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Kunst - Das Netz ist nicht genug

Museen müssen das Internet endlich als kuratorischen Raum begreifen. Ein Zwischenruf

Autoreninfo

Poul Erik Tøjner ist Literaturwissenschaftler, Philosoph und Direktor des Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark

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Moderne Kunst, heißt es immer wieder, ist eine schwierige Materie. Elitär sei sie. Sperrig. Vorbehalten wenigen Eingeweihten statt den vielen. Derlei Vorurteile sind nicht neu. Dabei wird jedoch übersehen: Gute Kunst ist wichtiger als ästhetische Indifferenz und kleinbürgerlicher Kitsch. Und gute Kunst ist zu gut, um lediglich einer Elite vorbehalten zu sein.

Auch ist die Kunst kein Reservat für sich allein. Sie kann, ja soll in Relation zu unserer Umgebung, zu unserem Leben, zu unseren Erfahrungen betrachtet werden. Moderne Kunst muss als etwas vermittelt werden, das mit dem Dasein und den Erfahrungen der Menschen zu tun hat.

Kommunikation ist darum das Schlüsselwort für jedes Museum. Natürlich lässt sich Kunst nicht erklären. Aber ein Museum ist der Ort, an dem sie sich ergründen lässt. Kunst inspiriert zu ihren eigenen Bedingungen und mit eigenem Ausdruck. Sie soll zu Austausch und Diskussionen zwischen Menschen führen, zu Dialogen über künstlerische, existenzielle Themen und über gesellschaftliche Werte.

Kompliziertes Verhältnis zur Gegenwart

Zudem ist Kunst oft sehr viel reicher als das, was über sie geäußert wird. Viele moderne Kunstwerke haben ein kompliziertes Verhältnis zur Gegenwart. Ihre Wirkung entfalten sie mit Verzögerung. Mitunter Jahre später fangen wir an, Teile jener Kunst zu verstehen, die heute erschaffen wird. Damit widersetzt sich die moderne Kunst allen gängigen Vorstellungen in Bezug auf Effektivität und unmittelbare Verwertbarkeit.

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Schriftsteller behandeln die Sprache und unsere Erfahrungen auf eine andere Weise, als wir es im Gespräch miteinander tun. Maler zeigen uns Bilder, die die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, nicht unmittelbar bestätigen. Komponisten verwandeln Laute in Musik, aber das wäre nicht viel wert, würden ihre Werke nicht von den Routinen unserer Sinne abweichen. Das bedeutet nicht, dass Kunst die Provokation und Zerstörung von Sinn zum Ziel haben muss. In der Regel aber wird sie sich am Rande der Normalität bewegen. Somit ist das Museum einer der wenigen Orte, an denen sich Kunst und Gesellschaft begegnen können.

Wer diesem Grundgedanken folgt, wird die Bedeutung von Museen für unsere Demokratie leicht erkennen. Es sind freie, tabufreie öffentliche Räume, die grundlegende Prinzipien wie Meinungsfreiheit voraussetzen und eine kritische Auseinandersetzung über unsere Gegenwart befördern. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur schult die Urteilskraft, prägt individuelle Sensibilität und Toleranz, macht uns zu bewussten, informierten und mündigen Bürgern. Museen sind keine Anstalten für den guten Geschmack. Sie führen uns die Bedeutung ästhetischer Qualität für unsere Gesellschaft vor Augen.

An diesem Auftrag hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts nichts geändert. Angesichts von Internet, sozialen Medien und massenmedialer Selbstrealisierung laufen moderne Kunst und Kultur jedoch Gefahr, wieder als singulär, ja elitär betrachtet zu werden, vorbehalten den wenigen statt den vielen. Als wir kürzlich unser englischsprachiges Web-TV-Projekt Louisiana Channel lancierten, in dem wir Künstler und Kulturschaffende zu Wort kommen lassen, sprachen wir mehr oder weniger scherzhaft vom Museum 2.0. Im Grunde trifft dieser Ausdruck einen wahren Kern. Digitalisierung bedeutet nicht, bestehende Ausstellungen ins Netz zu stellen. Museen produzieren Wissen, Erfahrungen, Erlebnisse, Reflexionen – im Auftrag der Öffentlichkeit und der festen Überzeugung, dass ihre Arbeit gesellschaftlich relevant ist. Museen sind Kommunikatoren und stecken ebenso viel Sorgfalt in die Vermittlung ihres Stoffes wie in dessen Produktion.

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Vor diesem Hintergrund ist das World Wide Web zweierlei. Es ist global, demokratisch, dynamisch und somit ein Abbild unserer heutigen Gesellschaft. Darüber hinaus ist es ein Kommunikationskanal mitten hinein in dieses grenzenlose Miteinander, das den Rahmen jedes noch so großen Ausstellungsraums weit überschreitet. Inhalte, die in Kopenhagen oder Berlin produziert werden, erreichen in Sekundenbruchteilen ein Publikum in São Paulo, Peking und New York.

Das digitale Zeitalter bringt Offenheit mit sich

Gerade in diesem Gewimmel an Inhalten, die das Internet ausmachen, spielt der Absender eine entscheidende Rolle. Wo Schnelligkeit und Oberflächlichkeit dominieren, werden klassische Museumswerte wie Wesentlichkeit, kuratorische Sorgfalt sowie die reflektierte Vermittlung zum Prädikat. Zudem konkurriert unser Sektor nicht mit der scheinbaren Aktualität vieler Medien. Museen geht es um Nachhaltigkeit und Relevanz. Unsere Inhalte sollten Bestand haben über den Tag hinaus.

An der raison d’être der Museen, Kunst und Kultur hineinzutragen in die Mitte der Gesellschaft, hat sich nichts geändert. Das digitale Zeitalter aber bringt zugleich eine neue Form von Offenheit und Transparenz mit sich. Das Internet wird zu einem kuratorischen Raum, der die Möglichkeiten des Museums und seiner Werte potenziert.Und an dem nicht zuletzt junge Generationen teilnehmen. Welch Ansporn, eine so wunderbar sperrige Materie wie moderne Kunst zu vermitteln.

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