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(Foto: MDCarchives) Als Amerika noch jung war

Bücher des Monats - Als Amerika noch jung war

Was sich aus Hunter S. Thompsons Reportage über den US-Wahlkampf von 1972 für das Duell Barack Obama gegen John McCain lernen lässt ...

Als Barack Obama vor einigen Wochen an der Berliner Siegessäule den amerikanischen Wahlkampf eröffnete, fiel die große Zahl junger Leute auf, die bereit waren, sich von ihm euphorisieren zu lassen. Sicher: die Englischlehrer der Stadt hatten ihre Schüler in Scharen abkommandiert, auf dass sie die Gelegenheit nutzten, eine Portion geschichtsverdächtiger Redekunst ent­gegenzunehmen. Atmosphärisch aber lag an diesem Sommerabend tatsächlich ein Hauch JFK in der Luft. Dabei wurde das Publikum von Obamas Rede keineswegs mitgerissen. Sie bestand bestenfalls aus solider Rhetorik. Ein Großteil der 200.000 war vielmehr von vornherein bereit, sich in einer Art Stun­de der wahren Empfindung anrühren zu lassen. Als einheimischer Politikbeobachter blickte man stau­nend, auch neidisch auf dieses Spek­takel. Woher nur bezieht die amerikanische Politik die Kraft, dass ein vor kurzem noch völlig unbekann­ter Kandidat ein demokratisches Hochgefühl anzufachen vermag, das man eben noch als von der Regierung Bush ruiniert beschrieben hätte?

Wer den Endspurt im amerikanischen Wahl­kampf, für den auch hierzulande reichlich Sendezeit aufgewendet wird, besser verstehen will, sollte sich zur begleitenden Lektüre Hunter S. Thompsons erstmals auf Deutsch gesammelte Reportagen «Angst und Schrecken im Wahlkampf» vornehmen. Knapp ein Jahr lang war Thompson als Wahlkampf-Junkie unterwegs, von Dezem­ber 1971 bis zur Wahl Richard Nixons 1972. Zuvor hatte er schon der Kür des demokra­tischen Kandidaten George McGovern beigewohnt, der als klarer Außenseiter seiner Partei ins Rennen gegangen war.


Aufklärerischer Gossenreport

Hunter S. Thompson (1937–2005) war kein gewöhnlicher Politikjournalist. Seine Reportagen erschienen im legendären Musikmagazin «Rolling Stone», das durch seinen auffälligen Stil in dieser Zeit maßgeblich geprägt wurde. Zusammen mit Tom Wolfe galt Thomp­son als Vertreter des New Journalism. Reportage und Stil sind unzureichende Begriffe, um die Textsorte zu kennzeichnen, durch deren Brennglas Thompson die amerikanische Politik betrachtete. Ein Kollege hatte dafür den Begriff «Gonzo-Journalismus» geprägt und dabei an eine Figur aus der Muppet-Show gedacht: Gonzo, dieser langnasige Trompetenspieler im Blaumann, fällt zu Beginn einer jeden Sendung dadurch auf, dass er seinem Instrument keinen einzigen sauberen Ton entlocken kann. Ebenso wenig unfallfrei verlief Thompsons Zusammenprall mit der Welt: dem Gonzo-Journalisten ging es stets darum, seinem Gegenstand mit radikaler Subjektivität zu Leibe zu rücken.

Hunter S. Thompson, der mit seinem später verfilmten Buch «Angst und Schrecken in Las Vegas» zum Kultautor avancier­te, schüttelte einen Cocktail aus verschiedenen journalistischen und literarischen Formen zusammen und hielt sich nicht lange mit den Regeln objektiver Berichterstattung auf. Ohne Rücksicht auf juristische Nachspiele berichtete er über den Drogenkonsum der Politiker im Dauerkonvoi durch God’s Own Country und schrieb in schäbigen Hotels wie einer, der auf Speed im Dienst einer selbstdefinierten journalistischen Wahr­haftigkeit unterwegs ist. Und nicht selten war er das tatsächlich.

Es fällt heute nicht ganz leicht, diesem rasenden Mix aus überdrehten Pointen, Popjargon und Fäkalsprache zu folgen. Thompson betrieb eine Art Gossenreport in aufklärerischer Absicht. Wenn Politik ein schmutziges Geschäft ist, dann war es unmöglich, dabei sauber zu bleiben. Thompson dürfte es auch gewesen sein, der spätere Generationen von Journalisten ermutigt hat, in allen nur denkbaren Texten ein aufdringliches Ich unterzubringen. Am erfolgreichsten adaptiert und verfeinert worden ist dieser Stil hierzulande von Jörg Fauser, der sich zunächst in Zeitungskolumnen und später mit Romanen wie «Der Schneemann» einen deutschen Reim auf das schnelle Leben des Hunter S. Thompson machte. Beide lebten wild und gefährlich. Während Fauser bereits 1987 betrunken und zu Fuß auf einer Autobahn bei München von einem Auto erfasst wurde, nahm sich Thompson 2005 mit einem Kopfschuss das Leben.

Ist Wählen eine politische Option?

Für seine Berichte aus einem exzentrischen Leben haben nicht wenige Leser Hunter S. Thompson verehrt. Heute hingegen wirkt der stilistische Hochdruck leicht lästig. Wenn es jedoch gelingt, sich über das selbstverschwenderische Ego des Autors hinwegzusetzen, dann gibt «Angst und Schrecken im Wahlkampf» wertvolle Einblicke in die Politik eines großen, beinahe zwangsläufig zerrissenen Landes.
Die Wahl von 1972 war nicht irgendeine. Während die Morde an Bobby Kennedy und Martin Luther King im Jahre 1968 tiefe Spuren im politischen Bewusstsein der Nation hinterlassen hatten, hatte das Vietnam-Trauma die Gesellschaft noch nicht annähernd erfasst. In den manischen Texten Thompsons spürt man die Suchbewegung einer Gesellschaft, die in den sechziger Jahren nach einem emanzipativen Ruck aufgebrochen, aber nicht angekommen war. Nicht wenige knüpften an die Wahl die Frage, ob Wählen überhaupt eine politische Option sei.

 «Wie viele dieser gottverdammten Wahlen», schreibt Thompson, «müssen wir noch als lahme, aber leider notwendige Aktionen zur Schadensbegrenzung abschreiben? Und wie oft müssen wir dieses niederschmetternde Schmierentheater noch über uns ergehen lassen …?» Durchaus nicht im Sinne eines verlässlich geregelten Wechsels von Regierung und Opposition, als den Niklas Luhmann die Funktion der demokratischen Wahl beschreibt, hofften Thomp­son und seine Zeitgenossen auf einen fundamentalen Systemwechsel.

Vor diesem Hintergrund verfolgt der Autor das Schmierentheater bis in die verlassenen Gegenden der Provinz und entlarvt den Politikbetrieb als verkommenen Intrigantenstadl, in dem Werte, Inhalte und politische Argumente wenig zählen. Zur Thompson-Methode gehörte es, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Vier Jahre zuvor war er sogar in die Nähe Richard Nixons gelangt, ehe dieser Präsident wurde. Bedingung für das Exklusiv-Gespräch war, dass es sich ausschließlich um Football drehen durfte. Und so sehr Thompson Nixon auch verachtete – dessen intime Kenntnisse über die Quarterbacks des Landes flößten ihm doch bleibenden Respekt ein. George McGovern, der einzige ehrliche Kandidat, war hingegen wenig charismatisch und galt als chancenlos. «McGovern ist zum Scheitern verurteilt», schreibt Thompson, «weil jeder, der ihn kennt, so viel Respekt für ihn hegt, dass er dem armen Kerl nicht zumuten mag, am Präsidentenrennen teilzunehmen.»


Obamas Leidenschaft

Der Riss, der die amerikanische Gesellschaft spaltete, war auch einer zwischen Alt und Jung. In den Wahlkampfzentralen zerbrach man sich den Kopf darüber, wie diese oder jene Wählergruppe zu erreichen wäre; die Jungen galten vielfach als unzugänglich. Es hatte sich eine Massenbewegung formiert, die dabei war, aus der Gesellschaft auszusteigen. In seinem Kultbuch «The Greening of America» (Die Welt wird jung) hatte Charles Reich 1969 den politisch wie ökologisch motivierten Aufbruch der amerikanischen Gesellschaft beschworen. Drei Jahre später schien davon nur noch wenig übrig. George McGovern war offenbar der einzige Kandidat, der darum wusste. «Den tonangebenden Politikern», sagte er in einer Wahlkampfrede, «geht es in erster Linie darum, dass die jungen Leute aus der Gesellschaft aussteigen …, denn sie wissen, die jungen Leute können das System verändern, und diese Politiker wollen keine Veränderungen.» In Thompsons Reportagen wird spürbar, wie weit die Abkehr einer ganzen Generation bereits vorangeschritten war.

McGovern setzte sich zur Überraschung aller Experten gegen Kandidaten wie Hubert Humphrey, Ed Muskie und George Wallace im Lager der Demokraten durch, hatte aber später gegen Richard Nixon keine Chance. Die Hoffnung auf Bündelung der Kräfte eines jungen Amerika war erstickt. «Ich glaube», bilanziert McGovern im Gespräch mit Thompson, «wir haben das Maß an Enthusiasmus für einen Wandel bei den jungen Leuten überschätzt … Es gibt in unserem Land sehr viele Leute, die sind hier eher daran interessiert, ob die Dolphins die Red­skins schlagen, als dass es sie kümmert, ob Nixon oder George McGovern ins Weiße Haus einzieht. Ich glaube, es gab eine Menge Gleichmut – aber auch gehörig viel Überdruss am Aktivismus der 60er: der Bürgerrechtsbewegung, der Friedensbewegung, den Kreuzzügen gegen dieses und jenes, den Märschen und den Demonstrationen.» Die sechziger Jahre waren bereits 1968 zu Ende gegangen. Nur hatte das 1972 noch niemand gemerkt.

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, was Thompsons Wahlkampf mit dem aktuellen von 2008 verbindet. Es handelt sich nicht so sehr um die schiere Bedeutung des Schlagworts vom sozialen «Wandel», das Barack Obama plakativ für sich in Anspruch nimmt. Denn die Ausstiegsbewegung der späten sechziger Jahre vollzog sich auf der Basis einer prosperierenden Wirtschaft, während heute über einen dramatischen sozialen Ausschluss gesprochen werden muss, den die jüngste Finanzkrise noch verschärfen dürfte; zum amerikanischen Traum sind schon lange nicht mehr alle zugelassen. «Angst und Schrecken im Wahlkampf» ist auch nicht deshalb so faszinierend, weil das Buch den Inszenierungscharakter der amerikanischen Politik schonungslos demaskiert. Dieser ist inzwischen zu einem bruchlosen Gesamtdesign verfeinert.

Hunter S. Thompson legt vielmehr die Spur zurück zu einer Zeit, in der politische Leidenschaft in der amerikanischen Gesellschaft noch möglich schien. Man liest hier den Subtext zu einer Leidenschaft, auf die sich Barack Obama bezieht.


Harry Nutt lebt als Kultur­korrespondent der «Frankfurter Rundschau» in Berlin. 2000 erschien «Kleine Philosophie der Passionen. Pferderennen».

 

Hunter S. Thompson
Angst und Schrecken im Wahlkampf
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner.
Heyne, München 2008. 572 S., 9,95 €

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