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() Philosophin Susan Neiman
Das Lächeln der Kantianerin

Eine Philosophin, die so schreibt, dass man es versteht? Und darüber hinaus noch glaubhaft versichert, mit den Maximen der Aufklärung die Welt verändern zu können? Die in Berlin lebende Amerikanerin Susan Neiman ist so eine Ausnahmeerscheinung. Ein Porträt.

Berlin-Kreuzberg, eine Brücke am Landwehrkanal. Susan Neiman wird fotografiert. Beherrscht klettert sie die Uferböschung auf und ab, lächelt in die Kamera, schaut in die Ferne, nimmt diese, nimmt jene Stellung ein. Sie entspannt sich erst, als sich der Fotograf an ein bekanntes Foto von Jean-Paul Sartre erinnert fühlt und fragt, ob sie rauche. So hübsch ist das Philosophenklischee, dass sie ins Schmunzeln gerät.

Dieser Tage erscheint Neimans Buch „Moralische Klarheit“ auf Deutsch. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hat es schon für Aufsehen gesorgt. Philosophisch geht es um die Wiederbelebung der Aufklärung im Sinne Immanuel Kants. Politisch geht es darum, den evangelikalen Christen und anderen konservativen Bewegungen die Deutungshoheit über Werte wie Moral, Idealismus und Heldentum zu entreißen. Mal liest sich das Buch wie eine Streitschrift, mal wie ein philosophischer Roman, mal wie eine essayistische Auslotung des Zeitgeists.

Von der Weltfremdheit, die man Philosophen gerne andichtet, ist bei Neiman nichts zu spüren. Das Gespräch in der geräumigen Wohnung, wo die alleinerziehende Mutter mit ihren drei Kindern lebt, könnte anregender kaum sein. Warum ein so verstaubtes, oft missbrauchtes Konzept wie das der Moral aus der Mottenkiste holen? Weil die Moral einer der stärksten Begriffe sei, die wir haben, natürlich. Einer, den man nicht Akteuren überlassen sollte, die ihn missbrauchen. „Und werden unsere moralischen Bedürfnisse nicht auf eine seriöse Weise befriedigt“, insistiert die 55-Jährige, „dann laufen die Menschen genau zu jenen Akteuren über, zu Fundamentalisten jeder Couleur.“

Beispiele dafür gibt es viele, einige davon hat Susan Neiman am eigenen Leib erfahren. Sie ist in einer jüdischen Gemeinde in Atlanta, im Süden Amerikas, zur Zeit der Rassentrennung groß geworden. Ihre Mutter machte die Bürgerrechtsbewegung zu ihrer Lebensaufgabe. Drohungen des Ku-Klux-Klans waren an der Tagesordnung. Die meisten anderen Gemeindemitglieder engagierten sich nicht, weil auch sie einmal vom Klan verfolgt worden waren, und zu allem Überfluss waren die mütterlichen Aktivitäten auch dem Vater ein Dorn im Auge, der die Familie schließlich verließ. „Aber das, was mir aus jener Zeit geblieben ist“, sagt Neiman stolz, „ist ein sinnbildlicher Beweis dafür, dass die Welt verändert werden kann. Es erfordert nur einige gute Menschen und etwas Mut.“

Aber braucht man, philosophisch gesprochen, die Aufklärung, um die Welt zu verändern, wie Neiman in ihrem Buch nahelegt? Jene Bewegung, die sich Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zufolge dialektisch selbst zerstört hat, die Michel Foucault als eine verschleierte Fortentwicklung von Herrschaftsmethoden beschrieb? Neiman macht den sympathischen Gesichtsausdruck einer Frau, die es gewohnt ist, die Intelligenteste im Raum zu sein, das aber niemanden spüren lassen will. Die meisten Kritiker hätten die philosophische Bewegung nicht in ihrer Komplexität wahrgenommen, sagt sie. Selbst der späte Horkheimer habe befunden, dass eine Aufklärung im Kantischen Sinn nie stattgefunden hat.

„Welche Alternativen haben wir? Wir können in eine vormoderne Nostalgie verfallen und sagen, die Welt ist so, wie sie sein soll. Wir können beim postmodernen Zynismus bleiben und so tun, als hätten wir schon alles gesehen, alles demaskiert, und behaupten, dass es kein Sollen gäbe. Oder wir können mit dem aufklärerischen Werkzeug für Selbstkritik die Moderne verteidigen. Wir wissen, dass die Welt nicht ist, wie sie sein soll, und wir können ein Leben führen, in dem wir etwas dazu beitragen, diese Kluft zu verkleinern.“

Wie dieses Leben auszusehen hat, ist auch eine Frage, die sich durch Neimans zwischen Gelehrsamkeit und Rebellion schwankende Biografie zieht. Ohne Abschluss verließ sie die Schule, als sie 14 war, und lebte, wie sie heute sagt, als „Möchtegern-68erin“ in verschiedenen kalifornischen Kommunen. Um sich den Traum vom Philosophiestudium doch noch zu erfüllen, besuchte sie die Abendschule am City College in New York. Die nächste Station hieß Harvard. Dort versank sie so sehr in der Welt der Bücher, dass sie wegen eines Wittgenstein-Seminars sogar Karten für ein Bob-Dylan-Konzert ausschlug.

Schon 1982 zog sie nach West-Berlin, eine Stadt, in der man darüber nachdachte, wie Dichtung und Kunst nach Auschwitz möglich seien. Als Jüdin hatte sie den Eindruck, „dass es hier in jeder Kneipe mehr Philosophie gab als in den Seminaren in Cambridge“. Nach sechs Jahren zog es sie wieder zum Gelehrtentum, und sie nahm eine Professur in Yale an, worauf ein Ruf nach Tel Aviv folgte. Vor zehn Jahren schließlich wurde sie als Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums berufen, aus dem sie eine der ersten intellektuellen Adressen des Landes machte. Immer mit der Überzeugung, dass die Eleven des akademischen Elfenbeinturms wach gerüttelt werden müssen, von so viel rauer Wirklichkeit wie möglich.

Vielleicht ist es diese Haltung, die es Susan Neiman ermöglicht, mit ihrem neuen Buch so viele Kreise und politische Lager anzusprechen. Von einem Recht auf Glück spricht die Philosophin, von Vernunft, Ehrfurcht und von Hoffnung. „Es gibt Werte, die wir teilen“, sagt sie unmissverständlich, „und wenn wir diese Werte nicht finden, sind wir verloren.“ So altmodisch, so kraftvoll ist dieser Appell an unsere Fähigkeit, eine Gemeinschaft zu sein, dass man ihr glauben möchte.

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