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Dschungelcamp 2013 - Abfall ist es doch

Wieder zeigt RTL das „Dschungelcamp“ und wieder lebt das Format davon, Demütigung, Häme und Hohn zu verbreiten. Derweil beschreibt die hiesige Kritik das Ganze als schönste Perle deutscher Unterhaltungskunst

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Deutschland laboriert am „Dschungel“-Fieber. Auch die Kritik ist vom hochansteckenden Virus, gegen den kein Kraut gewachsen ist, befallen und hat ihre Arbeit weitgehend eingestellt. „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ wird derzeit besprochen, erklärt und gepriesen, als handele es sich um die schönste Perle deutscher Unterhaltungskunst. Dabei ist das „Dschungelcamp“ auch in diesem Jahr, was es immer war: ein unfassbar ordinäres Fernsehformat.

Nichts hat sich geändert, seit RTL 2004 zum ersten Mal abgehalfterte Prominenz in die präparierte Wildnis mit den vielen Kameras lud. Die Kleingruppe balgt und verträgt sich, leidet unter der Hitze und aneinander. Jeden Tag steht eine Prüfung an, bei der Ekelgrenzen überwunden und der Brechreiz besiegt werden sollen. [gallery:Wowi hebt ab und die FDP taucht unter – Die Karikaturen der Woche]

Zusammengehalten werden die Schnipsel aus dem Dschungel von mal melancholischer, mal spaßiger Industriemusik, großzügig eingesetzter Zeitlupe und einem Häme versprühenden Moderatorenduo. Damals Sonja Zietlow und Dirk Bach, heute Zietlow und Daniel Hartwich übernehmen nach Drehbuch den Part des feixenden Fachpersonals für Demütigung und Hohngesang. Nie soll vergessen werden, dass die Kombattanten da unten Nichtsnutze sind und Gernegroße, denen hier ein mediales Gnadenbrot serviert wird. Diese Dödel, so die Botschaft, machen für Geld alles, weshalb sie auch alles erdulden müssen. Zynismus (und nicht Ironie) ist Pflicht.

Hauptthema des Jahrgangs 2013 sind bisher die menschlichen Ausscheidungen. Im „Dschungelcamp“ wird das Fernsehen zur Bedürfnisanstalt. Eine Kandidatin mit Magermodelmaßen darf ihre Obstipation derb beklagen. Sie ist es auch, die sich lautstark vor laufender Kamera übergibt. Eine Stimme aus dem Off macht die „Kotzerei“ zum Running Gag. Ein anderer Kandidat, der mittlerweile abgereiste Ex-Schauspieler Helmut Berger, bekam vom Moderator zum Abgang einen verbalen Tritt verpasst; nun habe die „Arthrose“ das Camp verlassen.

Berger war zuvor in mitleiderregender Großaufnahme nackt bis auf einen Slip zu sehen. Dass er sich – vertragsgemäß? – in freier Natur erleichterte, blieb nicht verborgen.

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Die Prüfungen sind weiterhin von monotoner Scheußlichkeit. Kübelweise ergießt sich der übliche Schleim aus Maden und Fischresten über die Wettstreiter. Riesenspinnen und Riesenkakerlaken rücken ihnen auf den Leib. Fast immer sollen Kleingetier und Ekelmasse hinein in den Mund, gilt es zu schnappen nach den Insekten, müssen lebende Kakerlaken und Larven verspeist werden. Gewiss hat bald auch die „Käsefrucht“ ihren alljährlichen Auftritt. Und was machen eigentlich die Känguruhoden und der Krokodilpenis?

All diese ekelhaften Momente der Selbsterniedrigung werden in weiten Teilen der Kritik nur sehr nebenbei behandelt. Perfekt spielten die Moderatoren ihre Rollen. Niemand verliere seine Würde. In ihrer Unberechenbarkeit sei die Sendung ein Solitär. Der Mikrokosmos der Charaktere fasziniere. Große Unterhaltung werde da geboten. Vor RTL müsse man den Hut ziehen.[gallery:Wowi hebt ab und die FDP taucht unter – Die Karikaturen der Woche]

Ist das ein Fortschritt in der Rezeption oder schlichte Abstumpfung? Deutet es auf eine differenzierte Betrachtung, wenn das faktisch Widerwärtige in den Subtext rutscht und die Strukturen ans Licht gehoben werden? Oder verlangt hier die klassische Medienregel ihr Recht, wonach nur die Abwechslung erfreut? Wird genau deshalb das Ewiggleiche in ein neues Gewand der Affirmation gesteckt?

Letztlich sind es Ausweichmanöver. Aller theoretisierenden Aufhübschung zum Trotz ist das „Dschungelcamp“ nämlich seit 2004 ein widerwärtiges Stück Fernsehen. Es behandelt Menschen wie Abfall. Es packt sie bei ihrer Niedertracht, die Zuschauer wie die Mitwirkenden. Wer es sehen mag, der sehe es. Selbst die derzeit bis zu acht Millionen Menschen aber, die sich – laut orchestriert von einem publizistischen Begleitorchester links wie rechts – dem grenzwertigen Vergnügen hingeben, können nicht darüber hinwegtäuschen: Das „Dschungelcamp“ ist Fernsehen, wie es nicht sein soll.

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