charles-baudelaire-200-geburtstag-berauscht-euch-wein-dichtung
Der Dichter Charles Baudelaire

Charles Baudelaire zum 200. Geburtstag - „Berauscht euch!“

Der große Dichter und Dandy Charles Baudelaire wurde heute vor 200 Jahren in Paris geboren. Wenn Goethe nichts Menschliches fremd war, dann war Baudelaire darin nochmal ein ganz anderes Kaliber. Wir bringen zum Geburtstag sein fulminantes Plädoyer für den Genuss des Weins.

Autoreninfo

Jens Nordalm leitete bis August 2020 die Ressorts Salon und Literaturen bei Cicero.

So erreichen Sie Jens Nordalm:

Charles Baudelaire, Gründervater der europäischen Moderne, verdankt diesen Titel seiner 1857 erschienenen Gedichtsammlung „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des Bösen). Wobei das „Mal“ eher etwas wie „widerwärtig, abstoßend, schlecht, krank“ meint als ein viel zu moralisches „Böses“. Kurz nach dem Erscheinen der Sammlung hatte sich Baudelaire einem Prozess wegen „Beleidigung der öffentlichen Moral und der guten Sitten“ zu stellen. Sechs Gedichte aus dem Band wurden verboten – vor allem Verse, die die lesbische Liebe feierten.

Baudelaire ging auf seinen Streifzügen durch Paris keinem Abfall, keinem Ekel, keinem Trieb im Getriebe der Großstadt aus dem Weg. Er wollte das paradox Schöne sichtbar machen, das sich auch im Dreck findet. Wie im ekelhaft schillernden Gedicht vom „Aas“. „Du gabst mir deinen Schmutz“, sagt er einmal zur Stadt Paris, „und ich hab‘ Gold daraus gemacht.“ Das Schöne scheint nur schmerzhaft flüchtig auf – und verschwindet wieder. Wie im vielleicht bekanntesten Gedicht der Sammlung, von der „flüchtigen Schönen“ im Gedränge des Boulevards, von der „Schönheit im Vorübergehen“: À une Passante.

Leben und schlafen vor einem Spiegel

Baudelaire ist zu einem der wichtigsten Vorbilder aller Dandys geworden. Er selbst gab die Parole aus: „Der Dandy muss sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterbrechung sublim zu sein; er muss leben und schlafen vor einem Spiegel.“ Das schien er zu tun. Stets äußerst gepflegt gekleidet, ganz in Schwarz, mit dem Binder als einzigem Farbakzent. Und immer in verächtlicher Abgrenzung zu Gewöhnlichkeit, Durchschnittlichkeit, Heuchelei, zu Geiz und Gier seiner Zeit. Abgrenzung und Flucht aus der Gegenwart auch immer gern in Trieb und Begierde und Rausch: „Um nicht die geschundenen Sklaven der Zeit zu sein, berauscht euch; berauscht euch ohne Unterlass!“ Baudelaire wurde nur 46 Jahre alt. Er starb in einer Klinik für Geisteskranke, nachdem er sich bei einer Prostituierten mit der Syphilis infiziert hatte.

Weniger bekannt als Baudelaires Gedichte sind seine Kurzprosa in „Le Spleen de Paris“ – jüngst im Rowohlt-Verlag in neuer Übersetzung erschienen – und seine Essays: einige kürzlich erschienen im Manesse-Verlag, in einem wunderschön gemachten, rot-samtenen Bändchen. Dort findet sich der Essay „Wein und Haschisch. Verglichen als Mittel zur Vervielfältigung der Persönlichkeit“ von 1851. Aus diesem Essay stammen die Auszüge zur Wirkung des Weins, die wir als Hommage zum heutigen 200. Geburtstag von Charles Baudelaire bringen.

 

Wein und Haschisch.

Verglichen als Mittel zur Vervielfältigung der Persönlichkeit

 

Ein sehr berühmter Mann und zugleich ein grober Dummkopf, was sich allem Anschein nach oft sehr gut ergänzt, wie darzulegen ich zweifellos mehr als einmal das schmerzliche Vergnügen haben werde, hat es gewagt, in einem Buch über die Tafel, verfasst unter dem zweifachen Gesichtspunkt der Hygiene und des Vergnügens, zum Stichwort „Wein“ Folgendes zu schreiben: „Der Patriarch Noah gilt als Erfinder des Weins, eines alkoholischen Getränks aus den Früchten des Rebstocks.“

Und weiter? Weiter nichts: Das war alles. Man kann das Buch durchblättern, es in alle Richtungen durchforsten, es rückwärts lesen oder auf dem Kopf, von hinten nach vorne, von links nach rechts und von rechts nach links – man findet in der „Physiologie des Geschmacks“ des sehr berühmten und hoch angesehenen [Jean-Anthelme] Brillat-Savarin nichts weiter über den Wein als: „Der Patriarch Noah ...“ und: „eines alkoholischen Getränks ...“

Angenommen, ein Bewohner des Mondes oder eines fernen Planeten, der unsere Welt bereist, wollte sich, erschöpft von seinem langen Weg, den Gaumen erfrischen und den Magen wärmen. Er legt Wert darauf, sich mit den Genüssen und Gebräuchen unserer Erde vertraut zu machen. Er entsinnt sich undeutlich, von köstlichen alkoholischen Getränken gehört zu haben, mit denen die Bürger dieses Globus sich nach Lust und Laune Mut oder Frohsinn antrinken. Um sicherzugehen, dass er nichts falsch macht, schlägt der Mondbewohner das Werk des Geschmacksorakels auf, des einzigartigen und unfehlbaren Brillat-Savarin, und findet unter dem Stichwort „Wein“ folgende wertvolle Auskunft: „Der Patriarch Noah ...“ und: „... aus den Früchten des Rebstocks.“ Das ist leicht zu verstehen. Und sehr erhellend. Wenn man diesen Satz gelesen hat, weiß man zweifellos alles über alle Weine, ihre unterschiedliche Qualität, ihre Nachteile, ihre Wirkung auf den Magen und auf das Gehirn.

Ach! Liebe Freunde, lest nicht Brillat-Savarin. Gott schütze die, die er liebt, vor sinnloser Lektüre; so lautet die erste Maxime in einem Büchlein Lavaters, eines [schweizerischen] Philosophen, der die Menschheit mehr geliebt hat als alle Staatsdiener der alten und der neuen Zeit. […]

Ich schlage die „Kreisleriana“ des göttlichen [deutschen romantischen Dichters E.T.A.] Hoffmann auf und lese darin eine kuriose Empfehlung. Der gewissenhafte Musiker soll sich Champagner einschenken, wenn er eine komische Oper komponiert. Das wird ihm zu der prickelnden und leichtfertigen Fröhlichkeit verhelfen, die das Genre erfordert. Religiöse Musik verlangt Rheinwein oder Wein aus dem Jurançon. Darin findet man eine berauschende Bitterkeit, wie wenn man tiefsinnigen Gedanken auf den Grund geht. Heroische Musik jedoch kann auf Burgunderwein nicht verzichten, denn er treibt zu ernsthaftem patriotischem Schwung an. Das gefällt mir viel besser, und neben der Leidenschaft des Trinkers finde ich darin eine Vorurteilslosigkeit, die einem Deutschen die größte Ehre macht. […]

Viele werden mich zweifellos für allzu nachsichtig halten. „Sie beschönigen die Trunksucht, Sie idealisieren das Lumpenpack.“ Ich muss gestehen, dass ich angesichts der Wohltaten nicht den Mut aufbringe, die Schäden zu zählen. Zudem sagte ich, der Wein sei dem Menschen ähnlich, und habe eingeräumt, dass ihrer beider Untaten ihren Verdiensten gleichkämen. Kann ich es besser ausdrücken? Aber ich habe eine andere Idee. Verschwände der Wein aus der Reihe menschlicher Erzeugnisse, dann, so glaube ich, würde sich in Wohlergehen und Intellekt des Planeten ein Mangel bemerkbar machen, etwas würde fehlen, und das wäre eine weit fürchterlichere Lücke, als sie alle vom Wein verursachten Ausschreitungen und Verirrungen jemals reißen könnten. Ist es nicht einleuchtend, dass Leute, die niemals Wein trinken, aus Unwissen oder aus Überzeugung, entweder Dummköpfe oder Heuchler sind? Dummköpfe, das heißt Menschen, die weder die Menschheit noch die Natur kennen, Künstler, die sich den traditionellen Werkzeugen der Künste verwehren, oder Handwerker, die Maschinen verfluchen; und Heuchler, das heißt verschämte Gourmands, die sich mit ihrer Nüchternheit brüsten, dabei aber heimlich dem Alkohol zusprechen, den sie versteckt haben. Wer nur Wasser trinkt, hat vor seinen Mitmenschen etwas zu verbergen.

Man beurteile dies: Vor einigen Jahren veranstaltete eine Ansammlung von Dummköpfen bei einer Ausstellung einen Aufruhr vor einem Gemälde, das wie ein industriell gefertigter Gegenstand poliert, gewachst, lackiert war. Dieses Bild war das absolute Gegenteil von Kunst [...]. Auf diesem mikroskopisch genauen Bild sah man die Fliegen schwirren. Wie alle zog auch mich dieses grauenhafte Etwas an, doch ich schämte mich für meine unerklärliche Schwäche, denn sie kündete von der unwiderstehlichen Faszination des Abscheulichen. Und zuletzt wurde mir klar, dass mich unwillkürlich eine philosophische Neugier antrieb, der unermessliche Wunsch zu erfahren, welchen moralischen Charakter jemand haben mochte, der eine so kriminelle Absonderlichkeit in die Welt setzen konnte. Ich wettete mit mir selbst, dass er von Grund auf schlecht sein müsse. Ich zog Erkundigungen ein, und mein Instinkt hatte das Vergnügen, diese psychologische Wette zu gewinnen. Ich erfuhr, dass das Ungeheuer regelmäßig vor Tagesanbruch das Bett verließ, seine Haushälterin zugrunde gerichtet hatte und nichts anderes trank als Milch! […]

Jeder kennt den Wein, und jeder liebt ihn. Sollte es jemals einen wahrhaft philosophischen Arzt geben, was allerdings ziemlich unwahrscheinlich ist, könnte er eine bedeutende Studie über den Wein verfassen, eine Seelenkunde des Weines einerseits und des Menschen andererseits. Er könnte erklären, wie und warum bestimmte Getränke es vermögen, die Persönlichkeit eines denkenden Wesens über alle Maßen zu steigern und gewissermaßen eine dritte Person zu erschaffen: ein mystischer Vorgang, bei dem der Mensch und der Wein, der kreatürliche Gott und der pflanzliche Gott, die Rolle von Vater und Sohn der Dreifaltigkeit einnehmen; sie zeugen einen Heiligen Geist, den Übermenschen, der ebenfalls von den Göttern abstammt.

Es gibt Menschen, auf die der Wein derart belebend wirkt, dass sie fester auftreten und ein überaus feines Gehör bekommen. Ich kannte einmal jemanden, dessen schwache Augen im Rausch all ihre frühere Scharfsichtigkeit wiedergewannen. Der Wein verwandelte den Maulwurf in einen Adler.

Ein unbekannter Autor alter Zeit sagt: Nichts kommt der Freude des Trinkenden gleich außer der Freude des Weins, der getrunken wird. Tatsächlich spielt der Wein im Leben der Menschheit eine so wesentliche Rolle, dass es mich nicht wundern würde, sollten manche vernünftigen Denker, verführt von einer pantheistischen Vorstellung, ihm eine Art Persönlichkeit zuschreiben. Der Wein und der Mensch machen mir den Eindruck zweier befreundeter Kämpfer, die ohne Unterlass miteinander ringen und sich immer wieder versöhnen. Der Unterlegene umarmt immer den Sieger.

Es gibt bösartige Betrunkene; das sind von Natur aus bösartige Menschen. Schlechte Menschen werden unausstehlich, gute Menschen werden unübertrefflich.

Ich werde nun von einer Substanz sprechen, die seit einigen Jahren in Mode gekommen ist, eine köstliche Droge für eine bestimmte Gattung von Liebhabern, deren Wirkung auf ganz andere Weise überwältigend und machtvoll ist als die des Weins. […]

Mir kam der Gedanke, vom Wein und vom Haschisch im selben Text zu sprechen, weil zwischen beiden tatsächlich eine Gemeinsamkeit besteht: Beide fördern machtvoll das Poetische im Menschen zutage. Die unstillbare Gier des Menschen nach allen Substanzen, die seine Persönlichkeit überhöhen, seien sie bekömmlich oder gefährlich, zeugt von seiner Größe. Er strebt immer danach, seine Hoffnungen wiederzuerwecken und sich zur Unendlichkeit aufzuschwingen. Aber bedenken wir die Folgen.

Auf der einen Seite haben wir es mit einem alkoholischen Getränk zu tun, das die Verdauung fördert, die Muskeln stärkt und das Blut bereichert. Selbst in großen Mengen genossen, bewirkt es nur kurzzeitige Störungen. Andererseits haben wir eine Substanz, die den Verdauungsvorgang unterbricht, die Glieder schwächt und einen Rausch von vierundzwanzig Stunden auslösen kann.

Der Wein steigert den Willen, das Haschisch macht ihn zunichte. Der Wein ist eine Unterstützung des Körpers, das Haschisch ist eine selbstmörderische Waffe. Der Wein macht gütig und verträglich. Das Haschisch isoliert den Menschen. Die eine Substanz ist, wenn man so will, arbeitsam, die andere ist letzten Endes faul. Wozu auch arbeiten, sich abmühen, schreiben, irgendetwas herstellen, wenn man das Paradies ohne Umstände erlangen kann? Der Wein gehört dem Volk, das arbeitet und es verdient hat, ihn zu trinken. Das Haschisch gehört zum Genre der einsamen Freuden; es ist für die elenden Müßiggänger bestimmt. Der Wein ist nützlich, er befruchtet. Das Haschisch ist nutzlos und gefährlich.

Mit freundlicher Genehmigung des Manesse-Verlags abgedruckt aus: Charles Baudelaire, Wein und Haschisch, Essays. Aus dem Französischen übersetzt von Melanie Walz, Zürich 2017

 


Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Bernd Muhlack | Fr., 9. April 2021 - 17:37

Ob des Bildes erschrak ich zunächst!
Was ist denn mit Prof. Dr. Lauterbach passiert!
PUH - er isset gar nich!
Die "Frisur" hat eine gewisse Ähnlichkeit.

Spätestens mit der Erwähnung von Wein u Haschisch war jede etwaige Verwechslung ausgeschlossen!
Herr Lauterbach verzichtet gar auf Salz, also NaCl.
Bei meinen KH-Visiten hänge ich immer am "Nazzel-Tropf" wie der libanesische Oberarzt so trefflich sagt.
Lassen wir das.

Baudelaire und Beaujolais sind mir bekannt, jedoch nicht Gegenstand meines Alltags.
"Es gibt bösartige Betrunkene; das sind von Natur aus bösartige Menschen. Schlechte Menschen werden unausstehlich, gute Menschen werden unübertrefflich."
Charlton Heston sagte etwas ähnliches.
Der olle US-Schauspieler und Präsident der NRA - National Rifle Association.
A gun in the hand of a good man ... etc.

Ich schließe mit dem Mosers Hans, der olle öster. Schauspieler.
"Die Reblaus" -
https://www.youtube.com/watch?v=PQaq0eusLFY

- and Good Bye Prince Philip!
- Herr Battenberg!
??

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 11. April 2021 - 13:22

Ich habe es nicht mit dem Rausch, erst recht nicht Haschisch.
Wein zählt für mich unter die Lebensmittel.
Jedoch, ich trinke Wasser und ahne, was Baudelaire mit seiner Invektive gegen das Wasser sagen möchte, da bedarf eine einer Taufe, Reinwaschung?
Damit wollte ich mich eigentlich rehabilitieren als Wassertrinkerin, dann nehme ich es als Lebensraum...
Ich empfehle Wasser in jedem Fall zu Alkohol, der im Falle von Wein vergorener Fruchtzucker ist, gewissermassen potenziert.
Zu süß mag ich es eben auch nicht, deshalb bleibe ich bei Wasser und Süßigkeiten oder halt verdünnten Fruchtsäften.
Vielleicht ist der Rausch noch einmal eine Potenzierung des Empfindens?
Mir reicht mein Erleben völlig, ich tippe mal auf schnelleres Altern durch Rausch?
Das kann ich gar nicht gebrauchen:)