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Überhitzte Debatten - Endstadium Nazikeule

Kolumne: Empörung. Alexander Marguier möchte seine Diskussionssucht zügeln, um nicht an einer Überdosis Empörung zu verenden. Ein Plädoyer fürs Empörungsfasten

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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An alle Empörten in diesem Land, ich habe eine Idee! Wir alle, die wir uns so wahnsinnig gern über alles Mögliche empören, wissen natürlich auch um Gefahren, die daraus erwachsen. Da wäre zum einen das nicht zu unterschätzende Suchtrisiko: Wenn ich erst einmal damit anfange, setze ich meist einen Empörungsmechanismus in Gang, der dazu führt, dass sich andere über meine Empörung empören und ich mich selbst umso empörter zurückempören muss.

Will sagen: Es braucht eine immer stärkere Dosis, und am Ende hilft nur noch eine dreimonatige Entziehungskur in der Empörungsheilanstalt. Da werden einem übrigens den ganzen Tag lang tibetanische Mönchsgesänge vorgespielt und es herrscht striktes Internet- und Nachrichtenverbot (was bei den ganz hoffnungslosen Patienten natürlich akute Empörungsrückfälle hervorruft). Ich schlage deshalb vor, Debatten künftig mit Warnhinweisen zu versehen: „Achtung, eine Teilnahme kann süchtig machen. Wer debattiert, riskiert Bluthochdruck und Herzrasen!“ Vielleicht sollte man auch Schockbilder einsetzen, beispielsweise Porträts von Debatten-Junkies wie Matthias Matussek, Henryk M. Broder oder Jakob Augstein.

Ich selbst bin ja eher ein kleines Licht im Empörungszirkus, alle zwei Wochen gebe ich mir an dieser Stelle den schnellen Schuss und hoffe dabei insgeheim, dass die Meinungswirkung so lange wie möglich anhält. Aber selbst als harmloser Kiffer unter den vielen Produzenten harter Ansichten werde auch ich immer öfter zum Opfer des selbstreferentiellen Reiz-Reaktions-Schemas – die Versuchung, immer noch eins draufzusetzen, ist einfach zu groß.

Endstadium Nazi-Vergleiche
 

Im Endstadium dieser gefährlichen Kommentatorenkrankheit ist dem Vernehmen nach mit dem verstärkten Gebrauch von Nazi-Vergleichen zu rechnen, von einem Totalverlust jeglichen Empathievermögens ganz zu schweigen. Und wenn gar nichts anderes mehr wirkt, gibt es ja immer noch Twitter, eine Art Crystal Meth unter den Meinungsmacherdrogen. Tja, Freunde, so schnell kann es gehen: Da will man eine gepflegte Diskussion beginnen, und plötzlich schwingt man wutschnaubend die Faschismus-Keule. Der Erkenntnisgewinn korreliert in solchen Fällen übrigens negativ mit dem Grad der Empörungsbereitschaft.

Und jetzt meine Idee: Heute ist ja Aschermittwoch. Das wäre doch ein hervorragender Anlass, um sich Asche aufs Haupt zu streuen, ein paar Wochen lang die eigenen Meinungen zu überdenken und zu versuchen, sich in den Kopf der Debattengegner hineinzuversetzen. Das Empörungsfasten soll ja nur bis Ostern währen, also keine Angst! Natürlich ist das am Anfang schwierig, weil dann ja doch gleich wieder jemand mit einer Meinung um die Ecke kommt und man mit zitternder Hand zum Patronengurt voller Gegenmeinungen greifen will. Einfach tief durchatmen und mal sämtliche Argumente stecken lassen, so plausibel sie auch sein mögen!

Selbstverständlich will auch ich in keiner Welt leben, in der Thilo Sarrazin nur noch Haikus dichtet oder Jan Fleischhauer von Spiegel online ganz ohne Schaum vor dem Mund über die Vor- und Nachteile des Gender Mainstreamings räsoniert. Das wäre auf Dauer ja doch ziemlich langweilig. Aber sechs Wochen ohne Gezeter, Unterstellungen und Rechthaberei, das könnte vielleicht auch eine interessante Erfahrung sein.

Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, mich während der Fastenzeit auf Empörungsdiät zu setzen. Mal sehen, ob ich durchhalte.

 

 

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