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Oetinger

Kinderliteratur zur Evolution - Die Entdeckung der Unarten

Was Kinder heute von und mit Darwin lernen können

Autoreninfo

Küchemann, Fridtjof

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Federico Taddia: Bei dir piept's wohl! (Oetinger)Darwin, „das muss ein ganz cooler Typ gewesen sein, mit seiner Sammlung sonderbarer Fundstücke und seinen chaotischen Chemieexperimenten. Er war Mitglied in einem Feinschmeckerzirkel, in dem man die abwegigsten Tiere verspeiste (dann bekamen alle Mitglieder eine Lebensmittelvergiftung, und dieser Kreis löste sich ganz schnell wieder auf!)“.

So frisch kann man heute für Kinder ab acht Jahren über Darwin schreiben – so macht es zumindest Federico Taddia in seinem Buch „Bei dir piept’s wohl! Jede Menge freche Fragen zu Darwin, Dinos und Dodos“. Roberto Luciani hat dem Illustrationen gegenübergestellt, und der Darwin-Kenner Telmo Pievani hat dafür gesorgt, dass bei aller Lust und Leichtigkeit des Buchs die Präzision nicht flöten geht. Womit spielte ein Urzeitkind? Was, wenn wir Vierfüßler geblieben wären? Und was ist aus dem Dodo geworden? Es sind tatsächlich unbekümmerte Fragen, die Taddia und Pievano stellen und beantworten. „Hättest du Darwin gern als Banknachbarn in der Schule gehabt?“, lautet die eine, auf die im Buch die Anekdote vom Feinschmeckerzirkel folgt.

Ende des 19. Jahrhunderts war es schon ziemlich kühn, überhaupt nach Darwin zu fragen. Zumindest nach Ansicht der ältlichen Bibliothekarin im texanischen Städtchen Lockhart, in dem die gerade einmal elf Jahre alte Callie es wagt, „Über die Entstehung der Arten“, das große Werk des Forschers, ausleihen zu wollen. „So etwas würde ich in meiner Bibliothek nicht dulden“, bekommt das neugierige Mädchen, die Titelheldin aus Jacqueline Kellys hinreißendem Roman „Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen“ zu hören. Außerdem müsse Callie eine schriftliche Erlaubnis ihrer Mutter vorlegen, dieses Buch lesen zu dürfen. Welch eine Demütigung!

Und welch eine Überraschung, als sich daheim auf der Plantage herausstellt, dass Callies Großvater nicht nur selbst ein Exemplar dieses Buchs besitzt. Dieser etwas verschroben und unheimlich wirkende Eigenbrötler kommt nur zu den Mahlzeiten aus dem Schuppen hinter dem Haus hervor, den er sein Laboratorium nennt und in dem vor noch nicht langer Zeit die Sklaven gelebt haben. Immerhin hat er sogar einige Briefe mit dem berühmten, 1882 verstorbenen Entdecker gewechselt.

Jacqueline Kelly: Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen (Hanser)Natürlich muss sich Callie bewähren, bevor der Großvater sie in seine Geheimnisse einweiht, zum Sammeln von Pflanzen und Insekten in der Umgebung mitnimmt und sie die Akribie des wissenschaftlichen Blicks lehrt. Bis er sie in sein Herz schließt und ihr von Darwin und den anderen großen Forschern erzählt – und schließlich auch von Naturwissenschaftlerinnen und Mathematikerinnen wie Marie Curie, Mary Anning, Sofia Kovalevskaja und anderen großen Forscherinnen ihrer Zeit.

Calpurnia hat ihn nämlich gefragt, ob Mädchen eigentlich auch Wissenschaftler werden können. Sie können, findet der Großvater. Nein, sie sollten sich lieber im Klavierspiel, in der Kochkunst und häuslicher Handarbeit üben, findet die Mutter, und in einer der eindringlichsten Passagen des Buches überlegt Callie, ob sie mit ihren ungewöhnlichen Interessen für ihre Mutter womöglich eine Enttäuschung sei: „Vermutlich könnte ich damit leben, für selbstsüchtig oder seltsam gehalten zu werden. Doch eine Enttäuschung – das war etwas anderes, Schlimmeres. Ich versuchte, den Gedanken wegzuschieben, doch er folgte mir den ganzen Nachmittag durchs Haus wie ein lästiger, übel riechender Hund, der Aufmerksamkeit verlangte.“

Es sind Bilder wie dieses, die „Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen“ zu einem besonderen Buch machen. Und es ist Callies wunderbare Mischung aus Eigensinn und Verständnis, ihr wachsender Mut, sich ihrer Entdeckungslust hinzugeben, auch wenn die nach Meinung ihrer Mutter eine Unart ist. Hinzu kommen die Erlebnisse mit ihren sechs Brüdern, die Versuche des Großvaters, aus Pekannüssen eine Art Whisky herzustellen, die Episoden, in denen die Moderne – in Gestalt des Telefons, der Coca-Cola, eines ersten Automobils – Einzug hält im ländlichen Texas.

„Dauerndes Lesen führt oft zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben“, erklärt Callies Mutter ihrem Mann eines Abends: „Vor allem bei jungen Menschen. Und ganz besonders bei jungen Mädchen.“ Heute schwärmen wir von Büchern wie diesem, die unvermittelt Fernblicke gewähren am geistigen Horizont, die eine Geschichte aus lange vergangener Zeit so fein erzählen, dass gerade der Abstand es möglich macht, sich in Callie einzufühlen und mit der fieberhaften Unzufriedenheit dieses Mädchens zugleich auf das eigene Leben zu blicken. Das gilt übrigens nicht nur für Mädchen ab zwölf Jahren. Auch Jungen werden auf jeden Fall Vergnügen an diesem Buch haben; dass heute wieder stärker als vor einer Generation darauf geachtet wird, was für Mädchen und was für Jungen bestimmt ist, macht beider Leben ja nur unnötig enger. Und ihr Lesen auch.

Federico Taddia: Bei dir piept's wohl! Jede Menge freche Fragen zu Darwin, Dinos und Dodos. Oetinger, Hamburg 2013. 96 S., 7,95 € (erscheint im April)

Jacqueline Kelly: Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen. Hanser, München 2013. 336 S., 16,90 €

 

 

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