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(picture alliance) Die Aasgeier kreisen über das Abendland: Steht der Westen vor dem Untergang?

Bücher des Herbstes - Der Untergang des Abendlands

Klimawandel, Finanzkrise, Staatspleiten in Europa - es herrscht Endzeitstimmung im Abendland. Niall Ferguson hat ein Buch über Weltmächte und deren Untergang geschrieben. Er wirft dabei eine Frage auf, die uns beschäftigen wird

Dass China bald die Weltherrschaft übernimmt, gilt nicht nur an Deutschlands Stammtischen als gesicherte Erkenntnis. Die Schlagworte sind schnell aufgezählt: Afghanistan, Finanzkrise, die politische Situation in den USA, die Staatspleiten in Europa, der Klimawandel – die Liste ist lang. Erleben wir gerade den Zerfall der westlichen Zivilisation? Neigt sich die 500-jährige Dominanz des Abendlands dem Ende zu? Lässt sich der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Reiches der Mitte noch stoppen?

Der renommierte britische Historiker Niall Ferguson macht keinen Hehl aus seiner düsteren Endzeitstimmung. Gleichwohl verfällt er nicht in billige Polemik oder schlichten Alarmismus. Stattdessen hat er ein lesenswertes, unterhaltsames und faktenreiches Geschichtsbuch geschrieben.

Vor allem von einem ist Ferguson überzeugt: Nur derjenige, der etwas über die Geschichte wisse, könne heutige Erfahrungen und zukünftige Entwicklungen verstehen. Deshalb geht er auf rund 460 Seiten akribisch der Frage nach, wie es gekommen ist, dass der Westen seit einem halben Jahrtausend die Welt beherrscht. Denn „nur wenn wir die wirklichen Gründe für den Aufstieg unserer Zivilisation finden, haben wir eine Chance, einigermaßen genaue Prognosen dazu anzustellen, wann mit ihrem Untergang zu rechnen ist.“

Natürlich bleibt auch Fergusons Prognose letztlich vage, wie sollte es auch anders sein. Trotzdem ist seine Analyse eindringlich: Die wirkliche Bedrohung geht seiner Meinung nach nicht von China, dem Islam oder dem Anstieg der CO-Emissionen aus. Die wirkliche Bedrohung sei „unser verlorener Glaube an die Zivilisation, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben.“

Wettbewerb, moderne Wissenschaft, Eigentum, Medizin, Konsum und protestantische Arbeitsethik – das waren die sechs wesentlichen Gründe für den historischen Siegeszug des Abendlands. Ferguson nennt sie „Killerapplikationen“. 

Neue Killerapplikationen sind vorerst nicht in Sicht. Auch die anderen Weltmachtanwärter können nicht damit aufwarten. Vielmehr wenden sie die altbekannten Rezepte nur eifriger an als der Westen. China beherrscht den Weltmarkt mit Konsumgütern, in Brasilien steigen Wohlstand und Massenkaufkraft, in keinem Industrieland wird fleißiger gearbeitet als in Südkorea. Die Afrikaner beginnen mittlerweile von der modernen Medizin zu profitieren. Und selbst der Iran fördert massiv die Wissenschaft. Die Europäer hingegen werden nicht nur immer fauler, sondern sie gehen auch kaum noch in die Kirche. Die Amerikaner wiederum leben privat wie öffentlich auf Pump.

Immerhin räumt selbst Ferguson dem Westen noch eine Chance ein. Auch er weiß, überall auf der Welt „wächst und gedeiht“ die westliche Art zu leben. Und China, so der Historiker, habe im eigenen Lande zahlreiche ethnische, soziale und demografische Probleme. Mit seinem Pluralismus und seiner Rechtsstaatlichkeit, seinem Recht auf Eigentum und Demokratie besitzt der Westen zudem immer noch mehr institutionelle Vorteile als die übrige Welt – und damit „das beste gegenwärtige Angebot an wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Institutionen“. Dieses westliche Gesamtpaket bilde quasi die Voraussetzung für jene Kreativität, „die fähig ist, all die Probleme zu lösen, vor denen die Welt im 21. Jahrhundert steht“.

Und so stellt der Kulturpessimist Ferguson am Ende seines Buches voller Skepsis eine Frage, die uns beschäftigen wird: Ist der Westen immer noch in der Lage, „die Überlegenheit dieses Pakets zu erkennen“?

Niall Ferguson: "Der Westen und der Rest der Welt: Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen"; Propyläen, 2011; 464 Seiten, 24,99 Euro.

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