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Lindners FDP - Cheap talk fürs politische Poesiealbum

Das liberale Publikum wartet gespannt auf Ideen und Visionen des designierten FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. Doch dessen politische Agenda ist allenfalls ein Agendachen. Ein liberaler Hilferuf

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die nächsten vier Jahre werden für die FDP die bisher schwierigsten in ihrer Geschichte sein. Als außerparlamentarischer Opposition fehlen der Partei in Zukunft sowohl Infrastruktur wie auch die gelegentlich gern geschmähte Medienöffentlichkeit. Und dass mit Landespolitik auf Bundesebene noch längst kein Blumentopf zu gewinnen ist, haben unlängst die Piraten eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wenn sich künftig also noch jemand für die Liberalen interessieren sollte, dann eher so nach dem Motto: „Was macht eigentlich?“ Das ist bekanntlich jene Frage, die Woche für Woche halb vergessene Schlagersänger aus den siebziger Jahren auf der letzten Seite im Stern beantworten dürfen.

Ein kompletter Schuss in den Ofen

Ganz so lange musste der designierte FDP-Vorsitzende Christian Lindner nicht warten, in der Zeit ist seit gestern ein längeres Interview mit ihm zu lesen. Als jemand, der große Sympathie für die Idee des Liberalismus hegt, hätte ich mir eine klare Ansage Lindners gewünscht, was denn nun aus der FDP werden soll. Da herrscht ja nicht erst seit dem Wahltag einiger Klärungsbedarf. Und allzu viele Gelegenheiten, in der Öffentlichkeit Flagge zu zeigen, dürften sich in absehbarer Zeit nicht mehr bieten.

Doch leider war das Gespräch des vermeintlichen Wunderkinds mit den Kollegen von der Zeit ein kompletter Schuss in den Ofen. Denn Lindner, der in diesem Interview seine Parteifreunde ausdrücklich dazu aufruft, „keine Schlagworte“ mehr abzusondern und sich stattdessen den nicht näher benannten „Alltagsproblemen der Menschen“ zuzuwenden, tut genau das nicht. Er lässt vielmehr eine Floskel nach der anderen vom Stapel und unterstreicht damit erst noch die derzeitige Inhaltsleere seiner Partei. Es ist zum Verzweifeln.

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Auf die Frage, warum er als Bundespolitiker die FDP nicht erneuert habe, antwortet der Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag lapidar, er habe das Amt des Generalsekretärs im Dezember 2011 „aus politischen Gründen“ abgegeben. Das wüsste man dann schon gern etwas genauer. Wenn jemand einen derart wichtigen Posten Knall auf Fall mit diesem Argument zur Verfügung stellt, müssen die inhaltlichen Divergenzen innerhalb der Parteispitze ja erheblich gewesen sein. Da hätte damals also beispielsweise schon ein dezidierter Euro-Gegner wie Frank Schäffler am Ruder sein müssen, damit die Begründung auch im Abstand von zwei Jahren stichhaltig wirkt.

Das war aber nicht der Fall; vielmehr stand damals bereits ein gewisser Philipp Rösler an der Spitze, welcher gemeinsam mit Christian Lindner erst ein paar Monate zuvor Guido Westerwelle als Parteivorsitzenden gestürzt hatte. Tatsächlich dürften eher Eitelkeiten und Eifersüchteleien der Grund gewesen sein. Wenige Absätze weiter sagt Christian Lindner denn auch in seltener Offenheit folgenden Satz: „Das Amt des Generalsekretärs hatte eher den Charakter eines Sprechers der FDP und der Vorsitzenden.“ Ist nur die Frage, ob das ausreicht, um unter „politische Gründe“ subsumiert zu werden. In der FDP offenbar schon. Als starken Teamplayer hat die interessierte Öffentlichkeit Christian Lindner seither jedenfalls nicht unbedingt in Erinnerung behalten. Insofern klingt sein Appell von wegen „die FDP wird nur als Team Erfolg haben“ eher wenig überzeugend.

Was auch nicht so überzeugend klingt, ist Lindners politische Agenda. Es handelt sich nämlich um ein buntes Sammelsurium kurz angerissener Themenfelder – von der Regulierung der Finanzmärkte („Es ist untragbar, dass Arbeitnehmer und Familienunternehmen enorme Lasten schultern, während der Konzernkapitalismus Gewinne in Steueroasen verlagert“) bis hin zur Eindämmung von Big Data. Dem würde wohl nicht einmal die Linkspartei widersprechen. Aus dem Munde eines Politikers, dessen Partei die vergangenen vier Jahre Regierungsverantwortung trug und immer noch trägt, klingt das allerdings schon reichlich komisch. Oder soll das einfach nur heißen: Wenn Christian Lindner (und nicht Rösler) Parteichef gewesen wäre, hätten sich die Freidemokraten aber sowas von durchgesetzt? Nun ja, das mag glauben wer will.

FDP als Märtyrerin der Demokratie?

Geradezu grotesk sind Christian Lindners Einlassungen von wegen einer angeblichen Lebensferne der Berliner Politik. „Spätestens seit ich hier im Landtag als Fraktionschef wieder näher an den Alltagsproblemen der Menschen arbeite“ sei ihm klargeworden, dass die FDP „raus ins Leben“ müsse. Einmal davon abgesehen, dass er seine „Raus ins Leben“-Ansage an keiner Stelle beispielhaft unterfüttert, könnte man sich fragen, warum das denn in seinem Fall von Berlin aus nicht geklappt hat.

Ich kenne jedenfalls ziemlich viele Bundestagsabgeordnete, die in ihren heimatlichen Wahlkreisen alles andere als schlecht verankert sind. Ob ein Politiker die Sorgen und Nöte der viel beschworenen „Menschen“ Ernst nimmt, liegt dann wohl doch eher an seiner Persönlichkeit und weniger am Dienstsitz. Da helfen dann zur Not auch keine Lindner’schen Weisheiten der Kategorie „politisches Handeln braucht eine Grundierung in Werten und Überzeugungen“ weiter. Das ist cheap talk fürs politische Poesiealbum.

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So atmet das gesamte Interview mit Christian Lindner einen Geist der Demut, der seltsam aufgesetzt, teilweise geradezu albern pathetisch klingt. „Unsere Leute haben im Wahlkampf ihren Kopf hingehalten – das war Heldenmut“, sagt er an einer Stelle. Bei allem Respekt vor den Anfeindungen, die die FDP erdulden musste: Für eine Rolle als Märtyrerin der Demokratie reicht es dann doch noch nicht ganz.

Und wenn Lindner am Ende des Gesprächs in Aussicht stellt, die Politik zu verlassen, sollte der Partei unter seiner Führung der Wiedereinzug in den Bundestag versagt bleiben, schlägt er auch für sich selbst den Ton des Schmerzensmannes an: „Bei der nächsten Bundestagswahl entscheiden die Wähler daher auch über meine politische Zukunft.“ Ach du liebe Güte, da hält Deutschland aber die Luft an! Hoffentlich sind sich die Wähler ihrer Verantwortung gegenüber Christian Lindner auch bewusst! Falls nicht: geschenkt.

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