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Aufhebung des Inzestverbots - Die Familie ist nicht in Gefahr

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Der Ethikrat empfiehlt, Geschwisterinzest zu entkriminalisieren. Konservative sind empört und sehen die Familie bedroht. Doch ein Blick in die Begründung des Rates zeigt: Die Empfehlung ist klug, abwägend und die Institution Familie nicht in Gefahr

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Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Auch das noch. Das letzte Tabu ist in Gefahr. Jetzt wollen ein paar dahergelaufene Ethiker Geschwisterfummelei legalisieren und den Inzest salonfähig machen. Die Familie, die Kinder, das Abendland – alles bedroht. So überliest sich die Nachricht, die Mitte der Woche über den Ticker lief. Ethikrat gegen Inzestverbot. Rechts- und Innenpolitiker der CDU sind standesgemäß empört: Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, erklärt der BILD, die Empfehlung sei skandalös. „Der Ethikrat muss sich fragen, ob er seinem Namen und Auftrag mit diesem sittenwidrigen Vorstoß noch gerecht wird.“ Von einem „gefährlichen Signal für die gesellschaftliche Institution Familie“ spricht auch der ehemalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, der zu den neun Mitgliedern des Ethikrats zählt, die gegen die Empfehlung gestimmt haben.

Und überhaupt: Ethikrat? Was soll das denn sein? Was hat sich diese professorale Quatschbude, bestehend aus hochbezahlten, an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeimoralisierenden Feierabendphilosophen, jetzt wieder ausgedacht?

Ja, was eigentlich? Nun, eigentlich geht es der Mehrzahl der 26 Ratsmitglieder (die von Bundestag und Bundesrat vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt werden) schlicht darum, den Paragraphen 173 StGB einer Revision zu unterziehen und den „einvernehmlichen Beischlaf unter erwachsenen Geschwistern zukünftig nicht mehr unter Strafe zu stellen.“ Das Gremium gewichtet bei seiner Entscheidung das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung stärker als das abstrakte Schutzgut der Familie.

Denn das strafrechtliche Verbot einvernehmlicher sexueller Beziehungen bedeute einen tiefen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung, argumentiert der Rat. „Solche sexuellen Beziehungen gehören zum Kernbereich privater Lebensgestaltung. In diese innerste Sphäre der Person sollte der Staat mit strafrechtlichen Verboten nur insofern eingreifen, als es um Handlungen geht, die Persönlichkeitsrechte Dritter bedrohen oder verletzen.“

Heißt: Der Staat, bzw. das Strafrecht hat nichts in den Betten der Bürger zu suchen, sofern es sich um Erwachsene handelt, die wiederum einvernehmlich handeln. Das mag im Inzestfall schräg klingen, wir müssen uns dennoch von der Vorstellung verabschieden, der Rechtsstaat könne alles richten und regeln. Kann er nicht. Darf er nicht. Die wenigen Fälle von Geschwisterinzest in Deutschland wird eine Gesellschaft aushalten. Aushalten müssen.

Aufhebung des Verbots ist kein Freibrief für Geschwisterliebe
 

Auch sollten die Verbotsbewahrer von der Vorstellung Abstand nehmen, die Aufhebung des Verbots würde die Institution Familie und das gesellschaftliches Miteinander ins Wanken bringen. Als würden mit dem Verbot alle Hemmungen fallen und Geschwister reihenweise übereinander herfallen.

Etwas nicht mehr unter Strafe zu stellen, bedeutet eben nicht, es dann auch zu erlauben. Daher kann auch von einem Tabubruch keine Rede sein. Denn das Tabu „Inzest“ ist bei weitem nicht in Gefahr. Inzest bleibt weiterhin das, was es ist – nicht gesellschaftsfähig.

Der Fall zeigt: Was ohnehin gesellschaftlich geächtet ist, muss nicht zwangsläufig auch strafrechtlich sanktioniert werden. Insofern eine im Detail kluge und abwägende Empfehlung. Denn der Rat geht im Kern der Frage nach, ob das Strafrecht das richtige Instrument ist, um ein gesellschaftliches Tabu zu schützen.

Das darf bezweifelt werden. Denn der Schutz des Moralempfindens und der Aversionsgefühle Dritter oder der Mehrheitsgesellschaft allein könne Strafdrohungen als schwerwiegende Eingriffe in personale Grundrechte anderer nicht rechtfertigen, schreibt der Rat. „In einer liberalen rechtsstaatlichen Ordnung wie der des Grundgesetzes sind dem reinen Gefühlsschutz durch das Strafrecht enge Grenzen gesteckt. Das Strafrecht hat nicht die Aufgabe, für den Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen durchzusetzen.“

Das gilt natürlich nicht bei Übergriffen, Missbrauch, Nötigung, Vergewaltigung oder Inzesthandlungen von Eltern an ihren Kindern. Diese Straftaten bleiben Straftaten und sind nicht Gegenstand der Stellungnahme. Die Empfehlung ist ausdrücklich kein Freibrief für Übergriffe.

Ruhig Blut also.

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