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Matteo Renzi - Der Verschrotter

Matteo Renzi, der neue Chef der Partito Democratico, ist Charismatiker, aber auch gnadenloser Machtpolitiker. Fast täglich kritisiert er die Politik des Premierministers und Parteikollegen Enrico Letta. Jetzt legte Renzi dem Regierungschef den Rücktritt nahe. Ob er geschickten Auftritten auch Taten folgen lässt, muss er noch beweisen

Petra Reski

Autoreninfo

Petra Reski lebt in Venedig, schreibt über Italien und immer wieder über die Mafia. Zuletzt erschien ihr Roman „Bei aller Liebe“ (Hoffmann&Campe). Foto Paul Schirnhofer

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Wenn Matteo Renzi an einer Konferenz teilnimmt und Journalisten auf ihn warten, kommt er auf dem Fahrrad, freihändig fahrend, Showtime. Allerdings war die Fahrradstrecke gar nicht so weit, genau genommen ist er nur von der Stelle um die Ecke losgeradelt, wo das Auto steht, aus dem er gestiegen ist, und wo ihm ein Mitarbeiter das Rad gereicht hat. Meist wirkt Renzi wie ein hyperaktives Kind, wenn er leicht lispelnd und mit toskanischem Akzent verspricht, alle zu verschrotten: die politische Führungsklasse – „die schlechteste, die wir je hatten“ –, die Gewerkschaften, die linken Parolen – die „Theoretiker des Mauschelns mit Berlusconi“.

Der Vorsitzende der größten italienischen Partei Partito Democratico will die Steuern senken, innerhalb eines Jahres die Kosten der Politik halbieren und jenen Sicherheiten geben, „die nie Sicherheiten hatten“. Seitdem gilt Matteo Renzi als Erlöser. An seiner Seite drängen sich Indus­trielle wie Diego della Valle, Eigentümer des Schuh- und Taschenkonzerns Tod’s, Finanziers wie David Serra, Nummer eins des Hedgefonds Algebris, der italienische Nationaltrainer Cesare Prandelli, Schriftsteller wie Alessandro Baricco.

Die Not ist groß: Italiens Wirtschaft stagniert, die mittleren und kleinen Unternehmen leiden unter einer Steuerlast von über 65 Prozent, junge Akademiker flüchten ins Ausland, 40 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, die Staatsverschuldung beträgt 120 Prozent des Bruttosozialprodukts, die Mafia macht mehr Umsatz als Fiat, Berlusconi ist abhandengekommen, und zu allem Überfluss gibt es die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, die im Netz gewachsen ist und von einem Viertel der Italiener gewählt wurde. Das Fundament der politischen Kaste Italiens bröckelt. Weshalb sie sich wie die Adligen im Gattopardo nur eines wünschen: Es soll sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.

Matteo Renzi - ein reformatorischer Sozialdemokrat
 

Sogar Silvio Berlusconi liebt Matteo Renzi: endlich ein Linker, der nicht links ist, sondern ein „reformatorischer Sozialdemokrat“, den Berlusconi bereits 2010 mit einem Mittagessen in seiner Villa in Arcore adelte. Was die Politkader der alten Partito Democratico in Unruhe versetzte. Nicht, weil sie die Nähe zu Berlusconi vermieden hätten. Sondern weil sie wussten, dass die Basis es übel nimmt, wenn sie davon erfährt.

„Heute keine besonderen Termine“, verkündete Renzis Pressestelle, als er bei Berlusconi saß. 2012 strafte die Basis Renzi ab, er scheiterte bei den Vorwahlen gegen seinen Konkurrenten Pier Luigi Bersani. „Es war richtig, es zu versuchen, und es war schön, es mit euch zusammen zu versuchen“, sagte Renzi danach, im parteiüblichen Pfarrgemeinderatsduktus. Seine Augen schimmerten feucht, als er einräumte, sich von dem Etikett des ehrgeizigen Jüngelchens nicht befreit zu haben. Ein Eingeständnis, das Renzis innerparteiliche Feinde für sein ehrlichstes halten.

Aber seit die Fünf-Sterne-Bewegung drohte, die PD links zu überholen, blieb auch seinen Feinden nichts anderes übrig, als sich dem smarten Renzi in die Arme zu werfen, der alles und das Gegenteil von allem sagt, der mal für Neuwahlen ist und mal dagegen. Mit 21 Jahren trat Matteo Renzi in die christdemokratische Partito Popolare Italiano ein, gründete Wahlkampfkomitees für Romano Prodi, übernahm den Parteivorsitz in der Stadt Florenz und dann auch in der Provinz, arbeitete vorübergehend in der familieneigenen Marketingagentur, wurde mit 34 Jahren Bürgermeister von Florenz und mit 39 Jahren Generalsekretär des PD. Seitdem klebt das Etikett Hoffnungsträger an Renzi wie ein Kaugummi, ausgespuckt von den italienischen Medien.

Mehr als zwei Millionen PD-Anhänger wählten Matteo Renzi zu ihrem Generalsekretär – Anhänger, denen man eine masochistische Veranlagung nachsagt. Anders lässt sich nicht erklären, dass sie einer Partei die Treue halten, die 20 Jahre lang mit Berlusconi mauschelte und im vergangenen Jahr dank 101 Hecken­schützen aus den eigenen Reihen Romano Prodis Wahl zum Staatspräsidenten verhinderte, um die Wiederwahl des 89 Jahre alten Giorgio Napolitano möglich zu machen, dem Garanten der Veränderung ohne Veränderung.

Bislang konnte Renzi alles versprechen, halten musste er nichts. In Florenz hat er bislang außer einer Fußgängerzone keine bleibenden Spuren hinterlassen. Mit Italien wird es nicht so einfach sein: Ein neues Wahlgesetz ist überfällig, nachdem das italienische Verfassungsgericht das alte, wonach die Partei, die 30 Prozent der Stimmen bekommt, mit der Mehrheit der Sitze belohnt wird, als nicht verfassungskonform erklärte.

Der europäische Fiskalpakt verlangt Ausgabenkürzungen von 50 Milliarden Euro, die italienischen Banken schulden der Europäischen Zentralbank 150 Milliarden Euro. Gespart wurde bislang vor allem an Schulen, Universitäten und im Gesundheitswesen, nicht aber an den Diäten der Abgeordneten oder an den Gehältern der Staatsdiener. Glaubwürdigkeit aber erwirbt man mit Taten, nicht mit Worten.

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