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Analoges Leben - Im Netz gedeiht keine Bildung

Im Netz wird Wissen geliefert, sekündlich, im Lidschlagtempo. Aber das Leben spielt woanders. Ein Pamphlet für die reale Welt. 

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Der Salon floriert. Zum Beispiel in Berlin. Sei es privat, in herrschaftlichen Wohnungen aus wilhelminischer Zeit, sei es in Buchhandlungen, sei es im Foyer von Theatern. Die Bürger eilen in Scharen herbei, um zu diskutieren: mit Philosophen, Literaten, Künstlern, Zeitzeugen, Akademikern, Politikern. Wer etwas zu sagen hat, findet in der deutschen Hauptstadt Podium und Publikum.

Schon einmal war es so, im späten Kaiserreich. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Salon zum Ort bürgerlicher Emanzipation – Ort von Esprit und Causerie.

Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in den Blütejahren der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, bot der Salon – bis die Nazis kamen – den Freiraum zur Debatte über die Zeitläufte. Und tagsüber, wenn der Salon ruhte, lief der Diskurs in Wein- und Kaffeehäusern und in den Zeitungsredaktionen.

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Alles Geschichte?

Das 21. Jahrhundert brach an mit dem Internet. Was wir erfahren, was wir sagen, was wir denken: In Facebook und Google und Twitter und Wikipedia findet es seinen Niederschlag.

Ja, das Internet ist das Niederschlagsgebiet allen neuen Wissens. Die sekündlich anschwellende Menge des elektronisch vermittelten Menschheitsgedächtnisses ist nur noch in Tera­bytes zu bemessen – die Größenordnung, die den jetzt gerade aktuellen Wissensstand benennen kann. Und der ist ohnehin jetzt schon überholt. Und jetzt gerade erneut. Das Einspeisen, Einordnen und Einmotten im Netz vollzieht sich im Tempo des Lidschlags.

Dennoch sind Berlins Salons gesucht und begehrt, wie wohl auch in anderen Kulturmetropolen. Es herrscht ganz offensichtlich der Drang des Bürgers nach Begegnung und Besprechung mit anderen Bürgern – in intellektueller, in geistvoller Absicht. Man will reden miteinander; denken miteinander; und man will dabei zusammensitzen; auch zu einem Glas Wein will man greifen können beim Diskutieren und Zuhören; man will sich in die Augen schauen; man will die Körpersprache des Gegenübers erleben und genießen.

 

Aber auch die Virtualität ist Realität. Unablässig schwatzen wir doch schwärmend davon, dass die Netzwirklichkeit eine neue Wirklichkeit schaffe, die sich schließlich als unser aller wirkliche Wirklichkeit erweisen werde!

In Deutschland haben Netz-Nerds diese Wandlung bereits gewagt: Aus dem virtuellen Raum heraus gründeten sie die Piratenpartei, eine Partei, die den Anspruch, die herkömmliche Politik zu entern, bereits im Namen führt. Und im Logo: Die „Piraten“ setzten flott ihre Segel unter der Totenkopf-Flagge, die ja dem Feind seit je nichts weniger androht als den Untergang.

Daraus ist nichts geworden. Zwar feierte die Laptop-Partei ein paar provinzielle Wahltriumphe, doch sie verflüssigte sich inzwischen wieder fast völlig im Netz.

Ihr Versprechen allerdings war gewaltig: Sie wollte Transparenz schaffen, hundertprozentiges Sichtbarmachen aller Regungen in der Demokratie. Ein Totalitarismus von gleißender, von blendender Helligkeit – bis in den hintersten politischen Winkel hinein.

[gallery:... dem Müßiggang zu frönen]

Die Partei schaffte nicht einmal den Überblick über sich selbst. Sie zerstritt sich in Shitstorms, Twitter-Intrigen und Facebook-Verunglimpfungen. Der entgeisterten Öffentlichkeit bot sich ein Bild zumeist junger Menschen, die nicht zusammenfanden, weil sie kaum je physisch teilgenommen hatten an der realen Politik, so wie sie immer schon war.

Auch die Abschaffung von Herrschaftswissen durch Transparenz misslang. Denn was ist Transparenz? Ist es der Klick auf ein Dialogfeld des Bildschirms? Der Blick in die Google-Welt? Transparent machen heißt sichtbar machen. Sichtbar aber bedeutet begreifbar, zum Greifen, also intellektuell-sinnlich erfahrbar.

Das aber zwingt zum Zusammenfügen und Ergänzen von Wissenspartikeln, wie sie das Netz liefert; es zwingt zum Einbetten von partiellem Wissen in den großen menschlichen Erfahrungsschatz; und es zwingt zur Konfrontation von allem Wissen mit ethischen und moralischen Grundwerten.

Das wäre dann Bildung zu nennen.

Doch wo und wie bildet sich Bildung? Das Netz liefert dazu nur den kruden Werkstoff. Die Denkhandwerker aber schreiben Bücher, halten Vorträge, diskutieren in Salons. Vor allem gestalten redaktionelle Gemeinschaften Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Auf Papier wird vorgedacht, nachgedacht und weitergedacht, wird debattiert und ausprobiert, wird erwogen und abgewogen, oft umständlich, bisweilen auch vollendet elegant.

Das aber zwingt zum Zusammenfügen und Ergänzen von Wissenspartikeln, wie sie das Netz liefert; es zwingt zum Einbetten von partiellem Wissen in den großen menschlichen Erfahrungsschatz; und es zwingt zur Konfrontation von allem Wissen mit ethischen und moralischen Grundwerten.

Das wäre dann Bildung zu nennen.

Doch wo und wie bildet sich Bildung? Das Netz liefert dazu nur den kruden Werkstoff. Die Denkhandwerker aber schreiben Bücher, halten Vorträge, diskutieren in Salons. Vor allem gestalten redaktionelle Gemeinschaften Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Auf Papier wird vorgedacht, nachgedacht und weitergedacht, wird debattiert und ausprobiert, wird erwogen und abgewogen, oft umständlich, bisweilen auch vollendet elegant.

Die Zeitung und die Zeitschrift sind der gedruckte Salon unserer demokratischen Gesellschaft. Journalisten sind in diesem Salon Gastgeber und Gedankengeber, manchmal brillante Causeure, gerne auch geistvolle Gaukler. Sie erzählen die sinnfälligen und hintersinnigen und immer wieder lehrreichen Märchen des Alltags. Mit ihrem altmodischen Medium garantieren sie das Denkgeflecht, das unsere freie Gesellschaft zusammenhält.

Und sie tun ihr Werk von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, geradezu bedächtig, auf wohltuende Weise entschleunigt, mithin also viel zu langsam für die permanent hysterisch erregte Netzwelt. Zeitungsjournalisten entlarven das Funkengestiebe im Netz, von bildschirmsüchtigen Kids und Nerds fürs Sternenzelt gehalten, als unendlich viel Meteoritenschrott.

Das Schicksal der Menschen spielt unter Menschen und hinieden, wo wir uns begegnen in Salons, in Cafés, in Lounges, in Redaktionen, in Zeitungen und Zeitschriften, in Büchern – im persönlichen Gespräch.

Das ist Lebenselixier und Luxus der Demokratie: Zeit zu haben und Räume dazu.

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