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Debatte um französische Schulreform - Es wird weniger Deutsch gesprochen

Die Schulreform in Frankreich soll für mehr Chancengleichheit sorgen. Doch sie wird vor allem künftig junge Franzosen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen und sich auf die deutsch-französischen Beziehungen auswirken – und auf ganz Europa

Autoreninfo

Professor Dr. Christoph Barmeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation an der Universität Passau, Programmbeauftragter eines Doppelmaster-Studiengangs mit der Universität Aix-en-Provence und Experte für deutsch-französisches Management.

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Lehrer, Politiker und vor allem Kulturträger der deutsch-französischen Zusammenarbeit diskutieren seit Wochen über die Schulreform in Frankreich. Die heftigen Auseinandersetzungen offenbaren die möglichen tiefgreifenden Auswirkungen für die deutsch-französischen Beziehungen und damit auch für Europa.

Um mehr Chancengleichheit zu erreichen, wird die für 2016 geplante umfassende Schulreform bilinguale Unterrichtszweige, aber auch Latein und Griechisch und die sogenannten Europaklassen abschaffen. Auch der Deutsch-Unterricht, der ab 2004 intensiviert wurde, soll in den Hintergrund treten.

Schulreform in einem normalisierten Verhältnis zu Deutschland


Es ist kein Zufall, dass diese Reform jetzt aufs Tapet kommt. In der Amtszeit des Premierminister Jean-Marc Ayrault (2012-2014), Germanist und ehemaliger Deutschlehrer, wäre so eine Schulreform sicherlich schon im Keim erstickt worden. Ebenso bei Staatsoberhäuptern wie Charles de Gaulle, Valérie Giscard d'Estaing oder François Mitterrand, deren Biografien durch deutsche Erfahrungen geprägt waren.

Diese Elite der Fünften Republik wird nach und nach von einer jungen Generation abgelöst, die von Multikulturalität geprägt ist. Die aus Marokko stammende französische Bildungsministerin, Najat Vallaud-Belkacem, gehört zu dieser Generation. Für Franzosen wie Vallaud-Belkacem hat ein privilegiertes Verhältnis zu Deutschland keinen hohen Stellenwert mehr – denn sie sind europäisch. Sie leben in einem „normalisierten“ Verhältnis zu Deutschland.

Doch auch wenn das Thema der Völkerverständigung und des Krieges in den Hintergrund rücken, ist es immer wieder wichtig und notwendig gemeinsame Impulse und Ziele zu entwickeln. Genau dies hat das deutsch-französischem Tandem in Europa geleistet. Genau von diesem couple franco-allemand nehmen die Befürworter der Reform Abstand.

So wird argumentiert, dass auch Beziehungen mit anderen Ländern, wie zum Beispiel Polen für Deutschland oder Spanien für Frankreich genau so privilegiert (oder nicht) behandelt werden könnten. Weniger intensiver Deutsch-Unterricht wäre somit zu verschmerzen, wenn auch andere Fremdsprachen gefördert würden.

Deutsch-Unterricht an französischen Schulen als Symbol des Elitären


Dabei wird vergessen, dass europäische Sprachen wie Deutsch und Französisch wichtige Ressourcen des internationalen Arbeitens und Lebens sind. Denn Sprache dient der Identitäts- und Vertrauensbildung und des gegenseitigen Schätzens und Verstehens. Englisch ist nur auf den ersten Blick eine geeignete Lingua Franca, in der sich viele nicht-muttersprachliche Fach- und Führungskräfte nicht differenziert ausdrücken können. Die Auswirkungen auf Projekte und Zielerreichung, und die dadurch entstehenden Missverständnisse sind nicht zu unterschätzen.

Multilinguale Arbeit kann durchaus fruchtbar sein. In deutsch-französische Organisationen, wie beim Fernsehsender ARTE oder Alleo, ein Joint Venture von DB und SNCF zur Betreibung der grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitszüge ICE und TGV, arbeiten Franzosen und Deutsche effizient zusammen – und kommunizieren auf Deutsch und Französisch.

Der Deutsch-Unterricht an französischen Schulen ist vielen ein Symbol des Elitären. Denn er nimmt in vielen bilingualen Klassen einen besonderen Stellenwert ein – Klassen, die angeblich vor allem von Kindern höherer Schichten besucht werden. In der Tat bildet Deutsch zusammen mit Mathematik die größte Hürde in den nationalen Aufnahmewettbewerben zu Frankreichs Elitehochschulen, den Grandes Ecoles.

So bringen die Befürworter der Schulreform ein urrepublikanisches Ideal auf ihrer Seite: jenes der Egalité – der Gleichheit. Sie gehört zu den Grundwerten der französischen Republik und der französische Zentralismus versucht seit Jahrhunderten diese zu verwirklichen. Hierzu dient vor allem ein Bildungssystem, das sowohl die Integration des Individuums in die Gesellschaft als auch gesellschaftlichen Aufstieg aller sozialen Klassen ermöglichen soll. Mit der Schulreform könnte das Gegenteil eintreten.

Französische Jugendliche mit schlechteren Chancen auf dem europäischen Arbeitsmarkt


Denn in der Entwicklung und Sozialisation von Franzosen ist die Schule - hier das collège – nur eine Etappe. Es folgt in der Regel eine akademische Ausbildung und dann der Eintritt in den Arbeitsmarkt. Doch der wird zunehmend internationaler und europäischer. In Frankreich beträgt die Jugendarbeitslosigkeit seit vielen Jahren 25% und damit fünf mal mehr als in Deutschland, wo es derzeit viele offene Stellen für Fach- und Führungskräfte gibt. Ein Markt, auf dem künftig Franzosen ohne Deutsch-Kenntnisse kaum eine Arbeit finden werden.

Doch der Deutsch-Unterricht ist nicht nur aus ökonomischer Sicht wichtig. Sich in verschiedenen Sprachen auszudrücken und arbeiten zu können, ist weder Selbstverständlichkeit noch Luxus. Sprachlicher und kultureller Pluralismus ist ein ungewöhnliches Alleinstellungsmerkmal europäischer Kultur.

Und diese Sprachkenntnisse stehen nicht für sich allein, sondern sind begleitet von Kenntnissen über das Nachbarland. Dies kann reichen bis zu profunden Kenntnissen gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer kultureller Strukturen und Logiken. So können sowohl Kenntnisse über deutsche zeitgenössische Literatur oder Philosophie von Nutzen sein, wie auch das Wissen über das föderale deutsche System, das sich beispielsweise auch in Unternehmensstrukturen und -kulturen mit deutschen Besonderheiten wie Aufsichtsrat und Mitbestimmung findet.

Bereichernde Zusammenarbeit bei interkulturellem Verständnis


Sprachunterricht ermöglicht auch Perspektivenwechsel, indem diese Systemeigenarten beschrieben werden. Diese werden somit besser verstanden und können für die deutsch-französische Zusammenarbeit konstruktiv genutzt werden. So zeigen interkulturelle Studien zum deutsch-französischen Management, dass es in Unternehmen wie Airbus, ARTE oder Alleo zu einer bereichernden Zusammenarbeit führt, wenn es gelingt unterschiedliche Denk- und Arbeitsweisen zu schätzen und diese in gegenseitigen interkulturellen Aushandlungsprozessen zu kombinieren.

Diese Interkulturelle Kompetenz hat auch einen großen Stellenwert für die deutsch-französischen Beziehungen. Hier geht es grundsätzlich um Eigenschaften wie Offenheit, Respekt, Empathie und Ethnorelativismus, der sich darin ausdrückt, andere kulturelle Werte- und Normensysteme und Verhaltensweisen zu akzeptieren und als ebenbürtig zu achten.

Es scheint, als seien sich die Bildungspolitiker der französischen Regierung und einige Kommentatoren weder dieser Besonderheit noch der Tragweite dieser Reform bewusst. Gerne würde ich sie einmal teilhaben lassen an deutsch-französischen Schulklassen, deutsch-französischen Bachelor-Master- und Doktorandenprogrammen oder an deutsch-französischen Projekten außerhalb des Bildungssektors, damit sie etwas von der Faszination dieser bereichernden Interkulturalität spüren könnten!

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