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Führer-Geburtstag - Nicht nur Gorleben, auch Hitler ist überall

Er ist das Symbol des Bösen: Adolf Hitler. Wie das Beispiel Angela Merkel zeigt, ist seine Fratze als Knüppel für und gegen alles verkommen. Über anhaltende Probleme mit diesem Menschen, der am 20. April Geburtstag hatte

Autoreninfo

Paul-Hermann Gruner ist Redakteur des Darmstädter Echo. Zuletzt erschien von ihm „Frauen und Kinder zuerst“ (Rowohlt).

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Ehrlich — man kann nicht einfach an diesem Tag die Einladung zu einem Abendessen annehmen, ohne zur scheinbar koketten Präzisierung des Datums zu hören: „Es ging nicht anders; zwar Führers Geburtstag, dafür aber leicht zu merken.“

Was macht diesen Braunauer eigentlich so unverzichtbar?

Und: Warum muss sich eigentlich innerhalb der europäischen Finanz- und Schuldenkrise die Kanzlerin eines – tatsächlich – „lupenrein“ demokratisch organisierten Staates bei jeder zweiten Gelegenheit einen „Hitler“ nennen lassen?

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Aber fangen wir woanders an. Es hat sich nämlich etwas getan. Die Deutschen in toto waren immer ein symbolisches Volk. Ein fleißiges, erfinderisches, wirtschaftswunderliches Volk. Das Volk der romantischen Seele, der Literatur, der Philosophie — und so fort. Das Wichtigste: Seit 1945, nach Zweitem Weltkrieg und „Endlösung“, sind (waren?) die Deutschen das symbolische Volk der Täter.

Damit zu leben ist nie leicht. Die Deutschen wollten und wollen deshalb so unerbittlich wie kaum jemand sonst in der Alten Welt Europäer sein, auch, weil es schlicht entlastet davon, Deutscher zu sein — also einer jener Entitäten anzugehören, die zu einem schmerzenden Teil nicht dadurch definiert werden, was sie tatsächlich sind oder tun, sondern durch das, wofür sie stehen.

Normal zu sein heißt, nicht unter spezieller Beobachtung zu stehen

Bald siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich dies gewandelt. Ob das vor allem der ganzheitlich gelungenen Ausrichtung einer von Gemüt wie Wetterlage her extrem sonnigen Weltmeisterschaft im eigenen Lande zuzuschreiben ist (2006), sei hier nicht debattiert. Wenn, dann hat auch das – neben der vorzüglichen Funktionstüchtigkeit der zweiten deutschen Demokratie – seine Wirkung getan. Die Deutschen werden seitdem ein Stück weit normaler eingeordnet, sind nicht mehr reflexhaft bei jeder Erwähnung primär das Holocaust-Tätervolk. Wobei hier der Philosoph Isaiah Berlin mit seiner Definition der von Deutschen so ersehnten Normalität helfen kann: Normal zu sein bedeute, nicht unter spezieller Beobachtung zu stehen, nicht irgendetwas Symbolisches zu repräsentieren. Und so normal sind wir noch lange nicht.

Zurück zu diesem Hitler. Der seinerzeit (1932) in Braunschweig eher nebulös als legal eingedeutschte Österreicher ist – trotz zahlreicher Konkurrenz für extreme diktatorische Entgleisung allein im 20. Jahrhundert – das Symbol für den Dämon. Wie es aussieht, ist dieser Hitler inzwischen aber das Problem aller auf der Welt, die ihn in den Mund nehmen.

Seite 2: „Es“ könnte ja in jedem groß werden. Igitt!

Zwei Beispiele: „In uns allen steckt doch ein kleines bisschen ein Nazi, und in Hitler steckt doch auch ein menschliches Wesen, und ich denke, anders darüber zu denken, wäre gefährlich.“ Der Däne Lars von Trier sagt diesen Satz 2011 beim Festival in Cannes auf offener Bühne. Die Medien reagieren hoch erregt. Nazi-Äußerungen seien gefallen, wird im strengsten Aufregungsgalopp gemeldet. Pustekuchen. Lars von Trier hatte nur eins getan: Er hatte „Hitler“ gesagt. Und gegen eine prägnante Denkregel verstoßen: Hitler muss als das Böse gefälligst externalisiert werden. Und dort bleiben. Er ist gefälligst etwas Äußeres, Abstraktes. Hitlerisches darf – in welch geringen Anteilen, in welchen Spurenelementen immer – einfach in niemandem drinstecken. Dann würde „es“ ja eventuell eine Aufgabe für jeden werden. Dann könnte „es“ ja in jedem groß werden. Igitt!

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Anderer Vorfall: Der britische Modedesigner John Galliano steht 2011 vor Gericht in Paris, weil er in einem Marketing-Video bekannte: „Ich liebe Hitler.“

Beide Vorfälle sind im Grunde nichts als Petitessen im öffentlichen Raum. Aber sie führten durch Drücken des roten Knopfes, sprich: durch Verwendung von sechs Buchstaben in der nötig korrekten Reihenfolge, zu steilen Achttausendern fast weltweiter Empörung – quasi zu einem reflexhaft-symbolischen Beweis für Wachheit gegenüber dem Bösen.

Wer als stark gilt, kriegt den Hitler gezeigt. Basta.

Nicht nur Gorleben, auch Hitler ist überall. Die Welt kann machen, was sie will, A. H. bleibt ihr erhalten. Er strahlt fort und fort wie Atommüll, wie Caesium-137, Strontium-90 oder Iod-129. Vorteil: Er steht zur Verwarnung oder als Mahnung stets zur Verfügung, muss jeweils nur ganz wenig (Kopf bis zum Bärtchen reicht) aus dem Castor-Behältnis der Geschichte hervorgezogen werden.  

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Auch wenn an diesem Vorwurf alles schief und falsch ist: Wer sich hier aufregt, der fällt schon herein. „Hitler“ ist als Fratze wie als Wort zu einem Knüppel für und gegen alle verkommen. Wer hier Differenzierung einfordert, der überfordert. Denn der Reflex ist übermächtig. Und der Kanon der Metaphern oder Karikaturen ist extrem eng. Als Deutscher darf man darin sogar eine verquere Anerkennung von „Normalität“ sehen: Alle, die als stark gelten (und vollkommen egal, warum), kriegen ihr Fett weg. Sie kriegen den Hitler gezeigt. Basta. Merkel reagiert – passenderweise – gar nicht. Wer sonst gerne an ihrer sehr spezifisch schwerfälligen Unempfindlich-keit etwas auszusetzen hat: hier passt sie.

Und so werde ich also an Führers Geburtstag zu diesem Abendessen gehen. Bewusst lächelnd, wie bei der Rückeroberung verminten Terrains. Im Zweifelsfall wird es zur Entdämonisierung beitragen. Auch der 20. April gehört – allen.

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