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Thomas Meyer

Blixa Bargeld - „Zerstörung ist heiter“

In den Achtzigern spielten die Einstürzenden Neubauten auf Kreissägen in Autobahnbrücken. Sind sie heute Lieblinge des Feuilletons? Frontmann Blixa Bargeld wehrt sich

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

So erreichen Sie Timo Stein:

Herr Bargeld, auf Ihrer neuen Platte „Lament“ kommen Sie uns mit dem Ersten Weltkrieg, nachdem wir uns bereits das ganze Jahr schwindelig erinnert haben
Blixa Bargeld: Der Anstoß kam von außen. Das Album ist eine Auftragsarbeit und als Performance konzipiert. Wir wurden von der Region Flandern gebeten, das Thema zu bearbeiten – als Auftakt für deren Jubiläumsjahr. Ich habe versucht, die niedergetrampelten Pfade zu verlassen und mithilfe von zwei Wissenschaftlern, einer Linguistin und einem Historiker, ein paar Nischen zu finden, die noch nicht so ausgeleuchtet sind. Dabei interessierte mich vor allem der Aspekt der klanglichen, musikalischen Quellenlage.

Und sind Sie fündig geworden?
Es gibt im Prinzip keine Tonaufzeichnung aus dem Ersten Weltkrieg, weil es keine Tonaufzeichnungsverfahren gab. Einzige Ausnahme bilden die Walzenaufnahmen. Wir hatten das Glück, dass diese Aufnahmen, die Wissenschaftler von den Kriegsgefangenen gemacht haben, teilweise während Verhören, in Berliner Lautarchiven zu finden sind.

Gibt es eine Akustik des Krieges?
Es ging überhaupt nicht um den Klang. Das ist ein Aspekt, der mich gar nicht interessiert hat. Ich wollte von vornherein vermeiden, dass es zu der Gleichung kommt, Einstürzende Neubauten sei gleich Krach plus Erster Weltkrieg.

Auf Ihrem Album gibt es eine spannende Akustikversion des Ersten Weltkriegs. Jedes Land wird von einer bestimmten Melodie repräsentiert, gespielt auf Plastik-Abwasserrohren.
Das war eine statistische Komposition. Wenn man die Dauer des Ersten Weltkriegs in Viervierteltakte aufteilt und 120 Schläge pro Minute zugrunde legt, dann dauert das Ganze 13 Minuten. Jeder einzelne Taktschlag innerhalb eines Viervierteltakts ist ein Tag. Dann kommen die einzelnen Kriegsparteien an bestimmten Takten dazu und steigen nach und nach aus diesem Krieg aus. Eigentlich wollte ich das auf Styroporplatten spielen, aufgespießt auf Beckenständer, sodass während des Spieles die Nationen zerkrümeln und verschwinden.

In einem Song singen Sie „Heil dir im Siegerkranz, Kartoffeln mit Heringsschwanz“. Ein anderes Stück handelt vom Beginn des Ersten Weltkriegs, dargestellt unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators. In solchen Momenten könnte man meinen, Sie hätten Humor.
Ich habe Humor. „Heil dir im Siegerkranz“ ist eine Montage der größten Hit-Hymnen des Krieges überhaupt. Unter den Kriegsparteien gab es an die acht Nationen, die dieselbe Hymne verwendeten, mit verschiedenen Texten. Die Tierstimmenimitation fand ich im Rundfunkarchiv. Aus dem Jahre 1926. Das Stück schließt mit einem Pfau, der Ludendorff vorbeireiten sieht, ein Rad schlägt und „Hitler“ schreit. 1926 wohlgemerkt. Das hat mich umgehauen.

Darf Krieg lustig sein?
Darf man Witze über den Krieg machen? Ja, man darf. Man muss sogar. Hätten mehr Leute darüber gelacht, wäre es vielleicht anders gelaufen. Haben sie natürlich nicht. Der Tierstimmenautor musste seinerzeit emigrieren.

Musikalisch haben Sie im Vergleich zu früher längst anderes Terrain betreten. Hat die Zerstörung als schöpferisches Prinzip Pause?
Zerstörung war nie ein Neubauten-Motto. Mit Walter Benjamin gesprochen: Der zerstörerische Charakter ist heiter und freundlich, er kennt nur eine Devise: Platz schaffen.

Wo aber ist die Radikalität der Neubauten heute?
Wo haben Sie sie denn vorher verortet?

In der Musik, im Visuellen. In den achtziger Jahren haben Sie in Autobahnbrücken musiziert. Heute interessieren Sie sich vermutlich mehr für Spielplätze.
Das ist sicherlich richtig. Es gibt ja in Berlin-Mitte nicht so viele Autobahnbrücken. Von meinem Haus aus finden Sie aber 30 Meter in jede Richtung einen Spielplatz. Und das findet meine Tochter auch vollkommen richtig so. Das hat aber wenig mit dem Ersten Weltkrieg zu tun.

In ihren Anfängen sind die Einstürzenden Neubauten akustisch Amok gelaufen. Heute scheint es, als hätten sie sich längst in der bürgerlichen Kunstszene etabliert.
Schön wär’s. Die Einstürzenden Neubauten haben in ihrer 35-jährigen Karriere ganze zwei Theaterstücke beschallt. Trotzdem werde ich in jedem Interview gefragt, wie das jetzt so ist mit dem Theater. Die angebliche Umarmung des bürgerlichen Feuilletons, das Aufsteigen in die sogenannte Hochkultur, ist etwas, das sich Journalisten gegenseitig aus ihren eigenen Archiven abschreiben. Das spielt in meiner Lebensrealität überhaupt keine Rolle.

Lassen Sie mich auch mal abschreiben: Sie sind heute Lieblinge des Feuilletons, haben den Bohrer gegen Streicher getauscht, lieben gutes Essen und sind Hausbesitzer. Fehlt nur noch ein Cicero-Abo, und die Bürgerlichkeit ist total.
Ich habe gar nichts gegen Cicero. Im Ernst, ich habe nicht vor zu leugnen, dass meine Lebenssituation 2014 natürlich eine ganz andere ist als 1980. Das bedeutet aber auch, dass das, was ich jetzt mache, nicht mehr dasselbe ist wie 1980. Andererseits bin ich genetisch immer noch derselbe Mensch. Vielleicht gibt es in meinem Denken eine Evolution, es hat aber sicher nicht radikal die Richtung gewechselt. Insofern müsste es beides geben: Kontinuität und Weiterentwicklung. Für die meisten Journalisten spielt das keine Rolle. Sie gucken in den Computer, in ihre Archive und dann gibt es diese unendlichen Selbstläufer. Das selbstläuferischste Zitat, das mir immer wieder aufstößt, stammt ursprünglich von Diedrich Diederichsen. Diederichsen hat irgendwann einmal gesagt, der Tourplan liest sich wie eine Agenda der Goethe-Institute. Da kann ich auch nur sagen, schön wär’s. Das ist einfach nicht wahr.

Berlin war immer Ihr Thema. Die Einstürzenden Neubauten haben diese Stadt hörbar gemacht. Ihr mit „Befindlichkeit des Landes“ im Jahre 2000 eine düstere Hymne geschrieben, in der es heißt „Melancholia schwebt über der neuen Stadt und über dem Land“. Ein Lied, das zu einem Berlin passte, das noch nicht wusste, wohin es gehörte.
Das war die Wut über die Architektur des Potsdamer Platzes, über den Wahnsinn, die Geschichte unter immer neuen Schichten verschwinden zu lassen.

Berlin ist erwachsen geworden. Die zarte Melancholie ist mittlerweile dem Glatten, Sauberen gewichen. Welches Lied müsste gespielt werden, um dieser Stadt heute gerecht zu werden?
Das weiß ich nicht. Dazu habe ich mich in letzter Zeit einfach mit anderen Dingen beschäftigt. Kurz nach diesem Lied habe ich Berlin verlassen. Ich hab dann jahrelang in San Francisco, dann in Peking gelebt und bin letztendlich aus familiären Gründen zurück nach Berlin gekommen. Wohne aber in Ostberlin, das ist für einen Westberliner immer noch ein Unterschied.

Inwiefern?
Für mich ist das Terra incognita. In Ostberlin verbinde ich keinerlei Erinnerungen mit irgendwas. Insofern ist es für mich, wie in einer anderen Stadt zu sein.

Das Interview führte Timo Stein

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