigen Kinogänger einen deutschen Film. Es räumt Preise auf den internationalen Festivals ab, auch auf der Berlinale, wo der deutsche Film lange nicht offensiv vertreten war, ist „das Eis gebrochen“, so Festivalleiter Dieter Kosslick. Im Hauptprogramm der 61.Filmfestspiele, die am 10.Februar eröffnet werden, finden sich der erste 3-DFilm von Wim Wenders, der erste Spielfilm des Dokumentaristen Andres Veiel, Werke von Dominik Graf, Christian Petzold, Christoph Hochhäusler, Rosa von Praunheim und anderen mehr. Last but not least wird der Filmstandort Deutschland dank DFFF für Großproduktionen immer attraktiver, national wie international: „Früher verlegte die Constantin acht von zehn großen Produktionen ins Ausland, heute verhält es sich umgekehrt“, bestätigt Martin Mosz­kowicz vom Vorstand der Constantin. Quentin Tarantino, Michael Haneke, Roman Polanski oder der indische Star Shah Rukh Khan bringen zusätzliches Geld, Glamour und Know-how ins Land.

Wer genauer hinschaut, wird jedoch schnell wieder nüchtern. So viel Masse, so wenig Klasse. Wie kommt es, dass unter solch exzellenten Bedingungen so wenig nachhaltige Qualität entsteht, kommerziell wie kulturell? Wenn, wie zuletzt im Spätherbst, sieben deutsche Produktionen gleichzeitig starten, kannibalisieren sie sich auch noch gegenseitig. 2010 knackten gerade mal fünf deutsche Filme die Besuchermillionengrenze, die Buddy-Komödie „Friendship“ mit Matthias Schweighöfer (1,5 Millionen), gefolgt vom Animationsfilm „Konferenz der Tiere“, Fatih Akins „Soul Kitchen“, dem 3-DSpektakel „Resident Evil: Afterlife“ und dem Überraschungserfolg „Vincent will meer“. Der Marktanteil sank auf 15,5 Prozent, deutsche Filme verloren mehr als die Hälfte ihres Publikums. Ehrgeizige Genreversuche wie Dennis Gansels Vampirfilm „Wir sind die Nacht“ und Lars Kraumes Sciencefiction-Streifen „Die kommenden Tage“ floppten. Das größte Desaster 2010 hieß „Henri 4“. Gekostet hat Jo Baiers mit internationaler Prominenz besetzter Historienschinken 19 Millionen Euro, fast sämtliche Förderer waren beteiligt und fünf deutsche Fernsehsender. Eingespielt hat er in Deutschland gerade mal 260000 Euro. Die Branche redet sich das alles schön, von wegen „WM-Jahr und heuer kein neuer Til Schweiger dabei“. Die Länderförderer, die im Erfolgsfall ihr Geld zurückbekommen, sind es eh gewohnt, dass maximal 10 Prozent der Subventionen zurückfließen.

Der kulturell erfolgreichste deutsche Jungregisseur, Florian Henckel von Donnersmarck, ist samt Oscar nach Hollywood abgewandert; 100-Millionen-Dollar-Budgets wie für „The Tourist“ sind auf dem kleinen Binnenmarkt zwischen Ostsee und Alpen einfach nicht drin. Aber warum drehen auch Wenders und Volker Schlöndorff meistens im Ausland? Wieso sieht man auf Festivals für deutsche Filme, etwa auf den Hofer Filmtagen, so viel lähmendes Mittelmaß? Von Hoffnungsträgern wie Wolfgang Becker, Hans Weingartner, Valeska Grisebach oder Romuald Karmakar hat man lange nichts gesehen, und die im Ausland gefeierten Protagonisten der Berliner Schule (Petzold, Angela Schanelec, Thomas Arslan) haben sich in ihrer Filmkunstnische eingerichtet.

Okay, Tom Tykwer ist nach drei internationalen Großproduktionen mit seinem Liebesfilm „Drei“ wieder nach Berlin zurückgekehrt. Aber kreative Kontinuität, gar Tradition? Bleibt die Ausnahme. Dominik Graf, der intelligenteste Genre-Regisseur des Landes, dreht fast nur noch Fernsehfilme. Dabei braucht eine gesunde Kinofilmwirtschaft das am nötigsten: die Liaison von Kunst und Kommerz.

„Große Genre-Filme erfordern nun mal Leidenschaft und Entscheidungsmut, gegen die x-te Literaturverfilmung und gegen die naheliegendste Profitmaxime. Echte Liebe zum Kino ist keine Konsenskultur, daher selten“, sagt der Münchner Regisseur Dominik Graf und beklagt die Existenz einer kuratorenhaften Filmindustrie, die „großteils ein gediegenes bis muffiges ,Qualitätskino‘ hervorbringt, wie es schon die Nouvelle vague verachtet hat.“ Der Filmemacher und Drehbuchautor Klaus Lemke formuliert es noch drastischer: „Unsere Filme sind wie Grabsteine. Brav. Banal. Begütigend.“ In einem Manifest anlässlich des Hamburger Filmfests 2010 forderte er „Innovation statt Subvention“: die Abschaffung der Filmförderung aus Steuermitteln. Graf konstatiert „die Überheizung des Gewerbes durch zu viele Projekte, zu viele Kreative und zu viele Funktionäre. Alle benehmen sich wie kurz vor dem Börsengang, quoten- und preisesüchtig, besoffen vom eingebildeten Weltniveau, selbst die Filmhochschulen.“ Es brauche einen rasant frischen Wind.

Dieser Wind könnte schon bald wehen und sich zu einem Sturm auswachsen, obwohl die meisten mit den Förderstrukturen zufrieden sind. Tausend Töpfe, dem Föderalismus sei Dank: sieben Länderförderer, die bundesweite Filmförderanstalt der Branche (FFA), dazu Extragelder vom Staat, beim Deutschen Filmpreis zum Beispiel – da ist für jeden was drin. Bis zu 50 Prozent eines Films dürfen über Förderungen finanziert werden; wer beißt da schon gern die Hände, die einen füttern? Seit 2007 schüttet der DFFF jährlich zusätzlich 60 Millionen Euro Steuergelder aus und schießt bei jeder Kinoproduktion 20 Prozent des Budgets zu. „20 Prozent auf alles bedeuten eine unglaubliche Stärkung der Produzenten – sicherlich auch ein Grund, weshalb sie selbstsicherer und selbstbewusster geworden sind“, betont DFFF-Projektleiterin Christine Berg.

Aber die Förderung, die einst von den Autorenfilmern erstritten wurde, um Opas behäbigem Kino mit kritischen, nicht auf den Kassenerfolg angewiesenen Filmen Paroli zu bieten, sie steht auf der Kippe. Genauer: Die Zentrale ist in Gefahr, die FFA. Neben den mit Steuer- und Sendergeldern bestückten Ländertöpfen (2009 insgesamt: 141,6 Millionen Euro) ist sie mit einem Jahresbudget von gut 70 Millionen Euro die Gralshüterin der Branche. Ihre aus Branchenabgaben gespeisten Gelder sind besonders beliebt. Man braucht keinen Regionaleffekt zu erzielen wie bei den Länderförderungen und benötigt nicht unbedingt eine Verleihgarantie wie beim DFFF, schon gar nicht für eine Mindestzahl von 30 Kopien. Die FFA fördert laut Satzung „die kreativ-künstlerische Qualität des deutschen Films“ als Voraussetzung „für seinen Erfolg im Inland und im Ausland“. Sie will beides, den kulturellen und kommerziellen Erfolg des Zwitterwesens Kino.

Nun haben einige große Kinos, darunter die Ketten UCI und Cinemaxx, gegen ihre FFA-Abgabepflicht geklagt. Sie wollen ihren Anteil zum Solidarsystem nicht länger beisteuern und zahlen nur unter Vorbehalt – der Rechtsstreit begann 2004. Am 23.Februar wird das Bundesverwaltungsgericht verkünden, ob mit der jüngsten Novellierung des Filmfördergesetzes endlich die seit Jahrzehnten angemahnte „Abgabengerechtigkeit“ hergestellt ist. Abgabengerechtigkeit bedeutet: Wer vom deutschen Film profitiert – die Kinos, die Videowirtschaft, die TVSender –, zahlt einen gesetzlich geregelten Anteil seines Umsatzes; im Gegenzug gibt es Nachlässe bei der Mehrwertsteuer. Die Kinos und DVD-Labels sind zum FFA-Obulus verpflichtet, die Sender zahlten bislang freiwillig. Erst seit einem halben Jahr sind auch sie in der Pflicht. Die Forderung der Kinos, so FFA-Vorstand Peter Dinges, sei damit erfüllt. Dennoch wurde die Klage nicht zurückgezogen, weil „die Pflichtabgaben der TV-Sender gemessen an deren Umsatzgrößen weit unter denen der Filmtheater liegen“, wie Andreas Kramer vom Hauptverband der Filmtheater ausführt. Auch könnten die Sender ihre Zahlungsverpflichtung anstelle von Cash teils mit Medialeistungen abgelten, etwa mit Sendezeit für Kinofilmwerbung. Die Filmtheater können das nicht. Und mit Medialeistungen, so Kramer, lassen sich auch keine neuen Kinofilme produzieren.

Dem Urteil vom 23.Februar sieht die Branche mit Nervosität entgegen. „Wenn die Kinoketten sich ausklinken, hätte das massive Auswirkungen auf die Produktionslandschaft“, sagt Constantin-Produzent Martin Moszkowicz. Er versteht die Filmtheater nicht: „Eine Reduktion deutscher Filme hätte auch empfindliche Einbußen für die Kinos zur Folge.“ Kulturstaatsminister Neumann weist ebenfalls darauf hin, dass selbst die großen Kinoketten mit ausschließlich amerikanischen Filmen keine Überlebenschance hätten. „Der Mix der Produktionen ist unverzichtbar. Wenn die Kinos aus der FFA aussteigen wollen, sägen sie den Ast ab, auf dem sie sitzen.“ Schließlich ist die FFA auch bei der digitalen Umrüstung der Filmtheater ein wichtiger Partner.

Im Zuge der Digitalisierung sind die Kinos in der Tat besonderen Herausforderungen ausgesetzt, wie Peter Dinges zugibt. Kleinere Häuser müssen schließen, Mitte Januar sogar das Münchner Traditionskino Tivoli: wegen sinkender Zuschauerzahlen im DVD-Zeitalter, wegen Umsatzeinbrüchen trotz 3D, wegen der Piraterie und vor allem, weil Produktion und Verleih zwar billiger werden, die Filmtheater den guten alten unkaputt­baren Projektor aber gegen kostspielige Digitaltechnik austauschen müssen. Auch dafür gibt es Staatsknete. Aber auf den vom Bund angebotenen Deal, die Klage gegen großzügige Unterstützung fallen zu lassen, mochten die Kinos nicht eingehen.

Andreas Kramer versichert, dass die Kinos die Filmförderung nicht kippen wollen: „Wir haben Interesse an einer soliden, gerechten, nach wirtschaftlichen Maßstäben ausgerichteten Filmabgabensystematik.“ Die gerichtsnotorische Aufkündigung des 40 Jahre alten Solidarpakts macht jedoch zweierlei deutlich. Zum einen, dass die Sonderbehandlung der Sender viel zu lange währte. Zum anderen, dass das Fördersystem dringend der Realität angepasst werden muss.

Lesen Sie im nächsten Teil des Artikels, ob der deutsche Film totgefördert wurde.

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