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(Kai Nedden) Seine Agentur hat die ganz Großen der Branche: Andrew Wylie

Literaturagent Andrew Wylie - Amazon verkauft Bücher wie Hotdogs

Andrew Wylie ist der berühmteste Literaturagent der Welt. Zu seiner scheinbar endlosen Klientenliste gehören Größen wie Salman Rushdie oder John Updike. Er kritisiert Branchen-Riesen wie Amazon fürs Bücherverramschen — und kämpft selbst vor allem für eines: gute Literatur

Vielleicht räkelte sich ­Hampton, die Ladenkatze, gerade auf der Holztheke neben der antiken Registrierkasse, als Andrew Wylie die bimmelnde Tür des Corner Bookstore nach einem Lauf im Central Park öffnete. Vielleicht brauste gerade der Bus M3 auf der Madison Avenue auf dem Weg nach Harlem vorbei. Vielleicht war wieder mal kein Vogel im Central Park zu hören gewesen, nur das Rauschen des Verkehrs, das Klicken der Touristenkameras und das dumpfe Wummern der iPods der anderen Jogger. Man findet alles in Manhattan, nur keine Stille. Es sei denn, man sucht Zuflucht an der Ecke der 93. Straße in dieser kleinen Kathedrale der guten Literatur, in der Frank McCourt erstmals „Die Asche meiner Mutter“ vorstellte und das Geräusch der Sohlen auf dem alten rot-grauen Terrazzoboden zu leisen Schritten gemahnt.

Wylies Blick fiel auf „Vertigo“, die erste Übersetzung von W. G. Sebalds Erzählungsband „Schwindel. Gefühle“. „Ist literarische Größe noch möglich?“, fragt da Susan Sontag rhetorisch auf dem Einband. „Ich hatte kein Geld dabei, aber nahm das Buch mit und rief Susan an“, erinnert sich Wylie. Sontag geriet ins Schwärmen. „Okay“, sagte ich. „Ich werde duschen, gehe das Buch bezahlen und lese es dann. Nachdem ich durch war, habe ich sie direkt danach wieder angerufen und gesagt ‚Mein Gott, Susan, das ist großartige Literatur!‘“ Wylie besorgte sich Sebalds Nummer und beschloss, ihn weltweit berühmt zu machen. Wenig später fuhr er mit dem Zug ins ost­englische Norwich und besiegelte die Zusammenarbeit wie üblich per Handschlag. Bald verband Andrew und Max, wie Sebald von Freunden genannt wurde, eine innige Freundschaft.

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Wenn Wylie einen Autor gewinnen will, reist er an und spielt notfalls über die Bande. „Er ist ein meisterhafter Stratege“, sagt der Autor George Prochnik. So hat Wylie einst die Kooperation mit der früheren pakistanischen Politikone Benazir Bhutto als Köder ausgeworfen, um Salman Rushdie für seine Agentur zu gewinnen. Kaum ein Agent verfügt über derart solide internationale Verlagskontakte von Nordamerika und Europa bis nach Japan, China und in die arabische Welt.

Seit der Harvard-Absolvent und Sohn einer wohlhabenden Bostoner Familie nach wilden Jahren als bärtiger Taxifahrer und Partygast von Andy Warhol 1980 die Wylie Agency gründete, hat er sein Netzwerk aus Autoren und Verlegern, Chefredakteuren und Rezensenten unermüdlich ausgebaut. Wer von Wylie vertreten wird, hat gute Chancen, in New York und London besprochen und bis nach Karachi gelesen zu werden. Sebalds Roman „Austerlitz“ wurde von der New York Times zu einem der zehn wichtigsten Bücher des Jahres gewählt und ein weltweiter Erfolg. „Mein letztes Buch wurde von Wylies Agentur nach Südkorea und Katar verkauft“, sagt Prochnik. „Kein anderer meiner Agenten hat diese Märkte vorher auch nur für relevant gehalten, geschweige denn Verbindungen dorthin aufgebaut.“ Für die Autoren summieren sich diese internationalen Verkäufe.

Wie im Corner Bookstore herrscht auch in Wylies New Yorker Büro in der Nähe von Broadway und Carnegie Hall eine fast schon gespenstische, weltabgewandte Ruhe. Es würde einen nicht wundern, wenn Wylie statt elegantem Maßanzug einen weißen Kittel trüge, um in seinem Chemielabor ungestört von dem Getöse der Bestsellerlisten die Essenz der Weltliteratur zu destillieren. Es ist Mittwochnachmittag, die drückende Hitze Manhattans wird sich in wenigen Minuten in einem heftigen Sommersturm entladen. 18 Mitarbeiter in kleinen Büros und Arbeitsnischen beschäftigen sich hier nahezu geräuschlos mit ihren Manuskripten, umgeben von Tausenden von Erstausgaben ihrer Autoren. Niemand spricht, niemand blickt auf, als der Chef mit festem Schritt vorbeieilt. Ein Mitarbeiter isst ein Reisgericht aus einer Aluschale und brütet über einem Balkendiagramm. Zu den Geschäftspraktiken der Agentur gehören Zahlen und Präzision: Wie hoch schätzt man das Potenzial eines Buches ein, welche zusätzlichen Märkte könnte man dafür noch erobern? Wie viel Vorschuss kann man einem Verlag abhandeln?

Seite 2: Mit raubkatzenhaften Augen

Wylie nimmt auf einem Sessel Platz, schlägt die Beine übereinander und beobachtet mich auf dem dunkelblauen Sofa. Die eigenartige Schräge seiner hellen Augen geben seinem schmalen Kopf etwas Raubkatzenhaftes. Seit er 1995 Martin Amis von dessen langjähriger Agentin Pat Kavanagh, der Frau des britischen Schriftstellers Julian Barnes, abwarb, haftet ihm der Spitzname „Schakal“ an. Dabei handelt Wylie weniger wie ein aasfressender Wildhund, sondern eher wie ein Gepard, von dem man sagt, er beobachte seine Beute lange im Verborgenen, bevor er zugreife. „Oft stellen wir fest, dass ein Autor von sieben internationalen Verlagen gedruckt wird, die allesamt für ihren schlechten Geschmack und ihr mangelndes Urteil bekannt sind. Das spart mir unglaublich viel Zeit, weil ich mir dann die Werke noch nicht mal anschauen muss“, meint er trocken.

Man tue Autoren keinen Gefallen damit, ihre Bücher an Joe Mudpuddle in Sussex zu verkaufen. Mancher wirft ihm vor, nur etablierten Autoren zu Ruhm zu verhelfen, dabei findet man bei der Durchsicht seines 240 Seiten starken Katalogs eine Reihe von Debütwerken. Und niemand kann ihm vorwerfen, sein Geld mit Buchmarkt-Trash oder billiger Mädelliteratur zu verdienen. „Dieser Mann hat einen unglaublich guten Geschmack“, sagt Steve Wasserman, bis vor kurzem New Yorker Direktor der Konkurrenzagentur Kneerim & Williams.

Würde er einschlagen, wenn E. L. James, die alleine in den USA gerade 35 Millionen Exemplare ihrer Sadomaso-Trilogie verkauft hat, ihn bäte, ihr Agent zu werden? Wylie lächelt genüsslich. „Ich würde ihr sagen, dass ich ihre Arbeit nicht gelesen habe“, sagt er lang gedehnt und unterdrückt ein Lachen, „was der Fall ist. Und dass ich das Gefühl habe, dass wir nach dem, was ich höre, nicht die richtigen Agenten für sie wären.“ Vor James bekam Danielle Steel lange den Spott Wylies ab, der „kein Interesse an Literatur für frustrierte Frauen hat“ – es sei denn auf dem literarischen Niveau von Charlotte Brontës „Jane Eyre“.

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Einen Steinwurf entfernt von Wylies Agentur sitzt einer seiner wichtigsten Geschäftspartner in einem raumgreifenden Büroturm, der die Macht des größten internationalen Publikumsverlags spiegelt: Markus Dohle, CEO von Random House, Verleger von E. L. James, Danielle Steel und einer beachtlichen Zahl von Wylies Klienten wie dem vor elf Jahren verstorbenen W. G. Sebald.

Der energische Westfale ist dieser Tage bestens gelaunt, denn dank der „Mommy-Porn“-Trilogie und anderer erfolgreicher Titel läuft das Geschäftsjahr 2012 trotz allgemeiner Krisenstimmung hervorragend. Im Herbst geht Random House mit Salman Rushdies Memoiren „Joseph Anton“ sowie neuen Werken von John Grisham und Ian McEwan an den Start. Hinzu kommt der rapide Anstieg der E‑Book-Verkäufe, mit denen laut Dohle neue Käuferschichten gewonnen wurden. So rapide, dass selbst der Zusammenbruch der amerikanischen Buchhandelskette Borders mit 700 nun fehlenden Verkaufsstellen verkraftbar scheint. „Ich werde häufig gefragt, wie es uns denn mit unserem ‚traditionellen‘ Verlagsmodell geht. Uns geht es sehr gut, weil wir das Modell modernisiert haben und weiterentwickeln!“, sagt der 44-Jährige.

Derweil steht der internationale Buchmarkt unter Druck: Einerseits soll laut des Marktforschungsunternehmens Forrester Research 2015 der Umsatz mit E-Books in den USA auf ganze drei Milliarden Dollar klettern. Andererseits hat Jeff ­Bezos, Chef des amerikanischen Buchversandriesen Amazon, den Verlagen mit der Einführung des hauseigenen digitalen Lesegeräts Kindle und der Gründung eines eigenen Verlags de facto den Krieg erklärt. Dass Amazon Publishing vom Verlagsurgestein Larry Kirshbaum, dem früheren CEO der Time Warner Book Group, geleitet wird, ist für das Feld der Konkurrenten keine Beruhigung. „16 von 100 Bestsellern auf dem Kindle werden heute mit unserer Hilfe selbst verlegt“, erklärte Bezos kürzlich stolz dem New-York-Times-Star­kolumnisten Thomas L. Friedman. „Das bedeutet: kein Agent, kein Verleger, kein Papier – nur ein Autor, der den Großteil der Lizenzgebühren bekommt, plus Amazon und Leser.“ Wann immer er die Gelegenheit hat, trompetet Jeff Bezos: „Weg mit den Türhütern!“ Die Zukunft des Verlegens sei digital und demokratisch.

Seite 3: Autoren brauchen Geld und deshalb Verlagsstrukturen

Wylie und Dohle sind da natürlich gänzlich anderer Meinung. Schon seit langem halten sie dagegen, dass Buchproduktion ohne Qualitätskontrolle das Netz verstopfe wie Schmutz ein Abflussrohr. „Der einzige Ehrgeiz von Amazon ist Größe. Für die macht es gar keinen Unterschied, ob sie Hot Dogs verkaufen oder ‚Ulysses‘, solange es nur 99 Cents kostet“, schnarrt Wylie. Dass der Internetversand und E-Book-Verleger seinen Autoren 70 Prozent der Einnahmen verspricht, sei aufgrund der in den USA relativ niedrigen Verkaufspreise von E-Books ohnehin Rosstäuscherei. Wenn er einen Vorschuss von drei bis vier Dollar pro Buch auf prospektive 100 000 Printexemplare aushandle, könne sich der Autor zwei Jahre zum Schreiben zurückziehen. Aber wenn man 30 Cents von 100 000 digitalen Exemplaren bekäme, die zu Schleuderpreisen auf den Markt geworfen würden, sei man rasch pleite. „Oder man arbeitet sieben Jahre bei McDonalds und schreibt nach Feierabend ‚Ulysses‘ und versucht, sich nicht aufzuhängen.“

In den Gängen der Verlage geht dennoch das Gespenst der Autorenautonomie um. Dohle räumt ein, dass er vor den neuen Spielern und Marktmodellen großen Respekt hat. „Wir beobachten und analysieren die Marktentwicklungen ganz genau.“ Allerdings bemüht er sich auch darum, den Hype zu dämpfen. Nur ganz wenigen der sich selbst online verlegenden Autoren sei es gelungen, nach oben auszubrechen. Von denen seien dann zudem durchaus viele zu klassischen Verlagen gegangen, um satte Vorschüsse zu kassieren.

So unterzeichnete etwa Amanda Hocking, die mit online selbst veröffentlichten Vampirromanen berühmt wurde, bei der amerikanischen Verlagsgruppe Macmillan. „Amanda wer?“, knarzt Wylie mit hochgezogenen Brauen. „Was fasziniert Leute überhaupt so an diesen Vampirbüchern? Ich kann das echt nicht nachvollziehen.“ Überhaupt tummelten sich im Netz Tausende von „matschbesprengten Schreiberlingen, die an gnadenloser Selbstüberschätzung leiden“. „So viele Autoren können einfach nicht schreiben und glauben trotzdem, dass jemand einen Haufen Geld für den von ihnen fabrizierten Müll zahlen sollte.“ Für Stefan Zweig war die Literatur der Eingang in eine andere Welt. Wylie scheint bereit zu sein, diesen Eingang wie ein Zerberus zu verteidigen.

Random House verfolgt eine andere Strategie. Auf die Herausforderung der ­E-Book-Ära stellt man sich hier nolens, volens ein. In einem Imagefilm auf seinem US-Autorenportal präsentiert der Verlagsriese eine ausgeklügelte Marketingstrategie: Experten für Social Media, Blogger und Mundpropagandisten, Analysten digitaler Entwicklungen, Beobachter der explodierenden Self-Publishingszene, die gezielt erfolgreiche Autoren anwerben, Mitarbeiter, die selbst kreierte Online-Literaturseiten wie „Suvudu“ oder „Everyday eBook“ bespielen – sie alle sollen den Autoren des Hauses und seiner zahlreichen Imprints die Gewissheit geben, dass die Verlagsmaschine brummt und man werbe- und vertriebstechnisch längst im 21. Jahrhundert angekommen ist. Während das Geschäft mit den E-Books in Deutschland wegen der Buchpreisbindung und der damit verbundenen verhältnismäßig hohen Preise nur schleppend in Gang kommt, liegt ihr Umsatzanteil in den USA bei gut 25 Prozent. „In drei Jahren könnten wir 35 bis 40 Prozent erreichen“, sagt Dohle.

Für Steve Wasserman, mittlerweile Cheflektor bei der Yale University Press, bleibt die Zukunft des Verlegens ein Geheimnis. „Ob Autoren weiter auf traditionellem Wege veröffentlichen oder ihre Werke lieber direkt online stellen werden, ist eine offene Frage. Wie sie beantwortet wird, ist der Kern der aktuellen Auseinandersetzung zwischen Amazon und traditionellen Verlegern“, schrieb er unlängst in der amerikanischen Wochenzeitschrift The Nation. Den Unterschied zwischen ­E-Books und Printausgaben beschreibt er in unserem Gespräch so: „Das ist wie virtueller und echter Sex. Jeder weiß, dass echter Sex besser ist, aber für den virtuellen gibt es trotzdem einen großen Markt.“
Andrew Wylie will, dass seine Agentur 100 Jahre besteht und den Wandel überdauert. „Ich glaube, dass die Autoren, für die ich mich interessiere, einen bleibenden Wert haben. Deswegen sollten sie nicht nur dafür bezahlt werden, was ihr Buch in einem Jahr einbringt, sondern im Verlauf von 50 Jahren. Wie kann man jemals genug für Sebald zahlen? Jeder Verleger sollte sich für Sebald ruinieren. Stattdessen ruinieren sie sich für E. L. James. Das ist einfach verrückt“, meint Wylie zum Abschluss meines Besuchs, und man kann die Leidenschaft durchhören, mit der er Verhandlungen führt.

Im Corner Bookstore liegt auf den gediegenen Lesetischen zurzeit Dave Eggers’ viel gelobter neuer Roman „A Hologram for the King“, neben vielen anderen anspruchsvollen Neuerscheinungen aus der Schmiede des Staragenten. Irgendwann wird hier Prochniks neues Buch über Stefan Zweig liegen, für den Bücher eine Handvoll Stille inmitten von Unruhe und Qual waren. „Sie verkaufen also nicht ‚Shades of Grey‘?“, frage ich Robert, den Buchhändler. „Doch, doch, das hält den Laden am Leben“, seufzt er. „Wollen Sie’s haben?“ 

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