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dpa, Collage Cicero

Akif Pirinçci - Mit der Axt in Muttis Schrebergarten

Kisslers Konter: Der Romanautor Akif Pirinçci legt mit „Deutschland von Sinnen“ sein erstes Sachbuch vor. Es ist ein Symptom für das Ende der Konsensgesellschaft und die neue Lust am Radau. Die Große Koalition weckt die Sehnsucht nach dem fundamental Anderen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der Schriftsteller Akif Pirinçci liebt das Leben und die Frauen, glaubt an das Gute im Menschen und streitet für die Freiheit. Seine Leidenschaft für Katzen machte ihn zum Auflagen- und Einkommensmillionär. Die pfiffige „Felidae“-Reihe um einen auf vier Pfoten ermittelnden Hauptdarsteller namens Francis wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Pirinçci ist aber auch ein zorniger deutscher Patriot, ein stolzes Einwandererkind der zweiten Generation und ein Erneuerer der Schmähschrift. Sein nichtfiktionales Debut, „Deutschland von Sinnen“, ist auf dem besten Weg, sich zum Überraschungserfolg dieses Bücherfrühlings zu entwickeln. Woran liegt das?

Akif Pirinçci: vom Romancier zum Schläger


Die Verpuppung vom Romancier zum Polemiker hat sich vorbereitet auf Blogs und in sozialen Netzwerken. Dort wächst Pirinçcis Fangemeinde stetig. Er bedient sie zuverlässig, gerne auch obszön, vulgär, ordinär. Gegen die „linksversiffte Presse“ teilt er ebenso aus wie gegen Islam, Gender Mainstreaming, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die politische Klasse im Allgemeinen und die „Grünen“ im Besonderen. Er benutzt für seine oft maßlosen Invektiven laut eigener Aussage „Skalpell, Machete und Hackebeilchen“. In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde „Deutschland von Sinnen“ nun „eine Schlägerei“ genannt. Pirinçci boxe sich seinen Weg durch die deutsche Gegenwart.

Doch Akif Pirinçci ist nicht nur ein Phänomen, sondern auch ein Symptom. Seine wütende Polemik markiert das Ende der Konsensgesellschaft und die neue, die verzweifelte Lust am Radau. Gerade unter den Bedingungen einer jeden Oppositionsgeist zermürbenden Großen Koalition wächst die Sehnsucht nach dem Abweichenden, dem fundamental Anderen. Stärker, als es Pirinçci tut, kann ein Mensch kaum abweichen vom gegenwärtigen Commonsense. Die heiligen Kühe, die er schlachten will, schmatzen putzmunter auf den Weiden dieser Bundesrepublik. Pirinçci fragt, was viele fragen: Wie lange noch?

Er ist das außerparlamentarische Sprachrohr der Frust- und Normaldeutschen, die sich marginalisiert, düpiert, ausgeplündert sehen. Und seine Wiege stand in Istanbul.

Lektüre für den erweiterten Stammtisch


„Deutschland von Sinnen“ wird die Bestsellerlisten erklimmen. Die Bestellungen vor Erscheinen – bis auf Rang 4 trug es Pirinçci bei amazon.de – lassen es erwarten. Zu lesen bekommt der erweiterte Stammtisch, wonach es ihn dürstet: Es sei „nichts Ungewöhnliches mehr, dass fast ausschließlich aus muslimisch-migrantischen Kreisen stammende Jugendliche (…) aus nichtigem oder überhaupt keinem Anlass Deutsche, Ungläubige oder Nicht-wie-sie-Seiende anpöbeln, angreifen, verletzen und ermorden, ohne dass die Politik davon Notiz zu nehmen bereit ist.“ Der Islam sei eine „hochgradig sexualisierte, politisch aggressive und religiös fundierte Gemeinschaftsideologie“, obwohl die „Mehrheit der Muslime friedliebend, anständig und Allah einen guten Mann sein lassend unter uns leben.“

Da trifft Pirinçci sich mit der zweiten brisanten Neuerscheinung dieser Tage, dem „Islamischen Faschismus“ des aus Ägypten stammenden Publizisten Hamed Abdel-Samad.

Die Stoßrichtung ist jedoch eine andere.

Pirinçci sieht „die Ursache allen, wirklich allen Übels in diesem Land darin, dass es etwas gibt, wovon wir nicht etwa zu wenig haben, sondern zu viel, nämlich von unseren unerbittlich eingetriebenen und unerschöpflich erscheinenden Steuereinnahmen, wobei die gefräßigen Geschwister namens Abgaben, Gebühren und Beiträge mitzuzählen sind.“ Das „außer Rand und Band geratene Raubtier Staat“ ist ihm der Teufel, gegen den es zu rebellieren gelte. Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt – sondern „eine Heldentat. Je weniger diese Typen von uns bekommen, umso besser!“

Nur eine Radikalkur könne helfen, der Verzicht auf alle Subventionen, die Reduktion des Steuersatzes auf fünf Prozent vom Einkommen. Dann werde das „große Herz“ der allermeisten Menschen dafür sorgen, dass man sich gegenseitig in wirklichen Notlagen helfe.

Das Ordinäre trägt manches Argument Pirinçcis aus der Kurve


Natürlich hindert Pirinçcis großes Herz ihn nicht daran, Seite um Seite gegen die Toleranz- und Betreuungs- und „Migrationsindustrie“ und gegen Sibylle Berg zu wüten, die er zum Musterfall realitätsblinder Intellektueller vergrößert. Die „geisteskranken Rassisten“ bekommen ebenso ihr Fett ab wie die „linken Dumm- und Dämlichquassler“ und die „Politikganoven“ und die Rundfunkräte und jene „sehr aggressiven Lesben“, denen die „Quatschtheorie“ vom Gender Mainstreaming zu verdanken sei. Dem „schwulen deutschen Mann“ erteilt er den Rat: „Mach dein eigenes Ding, aber belästige uns nicht mit deiner Schwulheit. Danke!“

[video:Akif Pirincci]

Debattentauglich ist „Deutschland von Sinnen“, dieser zwischen Zärtlichkeit und Pöbelei schwankende Aufschrei, nicht immer. Die Pose des Virilen wirkt oft infantil, der Hang zum Ordinären trägt manches Argument aus der Kurve, die Witze haben Schulhofniveau. Andererseits ist dieses Dauerfeuer gegen den Mainstream der bisher lebendigste Beitrag zur unlängst so müde verplätscherten Migrationsliteraturdebatte. Pirinçci ist das Gastarbeiterkind, vor dem uns unsere Eliten immer gewarnt haben. Ungehobelt, böse, patriotisch.

Und demokratietheoretisch zeigt sein Pamphlet: Die Räume des Sagbaren wachsen von den Rändern her, während in der Mitte Muttis Schrebergarten bewässert wird. Wäre nicht etwas faul im Staate Deutschland, fände Pirinçci keinen derart großen Widerhall. Dabei ist er selbst verzerrendes Echo, Rauch nach dem Feuer, von dem er sich nährt.

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