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Am Kap der Finsternis

Seine Romane sind grausam, sie sind schön: Mit unvergleichlicher Wucht hat der südafrikanische Thriller-Autor Roger Smith die Krimiliteratur aufgemischt. So unglaublich seine Figuren wirken mögen, sie stammen aus der traurigen Wirklichkeit hinter Kapstadts Wohlstandsfassaden.

Noch schöner als die blonden Joggerinnen auf der Strandpromenade der Three Anchors Bay sind das überirdisch leuchtende Blau über dem Tafelberg und die goldenen Garben der Abendsonne auf dem Atlantik. Im Brandungssaum brüllt ein zugedröhnter Rastalockenmann seine Suada gegen Gott und die Welt. Das Rauschen ist stärker als er. Auch wer zum ersten Mal hier ist, erkennt die Szenerie sofort wieder.

Läsen die schönen blonden Sportlerinnen Roger Smiths jüngsten Roman „Blutiges Erwachen“ (Klett-Cotta), würden sie es vorziehen, auf den Hometrainern in ihren Luxusappartements mit Seeblick zu joggen. Denn dort unten schneidet ein rauschgiftsüchtiger schwarzer Psychopath weißen Frauen die Köpfe ab. Fast vor der Haustür des Autors kommt es zum Showdown, zum Gemetzel zwischen Gangsterbossen, rassistischen Bullen und neureichen Menschenhändlern. Absurd scheint die Schönheit dieser Stadt.

Entspringen die Gewaltorgien der härtesten Kriminalromane auf den Bestsellertischen der überreizten Fantasie des Autors? Der fünfzigjährige Glatzkopf ist von eher zarter Statur und strenger Veganer. Alkohol verschmäht er auch. Damals, zu Zeiten der Apartheid, trank Smith viel. Nach seiner zweijährigen Militärzeit bei einer Propagandafilmabteilung wurde er Filmemacher und gründete eine Aktionsgruppe Filmschaffender gegen den Rassismus. Außer den Schauspielern gab es keine Schwarzen in der Branche. Erst Zumaya, seine kleine, energische, vergnügte Frau, veränderte sein Leben. In ihr fließt asiatisches, europäisches und afrikanisches Blut. Sie stammt aus den Capeflats, jenem endlosen Labyrinth der Armut in der Ebene hinter dem Tafelberg, wo nie nachlassende Winde Sand und Unrat aufwirbeln. Dort liefern sich Gangs bestialische Schlachten. Auch Zumayas Bruder ist Gangster. Sie hat es geschafft herauszukommen, wurde Modedesignerin, studierte Psychologie. Sie war es, die Smith die Türen zum Milieu seiner Bestseller eröffnete.

Die Leute in den Wellblechhütten sind nicht weiß und nicht schwarz, sondern „farbig“, wie man hier sagt. Vom Apartheidregime wurden sie ebenso benachteiligt wie heute von der Regierung der schwarzen Mehrheit. Die Weißen schickten sie in die Flats, weil sie sich an den Buchten Kapstadts nicht blicken lassen sollten. Heute wiederholen die ANC-Demokraten, die jede Kritik an ihrer Regierung als Rassismus deuten, den Fehler von einst. Farbige wurden aus ihren schäbigen Hütten am Rande der Autobahnen in staatliches Wellblech umquartiert, ins noch armseligere Abseits, damit den Besuchern der WM ihr Anblick erspart bleibt. Die Fans sollten Roger Smiths Roman „Kap der Finsternis“ im Reisegepäck haben.

Zumaya und Roger Smith recherchieren gemeinsam in der Welt der Gangs. Fast alle in dieser Gegend sind arbeitslos. „We are the children, the future“, steht an einer Hauswand. Keine Wohltätigkeits­initiative wirbt da, sondern Westside, die Jugendorganisation der Hard Livings, einer der beiden verfeindeten Gangs, die seit bald hundert Jahren ihre Traditionen und Mythen pflegen. „Du hast kaum eine Chance, dich den Gangs zu entziehen“, sagt Smith. „Wer nicht mitmacht, wird bedroht und ermordet.“ Gangwaffe ist das Klappmesser. Abgestochen, mit einer Bewegung aufgeschlitzt vom Scham- bis zum Brustbein: so verlor auch Smith einen Freund.

Für Gangmitglieder steigt die Überlebenschance im Wellblechdschungel. Sie verdienen ihr Geld mit Drogen. „Du kannst den richtigen und den falschen Weg im Leben wählen“, erzählt Billy, der Offizier einer Gang. „Ich habe mir den falschen Weg nicht ausgesucht, ich wurde gezwungen.“ Treffendere Sätze kann sich ein Autor nicht ausdenken. Am schlimmsten sind die Frauen dran. In den Flats herrsche eine „Vergewaltigungskultur“, sagt Smith. Laut Statistik wird hier jede zweite Frau in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt. Zumaya arbeitet für ein Betreuungsprojekt. Der Mangel an Respekt vor dem Leben, sagt sie, sei die Folge der extremen Identitätsprobleme der Farbigen.

In Kapstadt existieren Paradies und Hölle direkt nebeneinander. Von den Weingütern aus kann man unten im Tal Pollmoore sehen, das berüchtigte Gefängnis, wo die Gangster nicht aufhören zu schlachten und dafür Rangabzeichen auf die Schultern tätowiert bekommen. In seinen Romanen lässt Smith die beiden Welten dieser Stadt aufeinanderprallen. Die zwei Drittel der Kapstädter in der staubigen Ebene zu vergessen, wie es die meisten in Camps Bay und an der Three Anchors Bay tun, hält er auch für politisch gefährlich. Seit dem Ende der Apartheid ist die Kluft zwischen Reich und Arm noch tiefer geworden. Smith versteht sich als südafrikanischer Patriot. Obwohl auch er inzwischen mit dem Gedanken spielt auszuwandern, wie schon einige seiner Freunde vor ihm, zumal seine Prognose pessimistisch ist.

Die blonden Joggerinnen nehmen den brüllenden Schwarzen am Strand nicht wahr. Sie kennen die Krimis nicht, die nun von Hollywood verfilmt werden. In Südafrika wird wenig gelesen. Bücher sind vergleichsweise teuer, und die dünne Schicht der Bildungsbürger bevorzugt Hochliteratur von J. M. Coetzee und Nadine Gordimer. Smith sagt: „Die Gewalt in den Flats, das ist unsere neue Apartheid. Worüber sonst sollte man heute in Südafrika schreiben?“

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