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Bürgerdialog zum idealen Lebensstil - Das gute Leben ist keine Staatsaffäre

Kolumne Grauzone. Die Regierung möchte mit einer Veranstaltungsreihe von den Bürgern erfahren, was ein gutes Leben ausmacht. Dabei gibt sich die Politik bewusst unpolitisch und missachtet, dass sie mit der Kampagne ein bedrohliches Verständnis ihrer Zuständigkeit beweist

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Seit 2.500 Jahren denken Philosophen darüber nach, was das gute Leben ausmacht. Besonders originelle Vorschläge sind in dieser Zeit nicht gemacht worden. Sieht man mal von ein paar Radikalinskis ab, die uns entweder die ganz große Sause empfehlen oder aber Enthaltsamkeit und Askese predigen, waren sich die meisten Denker einig, dass das gute Leben im biederen Mittelmaß liegt: Lecker schlemmen, toller Sex, ordentlich einen heben – aber alles in Maßen und bitte nicht übertreiben. Klingt wahnsinnig spießig, ist es auch, aber die Erfahrung lehrt: stimmt eigentlich.

Wenn man dann noch vor all zu großen Schicksalsschlägen verschont bleibt und in Frieden und Sicherheit lebt, gibt es eigentlich keinen Grund für ernsthafte Beschwerden.

Damit könnte die Sache erledigt sein. Ist sie aber nicht. Denn wir haben ja unsere Bundesregierung. Und die macht sich Sorgen. Nämlich über uns, die Bürger. Genauer: Darüber, ob wir auch zufrieden sind. Deshalb möchte sie von uns wissen, was gutes Leben für uns bedeutet.

Mite 150 Veranstaltungen zum guten Leben
 

Zu diesem Zwecke wurde vor zwei Monaten bei einer Veranstaltung in Berlin ein so genannter Bürgerdialog gestartet. Sein Titel: „Gut leben in Deutschland“. Vorgestellt wurde er von der Kanzlerin und ihrem Vize. Von der Regierungschefin erfuhr man, dass gutes Leben für sie Gesundheit bedeutet, ihrem Wirtschaftsminister sind seine „beiden Mädels“ wichtig. Das Ziel der Kampagne sei es, so die Kanzlerin, herauszufinden, wie es um die Lebensqualität in unserem Land bestellt sei, was diese ausmache und wie man sie politisch verbessern könne.

Um das herauszufinden, werden in diesem Jahr 150 Veranstaltungen stattfinden, auf denen die Menschen berichten sollen, was für sie gutes Leben bedeutet. Jetzt im Juni geht es los. Die Kanzlerin wird allerdings eher selten dabei sein, der Bürger wird mit Mitarbeitern des Kanzleramtes und der Ministerien in Dialog treten müssen. Oder er kann sich auf einer eigenen Homepage einbringen.

Man könnte das alles als Posse des gehobenen Politmarketings abtun. Doch ganz so harmlos ist diese Sache nicht. Denn was hier zum Ausdruck kommt, ist ein bizarres Verständnis von den Aufgaben der Politik, eine bedrohliche und zutiefst beklemmende Vorstellung von der Allzuständigkeit des politischen Apparates.

Vorsicht bei bewusst unpolitischer Politik
 

Denn zunächst kann man ganz einfach festhalten: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, das gute Leben seiner Bürger zu fördern. Er soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Anders gesagt: Er soll für Recht und Ordnung sorgen und eine intakte Infrastruktur. Das war es dann aber auch schon. Um unser Glück, lieber Staat, kümmern wir uns schon alleine.

Verräterisch an der ganzen Veranstaltung ist schon die Wortwahl: gutes Leben. Das soll wahrscheinlich philosophisch klingen und lebensnah. Auf jeden Fall aber unpolitisch. Genau dann aber, wenn die Politik sich bewusst unpolitisch gibt, um effizienter Politik machen zu können, ist allerhöchste Vorsicht geboten. Und Aufmerksamkeit.

Insbesondere, da das harmlose Wörtchen „gut“ seine Tücken hat. Denn „gut“ hat mindestens drei Bedeutungen, und mit denen wird hier auf ganz subtile Weise gespielt: Zunächst verwenden wir „gut“ häufig im Sinne von „funktional“. Ein gutes Messer zum Beispiel ist ein Messer, das scharf ist und griffig in der Hand liegt. Dann verwenden wir „gut“ in einem ästhetischen Sinne: ein gutes Lied, ein gutes Foto, ein gutes Bild. Und schließlich hat „gut“ auch noch eine moralische Bedeutung. In diesem Sinne sprechen wir etwa von einer guten Handlung oder einem guten Menschen.

Unter welche Kategorie fällt nun das gute Leben? Nehmen wir die Kanzlerin und ihren Vize: Gesund zu sein, also nicht krank, meint „gut“ in einem funktionalen Sinne. Krank oder verletzt zu sein ist hochgradig dysfunktional. Hier hat Frau Merkel recht. Und auch Gabriel trifft einen wichtigen Punkt. Kinder zu haben, sich an ihnen zu erfreuen, ist zunächst einmal eine ästhetische Freude im weitesten Sinne, ein Selbstzweck: beglückend und erfüllend.

Ein Lebensstil als Ideal erheben
 

Allerdings haben Philosophen – etwa der Namensgeber dieses Magazins – auch immer wieder behauptet, das gute Leben bestehe in einem tugendhaften, einem moralischen Leben. Hier wird es problematisch. Denn das Gegenteil eines in diesem Sinne guten Lebens ist ein unmoralisches, ein böses Leben.

Begreift man das gute Leben so, öffnet man es dem Zugriff durch die Politik. Aufgabe des Staates ist es, das Böse zu sanktionieren: durch Gesetze, durch Polizei und Justiz. Schließlich muss das Böse, also das Verbrechen, bestraft werden.

Hier liegt nun die Gefahr, wenn der Staat sich die Agenda eines guten Lebens zu Eigen macht: andere, abweichende Lebensentwürfe werden diskreditiert und im schlimmsten Fall kriminalisiert.

Konkret: Wollen wir wirklich einen Staat, der, und sei es in bester Absicht, einen Lebensstil als Ideal proklamiert? Am besten nichtrauchend, alkoholabstinent, gesundheitsbewusst, ökologisch nachhaltig und sozial engagiert? Das eine oder andere mag ja erstrebenswert sein. Doch den Staat hat das nicht zu interessieren. Denn der hat für seine Bürger da zu sein, so wie sie sind und nicht wie er sie gerne hätte.

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