Kurz und Bündig - Bruno Latour: Von der Realpolitik zur Dingpolitik

Das deutsche Wort «Mitteilung» lässt zunächst an ein Miteinander im Gespräch denken. Hört man aber genauer hin, sticht das Trennende daran hervor. Dass diese Entzweiung die Voraussetzung dafür ist, dass Leute überhaupt zusammenfinden und miteinander sprechen, ist Bruno Latours Botschaft, wenn er die Dinge wieder in ihre angestammte Bedeutung einsetzen will: Dinge sind strittige Angelegen­heiten, um derentwillen und um die herum man sich versammelt.

Das deutsche Wort «Mitteilung» lässt zunächst an ein Miteinander im Gespräch denken. Hört man aber genauer hin, sticht das Trennende daran hervor. Dass diese Entzweiung die Voraussetzung dafür ist, dass Leute überhaupt zusammenfinden und miteinander sprechen, ist Bruno Latours Botschaft, wenn er die Dinge wieder in ihre angestammte Bedeutung einsetzen will: Dinge sind strittige Angelegen­heiten, um derentwillen und um die herum man sich versammelt. Deswegen hießen Versammlungsstätten «thing», und deswegen nannte man jene Sachen, die alle angehen, noch bis in die Frühe Neuzeit «res publica». In der heutigen Realpolitik sind diese Sachen – oder Realien – nur für etymologisch gebildete Ohren he­rauszuhören. Ansonsten haben Politiker das Sagen, die Dingen höchstens noch als adminis­trablen Fakten Beachtung schenken. Moderne Politiken zielen auf Unmittelbarkeit ab, ohne Umweg über die Dinge. Diese Dingvergessenheit, ja ihre ausdrückliche Leugnung, macht Latour für manche Übel dieser Welt verantwortlich, ökologische Krisen etwa oder den Fundamentalismus. Das sind weit reichende Stichworte, und ebenso weit reichend ist Latours Vision von einer «Dingpolitik» zur Abschaffung solcher Übel. Sie übersteigt das, was ein Ein­zelner sagen oder gar zu ihrer Verwirklichung tun kann. Darum ist Latours kleiner Text mit den großen Thesen auch nur der Auftakt zu einer Sache, die in ihren Ausmaßen noch gar nicht abzusehen ist. Um welche Sache geht es? Eben die, die ihrer Bestimmung nach versammelt. «Making things public» heißt eine Ausstellung, die Latour gemeinsam mit Peter Weibel am Karlsruher Zentrum für Kunst und Me­dien­technologie (ZKM) eingerichtet hat und die nun in einen Katalog übergeht. Die Ausstellung zeigte verschiedene Darstellungen von Versammlungen, etwa das viel zitierte und reproduzierte Fresko Ambrogio Lorenzettis zum «Buon Governo» von 1338/39. Am Leitfaden seines Bändchens fädelt Latour diese und andere Präsentationen von idealisierten und gescheiterten, historisch überkommenen, utopischen und höchst realen Versammlungen auf. Eigentlich sind es lauter lose Enden, die der Autor seinen Lesern hinwirft. Dass jeder und jede einen eigenen Leitfaden daraus knüpfen kann, ist das große Plus dieses offenen Textes, der elegant zwischen den Ideen der anderen und den eigenen navigiert und immer gerade so rätselhaft bleibt, dass man selbst nach einer Lösung sucht. Das experimentelle Format, im Verbund mit Ausstellung und Katalog, passt viel besser zum Anliegen Latours als dessen politisches Grundsatzprogramm, die Mo­nografie, die vor einigen Jahren unter dem Titel «Parlament der Dinge» erschienen ist. Es lädt ein zum Denken der Dinge.

 

Bruno Latour
Von der Realpolitik zur Ding­politik oder Wie man Dinge öffentlich macht
Aus dem Englischen von Gustav Roßler.
Merve, Berlin 2005. 84 S., 8,50 €

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