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Wirtschaftssanktionen - „Die Frage ist, was angemessen ist“

Was hält die deutsche Wirtschaft von Sanktionen gegen Russland? Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), im Interview

Autoreninfo

Tomas Sacher ist ein tschechischer Journalist. Er leitete das Wirtschaftsressort des Magazins „Respekt“ und moderiert Debatten zur Politik und Wirtschaft. Er lebt in Berlin und Prag

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Wie groß ist der Einfluss der deutschen Industrie auf die Beschlüsse der Kanzlerin?
Sicherlich hat die Industrie einen gewichtigen Einfluss auf politische Entscheidungen. Denn politische und ökonomische Konsequenzen müssen auch immer gegeneinander abgewogen werden.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie spricht über die Notwendigkeit, das Grundgesetz auf internationalem Niveau zu respektieren. Es kann sehr schmerzhaft sein, trotzdem fordert er in der Frage der Sanktionen eine “angemessene Reaktion des Westens“. Wie populär ist diese Meinung unter deutschen Firmen?
Natürlich brauchen wir eine "angemessene Reaktion". Die Frage ist, was angemessen ist. Wir müssen uns bewusst sein, dass Sanktionen auch Kosten für Deutschland und Europa haben werden, und dass die Kosten einer Eskalation kaum abgeschätzt werden können. Wir haben in Europa noch immer eine Krise, und gerade deshalb ist Europa besonders verwundbar. Wir werden diese Sanktionen deshalb sicherlich nicht aus einer Position der ökonomische Stärke heraus umsetzen können.

Wen würden die Sanktionen in Deutschland am stärksten treffen?
Unsere Prognose am DIW Berlin sieht bei der gegenwärtigen Situation noch keine direkte Wirkung auf das deutsche BIP. Doch im Falle einer Eskalation sind die Folgen kaum vorhersehbar. Es geht vor allem um die Finanzmärkte. Wir können die möglichen Verwerfungen in Finanzmärkten kaum abschätzen. Investoren würden global das Risiko scheuen, und damit vor allem auch die südeuropäischen Krisenländer wieder in eine schwerere Lage bringen, sich zu finanzieren. Aber auch der Handel wäre negativ betroffen. Wirtschaftlich reden wir über einen Transaktionsabbruch, Schäden beim Export – und wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland zu einem Drittel abhängig von russischem Gas und Öl ist.

Stichwort Solidarität zwischen den EU-Ländern. Falls Sanktionen kommen, sollen diejenigen, die nicht von ihren Auswirkungen betroffen wären, den anderen finanziell helfen? Wie könnte ein solches System funktionieren?
Europa hat Institutionen und Rettungsschirme, die Probleme in den Mitgliedsländern zu verhindern oder zu lösen helfen. Trotzdem könnte eine Eskalation zu tiefen wirtschaftlichen und finanziellen Verwerfungen in Europa führen. Dem müssen wir uns bewusst sein. Für mich ist die Krise in und um die Ukraine auch ein klares Signal, wie wichtig und notwendig die weitere europäische Integration ist.

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