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(picture alliance) "Nicht Literatur machen, sondern als Schriftsteller leben"

Peter Handke - „Das Schreiben half mir, unverschämter zu werden“

Im Herbst 1975 trafen sich Peter Handke und der Kritiker Heinz Ludwig Arnold in Paris zu einem Gespräch über Handkes Poetik

Peter Handke, Sie haben Jura studiert. Wie kamen Sie zur Literatur?
Die Literatur war schon vor dem Jurastudium da. Eigentlich seit ich angefangen habe zu denken, wollte ich immer Literatur machen. Oder besser: nicht Literatur machen, sondern als Schriftsteller leben.

 

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Als Schriftsteller leben – hieß das schon damals, die Verfügung über sich selbst haben zu wollen? Oder hieß das: irgendetwas, was man wusste, was man empfand, anderen mitteilen wollen?
Wahrscheinlich das Zweite nicht so sehr. Es war eher, in einem ganz altmodischen Sinn, in einem frühen Alter eine Art von Erleuchtung: Ja, so möchte ich leben – nachdem ich Bücher gelesen hatte, nachdem ich auch geschrieben hatte –, zu einer gewissen Zeit des Lebens ist das ja fast eine Art Gesellschaftsspiel, dass in einer Gruppe von Jugendlichen geschrieben wird: Einer schreibt, dann schreibt der andere. Das ist, als ob so eine Manie von Pingpong entsteht. Aber ich habe das als eine Art Erleuchtung empfunden.

Und auch ernst genommen?
Ja, so habe ich gedacht.

Welche Lektüren sind das gewesen, die Sie zu Anfang so stark berührt haben?
Das kann ich ganz genau sagen: Das waren im Alter von fünf- zehn oder sechzehn Jahren zwei Schriftsteller, William Faulk­ner und Georges Bernanos. Das hing damit zusammen, dass ich in einem katholischen Internat lebte, wo man von vornherein bestimmt war, Priester zu werden; und Bücher, wie die von Bernanos und Faulkner, die damals als Rowohlt-Taschenbücher erschienen, die ich unerlaubt gekauft hatte, waren natürlich dadurch, dass sie als Lektüre verboten waren, prädestiniert dazu, mir eine Gegenwelt zu dem zu errichten, was mir das Internat bedeutet hat. Und diese Welt, die mir da aus den Büchern entgegenschlug, war doch im Gegensatz zu der, in der ich lebte, das eigentliche Leben. Also ich begriff, dass es da in den Büchern von Faulkner und Bernanos etwas anderes gab, was vor mir immer nur verschwiegen wurde und was auch ich selber mir immer verschwiegen hatte.

Hatten Sie Berührung mit dem Theater?
Das seltsamerweise überhaupt nicht.

Im Theater haben Sie aber dann doch Ihren Erfolg als Schriftsteller begründet.
Das ist ja das Paradoxe: Der Erfolg kommt aus der theaterfremden Haltung, die ich hatte. Ich kann mich zwar erinnern, dass in der Schule Raimund und Nestroy zwei Autoren waren, bei denen ich mich schon sehr wohl und zu Hause gefühlt habe. Die Märchenstücke von Raimund sind für mich etwas gewesen, was ich immer noch in meinen Stücken zu erreichen versuche … All diese mythischen Erlebnisse vom Theater wirken schon nach; aber damals war ich ein Kind. Und dann lag eine lange Zeit dazwischen, wo mir das Theater ganz fremd war.

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Warum bei so viel Neigung zur Literatur dann das Jura-Studium und nicht ein Germanistik-Studium? Vielleicht gerade, um die Neigung nicht zu kompromittieren?
Ich war in der Ratlosigkeit von Abiturienten, die ich auch jetzt bei den meisten Abiturienten wiederfinde: Ich wusste einfach nicht, was ich wollte. Das Ziel war: Schriftsteller zu werden und zu sein. Und da gab es einen Professor für Deutsch, der mir riet – und der wusste, dass ich schrieb –, ein Studium zu wählen, wo man nebenbei viel Zeit zum Schrei­ben hätte. Das Jura-Studium ist ja in Österreich so, dass man drei oder vier Monate im Jahr intensiv seine Fakten lernen muss, und so hat man dann vier bis fünf Monate für sich. Diesen Rat habe ich befolgt. Es war Ausdruck der Ratlosigkeit. Heute denke ich natürlich, ich hätte lieber etwas studieren sollen, wo man nicht gleich die Fakten ausgelegt bekommt, wie beim Jura- und auch beim Germanistik-Studium, sondern wo man einfach Fakten sehen lernt, wie in Biologie und Physik.

Haben Sie das Studium beendet, oder haben Sie vorher aufgehört?
Knapp vor der letzten Prüfung kam vom Suhrkamp Verlag die Nachricht, dass mein Roman «Die Hornissen» angenommen sei, und da habe ich sofort aufgehört zu studieren, auf der Stelle. Davon träume ich jetzt noch, dass ich die letzte Prüfung machen soll.

Es gibt verschiedene Selbstbegründungen von Schriftstellern für ihre Existenz, für ihre Arbeit. Wie würden Sie die Ihre bezeichnen: Schreiben Sie für sich – schreiben Sie für ein Publikum?
Ich denke, glaube ich – das mag bei mir paradox klingen –, nicht mehr so sehr an mich selber bei dem, was ich will. Ich bin immer mehr dazu gekommen, wie kann ich andere dazu bringen – das klingt natürlich scharf nach Kalkül –, aber wie kann ich andere dazu bringen, dass sie in der tiefsten Seele getroffen sind oder mitbewegt sind bei dem, was ich mache. Zu diesen anderen zähle ich mich natürlich auch: dass ich mit dem Schreiben etwas erzielen will, an das ich mich dann halten muss. Also ich stelle mit dem Schreiben etwas her, von dem ich dann im Leben auch nicht abgehen kann – sonst hätte ich ja einfach geschwindelt. Ich versuche zumindest, mich daran zu halten.

Aber es ist doch nicht so, dass Sie einfach ein Buch wie einen Pflock in die Erde treiben als Bekenntnis, an das Sie sich binden? Ihre Bücher, zumindest die Romane seit dem «Kurzen Brief zum langen Abschied», sind doch Ergebnisse Ihrer eigenen, sich ereignenden Existenz!
Das sind Daten meiner eigenen Existenz, mit denen ich mich schreibend auf eine Art Reise begebe, von der ich nicht weiß, wo sie hinführen wird. Aber ich sammle ganz stumpfsinnig Einzelheiten, aus denen ich bestehe, von denen ich natürlich glauben muss, dass sie nicht meine Einzelheiten sind, sondern allgemeine Einzelheiten, und die fingiere ich zu einer Art Erzählung, zu einer Art Geschichte, die ich selber nicht erlebt habe; wohl aber habe ich viele einzelne Sachen erlebt. Und ich versuche, aus diesen realen Einzelheiten meines Lebens einen Entwurf herzustellen. Ich darf mir keine Perspektive vornehmen, ich darf mir nicht vorstellen, was ich erreichen will, ich darf nicht wissen, wie die Entwicklung sein soll. Wenn sich aber aus den Einzelheiten, mit denen ich schreibe, schreibend mich auf die Reise mache, plötzlich Perspektiven, Auswege aus meinem Leben ergeben, dann denke ich immer: Jetzt hat das Schreiben einen Sinn, jetzt hat die Arbeit, die ich mache, auch Perspektiven und wird verbindlich.

Nach dem «Kurzen Brief zum langen Abschied» von 1972 und auch nach dem 1972 erschienenen «Wunschlosen Unglück» bescheinigten Ihnen die Kritiker ein völlig neues «Handke-Gefühl»: sichtbarere Realitätsbezüge, wie das da hieß, Angerührtsein von persönlich erlittenen Erfahrungen usw. Da waren sehr schnell die persönlichen und privaten Gründe als Begründungen von Kritiken zur Hand. Aus dem damaligen «Modellschriftsteller» Handke wurde plötzlich eine Art «Erlebnisschriftsteller». Abgesehen von den tatsächlich einschneidenden persönlichen Veränderungen in Ihrem Leben – hat sich Ihr literarisches Selbstverständnis wirklich so verändert?
Diese Erklärung ist sicher falsch. Ich habe immer schon vorgehabt, durch das Schreiben mutiger zu mir persönlich zu werden. Das Schreiben hat mir auch geholfen, unverschämter zu werden. Unverschämter als in meinem letzten Buch, «Die Stunde der wahren Empfindung», kann ich nicht mehr schreiben, glaube ich: Da ist die Grenze zum bloß Privaten hin erreicht – sonst würde es nur privat werden.

Mir scheint auch, dass Ihr letztes Buch, «Die Stunde der wahren Empfindung», Ihr persönlichstes und auch wohl intimstes Buch ist, zugleich aber auch Ihr am meisten exemplarisches, also über sich selbst hinausweisendes Prosastück. Spüren Sie auch selbst, dass Sie damit vielleicht eine neue Stufe des Schreibens, Ihres Bewusstseins gewonnen haben?
Das klingt so nach Stufentheorie, das macht einen so mutlos, wenn man wieder eine neue Stufe erklommen hat. Nein, ich habe Ihnen vorher schon gesagt, man hat dann etwas geschrieben, an das man sich halten muss – oder man muss aufhören zu schreiben. Es war einfach so vieles ungeklärt von mir. Ich war mir über vieles nicht klar. Ich habe so vieles verschwiegen. Wie Max Frisch, der in seinem neuen Buch «Montauk» schreibt, er hat eigentlich, indem er vorgab, über sich zu schreiben, immer nur verschwiegen. Auch mit dem «Kurzen Brief» ist so vieles verschwiegen, dass ich dachte, man muss doch eigentlich mal von vorn anfangen, als ob es noch nichts gegeben hätte, als ob nichts klar, nichts geklärt sei. Und ich müsste mit der größten mir zustehenden Wut und Leidenschaft mein Lebensgefühl darzustellen versuchen. Meine Meinung ist, solange ein Schriftsteller nicht entschieden versucht hat, sich zu klären, nicht versucht hat, sich selber zu erforschen, und nicht versucht hat, alle Mogeleien und alle Erklärungen mal wegzutun, kann er nicht ehrlich sein. Jeder Schriftsteller muss einmal einen Moment haben in seinem Leben, wo er zumindest die Fiktion durchjagen muss: es gäbe nichts, es gäbe keine Erklärung, es gäbe keinen Sinn, es sei alles Blödsinn, alles Scheißdreck, was es gibt auf der Welt, er selber auch. Und das muss er mal versuchen darzustellen, nicht in einer so oberflächlichen Form, wie ich es jetzt hier sage, sondern in einer an Einzelheiten sich orientierenden Geschichte, Erzählung.

Ich will noch einmal auf den Begriff «wahre Empfindung» zurückkommen, weil ich glaube, dass das ein Schlüsselwort ist für das Verständnis dessen, was Sie schreiben. «Empfindung» ist etwas Momentanes; «wahr» ist aber doch ein objektiver Aspekt, unter «Wahrheit» versteht man etwas objektiv Zutreffendes. Oder gibt es Wahrheit überhaupt nicht, und ist Wahrheit hier nur die Empfindung des Subjekts, mit sich selbst übereinzustimmen?
Ja, genau das ist es: etwas völlig Flüchtiges: Empfindung, Stunde, Wahrheit – das ist ganz vorübergehend; das ist nur der Moment, in dem er denkt: Ja, das stimmt jetzt, was ich fühle, lebe – existiere ich. Das ist aber keine Behauptung, dass das jetzt objektiv wahr ist.

Da liegt aber auch das Problem: Wenn Sie als Schriftsteller diese Empfindungen haben und das, was Sie als wahre Empfindung in der Herstellung Ihrer Identität verspüren, beschreiben, mitteilen, ist da nicht immer wieder das Missverständnis möglich, hier sehe sich nur wieder ein Subjekt ganz radikal innerlich?
Das Missverständnis ist natürlich möglich, weil immer mehr, vor allem auch wegen der vorhergehenden Bücher, das Subjekt des Schriftstellers, der ich bin, mit hineingezogen wird in die neuen Bücher. Das Ideal wäre natürlich, dass dieses Buch allein existieren würde. Die Person des Autors ist, glaube ich, gar nicht so sehr drin in dem Buch als etwas Ausschließliches, wie man tut. Dieser Eindruck entsteht, weil auch meine Biografie durch die vorhergehenden Bücher, durch «Das wunschlose Unglück» usw., in zunehmendem Maße publiziert wurde und so eine Art Schein auch über die Bücher wirft. Aber ich bin auch sicher, dass, wenn meine Biografie verschwindet, weil sie eben nicht geformt ist, weil ich eben nur lebe, wenn also dieser Schein zurückgeht, solche Bücher ohne diesen Schein viel verbindlicher werden, viel mehr auf andere ausgerichtet existieren können. Bei dem letzten Buch, das das radikal Subjektive zum Movens, zur Bewegung macht, habe ich wie noch nie bei einem Buch, auch nicht beim «Wunschlosen Unglück», dem Buch über meine Mutter, das Gefühl gehabt, für andere zu schreiben. Ich hatte, je länger ich schrieb, ganz plastisch das Gefühl, mich in der Mitte von anderen Menschen zu bewegen. Das war ein körperliches Gefühl. Ich hatte das Gefühl, ich schreibe das typische Buch eines Angestellten – so blöd das auch klingen mag.

Sie haben gegen Ende der sechziger Jahre während der Studentenbewegung ziemlich viele und heftige Auseinandersetzungen gehabt mit linken Gruppen, die Sie der Verinnerlichung und des Verfassens von Innerlichkeitsliteratur bezichtigten. Hat Sie das damals sehr betroffen?
Das hat mich seltsamerweise nicht betroffen.

Haben Sie sich gar nicht darum gekümmert?
Natürlich habe ich das gelesen. Das wäre einfach falsch, wenn ich sagen würde, es wäre mir egal gewesen. Aber das ist ja alles vergessen, vertan und vorbei, vieles ist kindisch gewesen, von meiner Seite und von der anderen. Was mich immer stört, was vielleicht schade ist: Warum wird nicht versucht zu denken, dass die Art Literatur, die ich schreibe, ja nichts Gegensätzliches ist zu der aktionistischen oder rein begrifflichen Auffassung von Gesellschaft, Individuum usw.? Als ob die Literatur, die ich mache, nicht auch dazu beitragen könnte, dieses ganze System von Begrif­fen, von Aktionen mitzubewegen. Als ob die subjektivistische Literatur, die ich mache, nicht auch als Korrektur, als ein Modell von Möglichkeit, Leben darzustellen, akzeptiert werden kann. Ich fühle mich ja doch nicht selbstbewusst und gesichert und abgesichert, indem ich so lebe, wie ich lebe. Das braucht man eigentlich gar nicht zu sagen – jeder Schriftsteller hat doch oft Momente der Angst, und nicht nur Momente: Der ganze Lebens- und Existenzuntergrund ist zeitlebens bestimmt davon, dass er nicht das Richtige tut.

Sie haben nun das Glück, erfolgreich zu sein, Sie sind finanziell gesichert, das macht es natürlich auch leichter, mit diesem Bewusstsein existieren zu können.
Ja; ich wüsste nicht, wie ich es aushalten sollte, wenn ich nicht gelesen würde.

Das ist ein Argument für das Lesen, nicht für das Verdienen von Geld mit Büchern.
Ich würde es auch schwer aushalten …

Arm zu sein?
… kein Geld zu haben, ja. Ich weiß es nicht, ich kann es nicht sagen. Bis ich 24 Jahre alt war, hatte ich kein Geld – ach, das sind so alberne Geschichten, reden wir nicht darüber.

Wie erklären Sie sich Ihren literarischen Erfolg? Oder mach­en Sie sich darüber überhaupt keine Gedanken?
Das mag jetzt zynisch klingen, aber das erklärt sich auch schon dadurch, dass ich, zwar nicht auf den Markt hin, aber wohl daraufhin schreibe, dass viele das lesen können. Ich stelle mir den und den vor, ich stelle mir zum Beispiel meine Schwester vor, die Verkäuferin ist, und denke: Könnte die das lesen? Oder ich stelle mir einen Freund vor – das ist dann im Hinblick darauf auch geschrieben. Ich möchte als Schriftsteller, zumindest ist das mein Wunschtraum, wie ein amerikanischer Schriftsteller sein: dass ich nicht einfach meine Phantasie und meine Ängste ausbreite, sondern dass ich da eine Geschichte finde, die die Kommunikation bewirkt. Das ist natürlich ein Kalkül, und ich finde auch überhaupt nichts Schlimmes daran. Es ist eine Art Kundendienst. Ich denke, dass die Leute – ich denke immer, für alle Leute zu schreiben – cum grano salis meine Kunden wären: Und wie leben die, was ist gemeinsam zwischen unserem Leben, was können die verstehen, was wollen die vielleicht nicht verstehen? – aber das muss ich natürlich auch beschreiben; sonst wäre das ja Ware, was ich mache. Genau das ist der Unterschied. Der Simmel zum Beispiel ist ein Schriftsteller, der weiß, die wollen das und das verstehen; und was sie nicht verstehen wollen, das schreibt er auch nicht. Aber ich weiß ganz genau, was ich möchte: dass sie auch das verstehen, was sie nicht verstehen wollen, was sie abwehren, was sie immer abgetan haben. Und deswegen glaube ich, dass es zwar Ware ist, was ich mache, dass es aber in diesem entscheidenden Punkt einen wesentlichen Unterschied gibt: dass ich nämlich auch das schreiben will, was die Leute verdrängen, was sie wegtun.

Also haben Sie einen ganz bewussten Publikumsbezug – was ja viele Autoren ablehnen.
Hab ich. Ich denke: Ich muss diese Leute wider ihren Willen erwischen, das muss so einfach und so schlagend sein, dass sie nicht anders können, als irgendwie zu reagieren. Rilke (ist) auf eine Sprache aus, die eben exklusiv ist, die sich so schlingelt und kräuselt, dass sie als poetische Sprache gleich erkennbar ist. Und das gerade ist es, was ich nicht will; ich bin auf eine Sprache aus, die jedem vertraut ist, die jeder kennt – und wenn mal so ein gekräuselter Satz stehen bleibt, passiert er mir halt, dann ist das ein Betriebsunfall des Handke. Aber ich gehe auf jeden Fall von der Gemeinsprache aus, die jeder kennt, die jeder spricht, und versuche heraus­zubringen, was in dieser Gemeinsprache an lebendigen Einzelheiten, wenn man bestimmte Elemente gegeneinanderstellt, aufleuchtet und vorkommen kann.

Schreiben Sie eigentlich leicht?
Nein, überhaupt nicht.

Sie sind, wenn Sie einen Roman schreiben, sehr intensiv in der Arbeit?
Manchmal passiert es mir, dass ich in einem Zug zwei Sätze hintereinander schreibe, und dann kriege ich schon ein schlechtes Gefühl und denke, da stimmt etwas nicht. Wenn ein Satz in einem Zug entsteht, untersuche ich ihn: ob da etwas fehlt, ob vielleicht ein Widerstand nicht eingetreten ist. Ich könnte wahrscheinlich sehr leicht schreiben, aber ich schreibe absichtlich ganz, ganz vorsichtig – und im Endeffekt sieht das dann ziemlich leicht aus: Ich bin schon darauf aus, dass ein Gefühl der Leichtigkeit auch bei dem schlimmsten Thema da ist, weil ich meine, dass die Anmut und die Leichtigkeit das, was ich will, verbindlich machen und für die anderen auch das Private wegnehmen, dass also die formale Anmut alles Private ausmerzen kann.

Wie reagieren Sie auf Kritik, literarische Kritik? Ist es Ihnen wichtig, von einem Kritiker erkannt worden zu sein, auch wenn in seiner Meinung das, was Sie geschrieben haben, negativ erscheint? Oder ist Ihnen in jedem Fall ein positives Urteil wichtiger? Kann Kritik Sie richtig ärgern?
Ja, natürlich. Ich habe schon manchmal, wenn ich so etwas lese, die Lust zu körperlichem Einschreiten: dass ich dem einfach eins reinhauen möchte. Aber ich möchte nicht antworten; meine Reaktionen haben sich mit der Zeit reduziert auf Gewaltvorstellungen, die ich aber eh nicht ausführe. Aber es ist schon so – das klingt auch zynisch –: Es ist mir eine Kritik lieb, die man zu Werbezwecken verwenden kann, wo Sätze drinstehen, die der Verlag dann in die Reklame aufnehmen kann, wo dann steht: Das ist ein Meisterwerk des zwanzigsten Jahrhunderts! … Wenn da eine noch so positive Kritik steht, und da ist kein Satz drin, den man verwenden kann – dann hat der Kritiker etwas ­verfehlt …

Nun mal Scherz und Äußerlichkeiten beiseite – regt Sie Kritik nicht innerlich auf, so, dass Sie sich auf irgendeine Weise beim Schreiben beeinflussen lassen?
Sicherlich. Erst muss man sich auch einmal bewusstmachen, dass man von den Kritikern abhängig ist – so frei man auch tut und so verächtlich man sich auch gebärden mag.

Glauben Sie wirklich an die Abhängigkeit der Autoren von den Kritikern?
Das ist doch nachzulesen, dass die Autoren immer feiger und ängstlicher schreiben, auch weil das Lesepublikum zurückgegangen ist, immer darauf bedacht, die gerade gefundenen Lösungen für alle Nöte, die die Kritiker propagieren, nachzubilden. Das ist doch der entscheidende Grund für die ideologische, künstlerische, für die ganze Harmlosigkeit der meisten jetzt hergestellten Literatur: dass nie jemand etwas zu schreiben wagt, was grad als abgetan propagiert wird. Ein Autor, der sich nicht darum kümmert, der muss allerdings sehr, sehr stark, sehr unbeirrbar, der muss fast ein halber Irrer sein, damit er das durchhält.

Es gibt in der Kritik hin und wieder den Vorwurf: Handke ist monomanisch. Wie stellen Sie sich zu diesem Vorwurf?
Ich empfinde mich nicht als monomanisch, aber ich schreibe ­Bücher, die jeweils eine bestimmte Form von Monomanie zeigen – das ist schon ein Unterschied. Weil ich glaube, dass Literatur nur dann verbindlich wird, wenn sie in die äußerste Tiefe des ICH hineingeht. Ich schreibe so nur, um eine Art von Verbindlichkeit zu erreichen. Es gibt – das ist vielleicht nur eine Hilfstheorie von mir – eine Oberfläche von Erleben, die wir alle gemeinsam haben, also die oberflächlichste Oberfläche; und dann gibt es die tiefste Tiefe der ersten Regungen und der Träume, die haben wir wieder gemeinsam. Und deshalb, glaube ich, wird diese oberste Oberfläche in meinen Büchern beschrieben; und die geheimsten, albernsten, verwickeltsten Regungen. Daraus bestehen meine Bücher: aus der äußersten Oberfläche und aus dem äußersten Verbohrten. Und dass diese Oberfläche und die Tiefe allen gemeinsam ist, das ist meine Fiktion beim Schreiben; und dazwischen sind wir verschieden.

Dies ist die gekürzte Fassung des Gesprächs, das zuerst 1976 in Text+Kritik, Heft 24/24 a, «Peter Handke», erschien. Wir danken der Zeitschrift Text+Kritik für die freundliche Genehmigung. In der Langfassung ist das Gespräch jetzt nachzulesen in

Heinz Ludwig Arnold
Gespräche mit Autoren
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2012.
500 S., 22,99 €

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