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() Friedrich Nietzsche litt unter Kurzsichtigkeit, Migräne und Magenproblemen.
Das vergiftete Genie

Sie sind Genies mit Handicap: Viele Künstler, Philosophen, aber auch Potentaten und Politiker waren schwer krank. Ihre Biografien lesen sich zuweilen wie Krankengeschichten, manchmal gleichen sie sogar Kriminalromanen. Denn oft spielen die Ärzte eine unheilvolle Rolle im Leben ihrer prominenten Patienten – so wie auch bei Ludwig van Beethoven.

Die Musiker hatten schon davon gehört, dass ihr Dirigent nur noch über sogenannte Konversationshefte kommunizierte, weil er das gesprochene Wort kaum noch verstehen konnte. Doch jetzt, an einem kalten Wiener Novembertag 1822, wurde auch dem letzten klar: Beethoven ging der Welt, vor allem seiner Welt der Musik, immer mehr verloren. Die Generalprobe zum „Fidelio“ war ein Fiasko. Beethovens Adlatus Anton Felix Schindler schrieb später dazu: „Die Ouvertüre ging noch reibungslos; aber bei dem ersten Duett stellte sich heraus, dass Beethoven nichts von dem hörte, was auf der Bühne erklang.“ Man versuchte es noch einmal, doch wiederum endete alles im Chaos. Beethoven blickte fragend zu Schindler, und der empfahl ihm auf einem Zettel, nach Hause zu gehen. Geschrieben, getan: Der ertaubte Komponist ließ sich nicht zweimal bitten, und mit einem kurzen und lauten „Geschwinde heraus!“ entschwand er aus dem Saal. Man hatte den Eindruck, dass er das Proben-Malheur gelassen hinnahm – doch dieser Eindruck täuschte. Zu Hause angekommen, warf sich Beethoven auf das Sofa und bedeckte mit beiden Händen sein Gesicht. Er blieb stumm, auch während des Essens, konnte sein Schicksal kaum fassen. „Ein Bild der tiefsten Schwermut und Niedergeschlagenheit“, wie Schindler befand. Später äußerte der Komponist Suizidgedanken. Ein weiterer Auftritt endete absurd: Am 7.Mai 1824 wurde die Neunte Symphonie uraufgeführt. Beethoven war zwar formal noch als Dirigent auf der Bühne, doch eigentlich gehorchte das Orchester einem „assistierenden“ Kollegen, der etwas abseits stand. Nach dem Konzert brach das Publikum in frenetischen Jubel aus. Beethoven jedoch, der dem Orchester zugewandt stand, merkte nichts davon. Eine Sängerin drehte ihn schließlich um, damit er die Huldigungen wenigstens sehen konnte. Ludwig van Beethoven ist neben Wolfgang Amadeus Mozart der berühmteste Vertreter der Wiener Klassik. Und mindestens so bekannt ist auch die Taubheit des Komponisten. Das Musikgenie, das seine großartigen Kompositionen irgendwann nicht mehr hörend, singend und spielend, sondern nur noch mittels imaginärer Töne in seiner Fantasie entwickeln konnte – aus solchem Stoff entstehen Legenden für die Ewigkeit. Was jedoch nur wenige wissen: Mit dem Beginn seiner Taubheit, als er nur noch mit großem Ohrschalltrichter am Klavier saß, ließ auch Beethovens Produktivität stark nach. Die tauben Ohren waren nicht sein einziges Gesundheitsproblem. Und es war auch nicht seine Taubheit, die den Komponisten mit gerade einmal sechsundfünfzig Jahren in den Tod trieb. Sein frühes Ableben verdankte er in erster Linie seiner maroden Leber – und seinen Ärzten. Beethovens Schwerhörigkeit kam zunächst schleichend, zwischen seinem sechsundzwanzigsten und seinem achtundzwanzigsten Lebensjahr. Bereits drei Jahre später bestimmte sie sein Leben: „Der neidische Dämon hat meiner Gesundheit einen schlimmen Streich gespielt, nämlich mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden“, schrieb er damals. „Meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich bringe mein Leben elend zu. Seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher, aber in meinem Fach ist es ein schrecklicher Zustand.“ Beethoven suchte medizinische Hilfe. Bis zu seinem Tod konsultierte er mindestens zehn Ärzte, oftmals sogar parallel, sowie einen heilkundigen Geistlichen. Helfen konnte ihm niemand. Voller Resignation klagte er im Oktober 1802: „Aber bedenket nur, dass seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen.“ Beethoven entwickelte ein zunehmend gespaltenes Verhältnis zu den Vertretern der Medizin. Einerseits verspottete er sie als „hochgelahrte Herren“, die viel versprachen, doch nur wenig hielten, andererseits ging es ihm schlecht genug, dass er willfährig nach jedem medizinischen Strohhalm griff – und dabei auch schon mal eine ganze Flasche Kräutersaft austrank, obwohl man ihm nur einen Löffel davon verordnet hatte. Keine Frage: Beethoven war ein schwieriger Patient – und multimorbid. Seine im Jahre 1812 erstellte Gesichtsmaske zeigt deutliche Pockennarben. Außerdem wurde er von Masern und Typhus heimgesucht. Er hatte rheumatische Beschwerden und litt immer wieder unter Schnupfen, Asthma, Nasenbluten und Unterleibskrämpfen. 1810 stürzte Beethoven schwer auf seinen Kopf, weil er aufgrund seiner Fehlsichtigkeit kaum noch etwas erkennen konnte. Er war – ähnlich wie Goethe, den er 1812 in Karlsbad traf – zu eitel, um eine Brille zu tragen. In seinen letzten Lebenswochen lag Beethoven nur noch im Bett. Täglich kamen mindestens zwei Ärzte zur Visite. Ihr Patient hatte offenbar akute Leberprobleme und litt unter den Symptomen Gelbsucht, Brechdurchfall und starker Wassersucht. Am 20.Dezember 1826 wurde er punktiert, und der Arzt notierte: „Fünf und eine halbe Maß“: Das heißt, fast acht Liter Flüssigkeit wurden abgelassen. Weitere Punktionen folgten, was Beethoven mit dem ihm eigenen derben Humor kommentierte: „Besser Wasser aus dem Bauch als Wasser aus der Feder.“ Einer seiner Freunde empfahl, den abgelassenen Beethoven-Sud anderen Komponisten zum Trinken zu geben, „damit sie endlich gute Gedanken bekommen“. Beethovens Abschied war so gesehen eher ein fröhlich-zynischer Abgesang als eine depressive Trauerveranstaltung. Dazu passt, dass ihm einer der Ärzte – Dr.Johann Baptist Malfatti, der Beethoven schon früher behandelt hatte und daher gut kannte – ein ebenso leckeres wie hochprozentiges Punscheis verordnete. Er wusste eben, dass Alkohol die Stimmung seines Patienten stets verbessern konnte. Und in der Tat jubilierte Beethoven: „Wunder, Wunder, Wunder!… Nur durch Malfattis Wissenschaft werde ich gerettet.“ Was sich allerdings nicht ganz bewahrheiten sollte. Am 23.März 1827 notierte sein Freund Ferdinand Hiller: „Matt und elend lag er da, zuweilen tief seufzend, kein Wort entfiel mehr seinen Lippen, der Schweiß stand ihm auf der Stirn.“ Drei Tage später wurde er von seinen Leiden erlöst. Kurz vor seinem Tod traf noch eine Weinsendung ein. Beethovens Kommentar: „Schade, schade – zu spät.“ Wissenschaftler rätselten seitdem über die Ursachen seiner Leidensgeschichte. Schon fünfundzwanzig Jahre vor seinem Tod hatte Beethoven im „Heiligenstädter Testament“ den Wunsch geäußert, dass die Nachwelt die Ursache seiner Taubheit erforschen möge. Deshalb wurde er nach seinem Ableben obduziert. Das Protokoll dokumentiert neben Bauchwassersucht, Leberzirrhose und verkümmerten Hörnerven einen ausgesprochenen „Dickschädel“: „Die Windungen des sonst viel weicheren und wasserhaltigen Gehirnes erschienen nochmals so tief und zahlreicher als gewöhnlich. Das Schädelgewölbe zeigte durchgehends große Dichtheit und eine gegen einen halben Zoll betragende Dicke.“ Die verkümmerten Hörnerven hatte man erwartet, doch sie waren sicherlich nicht die Ursache für Beethovens qualvollen Tod; außerdem mussten sie ja selbst irgendeine Krankheit als Ursache haben. Einige Mediziner dichteten dem Musiker daher eine Syphilis an – eine Mode-Diagnose des 19. und frühen 20.Jahrhunderts, die auch den Philosophen Nietzsche und viele andere Geistesgrößen treffen sollte. Beweise gibt es nicht, nur Gerüchte. Wissenschaftlich abgesichert dagegen ist eine These, die uns wesentlich mehr schaudern lässt: Aufgrund neuerlicher medizinischer Analysen muss als gesichert gelten, dass Beethoven vergiftet wurde. Im Jahre 2007 fand der Wiener Gerichtsmediziner Professor Christian Reiter in Beethovens Haaren extrem hohe Bleiwerte. Untersuchungsmaterial hatte der Gerichtsmediziner mehr als genug, denn der tote Komponist war dereinst von Andenkenjägern fast kahl „gepflückt“ worden, und einige der erbeuteten Locken sind bis heute erhalten. Der Befund bestätigte den lange schwelenden Verdacht, dass der Musiker durch Schwermetall vergiftet wurde. Allerdings dachte man bislang, dass er es hauptsächlich durch Wein aufgenommen hätte, den er gerne und in großen Mengen trank – und der zu Beethovens Zeit oft mit „Bleizucker“ versetzt wurde, um ihn zu süßen und dabei unappetitliche Säuren zu binden. Reiters Haaruntersuchungen, mit denen sich die letzten vierzehn Monate im Leben Beethovens toxikologisch lückenlos dokumentieren lassen, konnten dies jedoch nicht bestätigen. Vielmehr müsse es, so der Gerichtsmediziner, in den letzten einhundertelf Tagen des Komponisten „phasenhafte, exzessive Bleibelastungen“ gegeben haben. Diese jedoch könnten unmöglich vom Wein stammen; mit zunehmendem Alter sprach ihm der Komponist immer weniger zu, seiner schwächer werdenden Leber zuliebe und auf das Drängen seiner Ärzte hin. Reiters These: Das Schwermetall gelangte vermutlich durch ärztliche Therapieversuche in den Körper. Denn Beethoven litt in seinen letzten Lebensmonaten an einer Lungenentzündung, und die behandelte sein Hausarzt Dr.Andreas Wawruch, wie es damals in der Medizin üblich war, mit Bleisalz, dem eine schleimlösende Wirkung zugesprochen wurde. Darüber hinaus wurde der wassersüchtige Musiker mehrmals punktiert – und danach wurden die Wunden mit Bleiseife verklebt. „Giftige Schwermetalle wie Blei, Quecksilber oder Arsen vertraten seinerzeit die Antibiotika“, erklärt Reiter, „und ihre giftigen Nebenwirkungen wurden als das kleinere Übel etwa im Vergleich zu einer Bauchfellentzündung angesehen.“ Bleibt festzuhalten, dass Wawruch gemäß den damals üblichen Therapieoptionen handelte, also seinen Patienten weder fahrlässig noch absichtlich verbleite. Außerdem hätte Beethoven die Behandlung vermutlich überlebt, wenn er nicht schon vorher seine Leber mit Unmengen an Wein ruiniert hätte. Als Spross einer Alkoholikerfamilie saß er bereits mit elf Jahren im Wirtshaus, und später standen stets Wein oder Bier bei den Mahlzeiten neben seinem Teller. Es kam daher bei ihm schon relativ früh zu einer Leberzirrhose – und eine gesunde Leber ist bis heute eine der wichtigsten Voraussetzungen, um ärztliche Therapieversuche ohne Schaden überstehen zu können. Es ist ein geradezu essenzielles Merkmal künstlerischer und philosophischer Genies, dass sie unter besonders schweren Krankheiten leiden – und von diesen auf eigentümliche Weise geprägt werden. So wie Vincent van Gogh, der einem Freudenmädchen ein blutendes Stück seines Ohrs überreichte, oder Paul Klee, dessen Gesicht durch Sklerodermie in eine Maske verwandelt wurde. Ernest Hemingway versprach seinem Psychiater immerhin, dass er sich nicht in seiner Klinik umbringen werde; er hielt dieses Versprechen und tötete sich zu Hause. Die großen Politiker suchten hingegen die Nähe zu Ärzten, um sich von ihnen für das erschöpfende Tagesgeschäft fit machen zu lassen. Churchill und Roosevelt etwa wären ohne medizinischen Beistand in Jalta, wo sie mit Stalin um die Aufteilung Europas feilschten, nicht mehr verhandlungsfähig gewesen. Und John F. Kennedy gab nach außen hin zwar den gesunden Strahlemann – doch gelang ihm das nur, weil man ihn mit Spritzen und Tabletten schmerzfrei hielt. Selbst wenn ein Patient nicht mehr läuft – die Arbeit eines Arztes muss nicht beendet sein, wenn der Patient tot ist. Dann können nämlich seine Gutachten gefordert sein, und das umso mehr, je berühmter der Patient ist. Wie etwa bei Friedrich Nietzsche, dem Ärzte posthum eine Syphilis andichteten, oder bei Napoleon, Beethoven und Schiller, die sich auf eigenen Wunsch obduzieren ließen, um die Nachwelt in Kenntnis davon zu setzen, woran sie litten und starben. Das Leben und Sterben vieler Berühmtheiten war also zwangsläufig von einem intensiven Kontakt mit Ärzten geprägt. Beim Gang durch die Weltgeschichte berühmter Patienten fällt allerdings auf, dass viele von ihnen medizinisch mehr schlecht als recht betreut wurden. Viele historische Superstars erhielten von ihren Ärzten falsche Diagnosen und Behandlungen. Die ärztlichen Fehler könnte man nachsehen. Der Fortschritt bringt es mit sich, dass vieles von dem, was einst richtig schien, später als fehlerhaft entlarvt wurde. Sigmund Freud etwa experimentierte fleißig mit Kokain; er setzte seine Patienten und selbst Freunde und seine Verlobte auf Koks, „um sie stark und kräftig zu machen“. Heute würde man ihn dafür ins Gefängnis stecken, damals war es ein Experiment, bei dem nicht nur der Vater der Psychoanalyse an einen guten Ausgang glaubte. Moralisch fragwürdiger ist es da schon, wenn ein Arzt für eine falsche Therapie plädiert, nur um seinen Ruf zu wahren und die Kollegen zu brüskieren. So geschehen beim todkranken Papst Pius XII., den einer seiner Ärzte unbedingt noch operieren wollte. Der schneidewütige Mediziner konnte sich jedoch nicht durchsetzen und gab dann eine Pressekonferenz, auf der er seine Kollegen beschimpfte und das baldige Ende des Kirchenoberhauptes vorhersagte. Pius lebte allerdings noch ziemlich lange und wurde zweiundachtzig Jahre alt. Ganz und gar kriminell wird es schließlich, wenn Ärzte ihre berühmten Patienten bewusst anlügen und ihnen Diagnosen verschweigen, weil sie als Todkranke nicht ins öffentliche Bild passen. Evita Perón beispielsweise erfuhr niemals wirklich, woran sie litt – und wurde am Ende sogar ohne ihr Wissen am Unterleib operiert, um sie der Politik zu erhalten. Ein ganz spezieller Fall ist in diesem Zusammenhang Dr.Theo Morell, der Leibarzt Adolf Hitlers. Er hatte wenig medizinisches Fachwissen, wollte mit seinem Führer ganz schnell ganz nach oben kommen und verwandelte dafür seinen Patienten in ein Drogenlabor auf zwei Beinen. Morell war ein echtes Universalgenie, der alle Kriterien für einen schlechten Arzt erfüllte. Schließlich wusste schon der Dichter und Pädagoge Jean Paul vor zwei Jahrhunderten zu berichten: „Ein guter Arzt rettet, wenn nicht immer vor der Krankheit, so doch vor einem schlechten Arzte.“

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