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(picture alliance) Der Strompreis setzt sich fast zur Hälfte aus Steuern und Abgaben zusammen

Energiewende - Wie die Angst vor hohen Strompreisen geschürt wird

Die Mehrheit der Deutschen würde die Energiewende lieber verschieben als höhere Strompreise zu zahlen. Doch die Angst wird genährt von Lobbyinteressen. Die Kostendebatte ist nicht nur in wesentlichen Teilen fehlerhaft, sondern auch gefährlich

Wenn ein Thema dazu taugt, in wiederkehrenden Abständen heftige Empörungswellen auszulösen, dann geht es meist ums Geld. Das war schon in den 50er Jahren so, als man über steigende Kosten für Brot und Butter schimpfte – und das ist eigentlich immer so, wenn die Spritpreise mal wieder anziehen.

Eine noch viel größere Empörungswelle – auf Neudeutsch müsste man fast von einem „Shitstorm“ sprechen – löst derzeit das Thema Strom- und Gaspreise aus. Und so kam es, dass sich im ARD-Deutschlandtrend in dieser Woche zwischen Fußball-Euphorie, Gauck-Bestnoten und Euro-Angst auch eine Stimmungslage versteckte, die es in sich hat: Die Mehrheit der Deutschen scheut die Energiewende, wenn sie zu teuer ist. Demnach befürworten 53 Prozent der Deutschen, dass die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie im Zweifel lieber verschiebt, damit die Strompreise nicht so stark steigen. Nur 42 Prozent ist der Preis egal, solange die Energiewende gelingt.

In den Medien ist diese Umfrage zwischen all den Fußball-Meldungen fast untergegangen. Nur wenige Netzaktivisten wie der Blogger Zettel haben genauer hingeschaut und feststellt, dass das eigentlich „ein sensationelles Ergebnis“ ist. Protestierten die Deutschen vor einem Jahr noch bundesweit gegen die Kernenergie, liefen Sturm gegen die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung, haben sie jetzt scheinbar nichts mehr dagegen, die Atomkraftwerke in Betrieb zu lassen. Nach dem Motto: Hauptsache, ich muss nicht mehr für meinen Strom bezahlen.

Die Angst befeuern deutsche Zeitungshäuser gerne, denn nichts kurbelt die Verkaufszahlen besser an als eine zürnende Strompreis-Zeile. So hieß es am Donnerstag allerorten, wo nicht wegen des Fronleichnamstages Druckpause war: „Strom und Gas werden bald teurer“.

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Dabei ist diese Debatte nicht nur überflüssig und völlig überdreht, sondern auch gefährlich. Sie ist ideologisches Futter für alle Bremser und Blockierer der Energiewende.

Der Hintergrund des aktuellen Streits: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat Kostenbescheide der Bundesnetzagentur für nichtig erklärt. Damit dürfen Strom- und Gasnetzbetreiber jetzt höhere Durchleitungsgebühren verlangen, die natürlich sofort auf die Verbraucher umgelegt werden. Der größte Witz ist die Berechnung eines Experten in der Berliner Zeitung: Im direkten Verbrauch könne die Kilowattstunde Strom um 0,1 Cent teurer werden, hieß es dort. Für einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt wären das vier Euro pro Jahr (bei 4.000 Kilowattstunden). Also, noch durchschnittlicher gerechnet – ein Euro pro Person. Lächerlich. Zwar könnte der Bundesgerichtshof in höchster Instanz das Urteil noch mal kippen, aber schon jetzt stellt sich die Frage: Das soll der neue Aufreger sein?

Vieles, was in den Medien kolportiert wird, ist schlichtweg falsch. So auch das Bild der Netzbetreiber, die jetzt dicke Gewinne einstreichen: Im vergangenen Jahr waren nicht sie die Preistreiber, denn vielmehr sanken die von ihnen erhobenen Netzentgelte – um 0,06 Cent. Dass die Verbraucher davon nichts spürten, hat laut Bundesnetzagentur damit zu tun, dass ihr Anteil am Endkundenpreis nur bei rund einem Fünftel liegt. Auch die Kosten für die Energiebeschaffung – also Solar- und Windstrom, Kohle- und Atomkraft – sanken seit 2009 leicht (wohingegen die Vertriebskosten leicht zulegten).

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wer die Angsttreiber aus Industrie und Wissenschaft sind

Der größte Kostenblock sind die Steuern: Rund die Hälfte (44,4 Prozent) des Energiepreises setzt sich aus Strom- und Umsatzsteuern, Konzessionsabgaben sowie Umlagen nach dem EEG und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusammen. Da ist es nur verständlich, wenn sich die Netzbetreiber vor Gericht zur Wehr setzten.

Die dauernde Diskussion um Strompreise nützt denjenigen, die bisher am meisten Geld verdient haben: den konventionellen Energiererzeugern. Und sie haben durchaus Interesse daran, die Angst vor hohen Preisen zu schüren. So rechnete Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka im September vor, dass der Atomausstieg 200 Milliarden Euro koste. Ein bisschen will der Konzern auch selbst zur Kostenexplosion beitragen: Denn zurzeit klagen Vattenfall sowie die anderen drei Energieriesen E.ON, RWE und EnBW gegen die Bundesrepublik, um das Atomausstiegsgesetz von 2011 und das Kernbrennstoffsteuergesetz von 2010 zu Fall zu bringen. Es geht um mehrere Milliarden.

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Das verunsichert natürlich die Endverbraucher – und sät Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Energiewende. Unterstützung erhalten die Stromkonzerne aus der Wissenschaft, die das Spiel mit der (Preis-)Angst mit großer Freude mitspielen. Als solcher Angsttreiber präsentierte sich etwa das Karlsruher Institut für Technologie. Es gab vor einem Monat im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Karlsruhe – die bekanntlich den einst großen Atomerzeuger EnBW vertritt – eine Studie heraus. Demnach sollen die Strompreise bis zum Jahr 2025 um 70 Prozent steigen. Der Grund: der Atomausstieg. Für IHK-Präsident Bernd Bechtold ein Anlass, den Teufel Wirtschaftskrise an die Wand zu malen: „Wenn die Strompreise so drastisch steigen, fürchten wir um die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen“. Ein absolutes K.O.-Argument. Denn die Exportfähigkeit der Industrie will natürlich niemand gefährden.

Andere Studien kommen übrigens zu ganz anderen Ergebnissen, was die Kosten des Atomausstiegs betrifft: Ein im vergangenen Jahr vorgelegtes Gutachten des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Universität Leipzig erwartet zunächst einen leichten Anstieg, bis 2030 aber wieder einen Rückgang der Strompreise auf das Niveau von 2010. Insgesamt seien die Preiserhöhungen moderat – und wären selbst ohne Atomausstieg zu erwarten gewesen. Allerdings ist auch diese Einschätzung mit Vorsicht zu genießen, denn sie wurde von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben – und dient als Argumentationshilfe für sozialdemokratische Politik.

Die Kriege in der Wissenschaft zeigen: Kaum ein Thema ist so ideologisch aufgeladen wie das der Strompreise.

Die Energiewende ist das wohl größte Infrastrukturprojekt der jüngeren Geschichte. Da müssen Stromnetze verstärkt und flexibel ausgebaut, Speichertechnologien entwickelt, dezentrale Kraftwerke errichtet werden. Und wer alles gleichzeitig will – das Klima schützen, grüne Wirtschaftszweige fördern, Weltmarktführer bei Umwelttechnologien bleiben – muss einfach auch selbst etwas dazu geben. Wenn man die pessimistischen Berechnungen von Vattenfall einmal genau anschaut, relativieren sie sich sogar: 200 Milliarden Euro für die Energiewende – das ist nichts gegen die 700 Milliarden, mit denen Deutschland etwa für Euro-Krisenstaaten haftet.

200 Milliarden, das sind 2.500 Euro pro Bundesbürger. Das ist so viel, wie ein gebrauchter Golf 3er kostet. Eine Schmutzkiste, die man sowieso besser verhökern sollte, um umweltbewusster zu leben (oder um umweltschonendere Neuwagen zu kaufen und damit die Autoindustrie zu stärken). Und wem das alles nichts ist, braucht sich nur die deutschen Privatvermögen zu vergegenwärtigen: 2011 betrug das verwaltete Anlagevolumen 5,08 Billionen Euro (6,4 Billionen Dollar), wie die Boston Consulting Group errechnete. Der Posten „Energiewende“ ist dagegen ein Klacks.

Es gibt nur eine einzige Gruppe, um die man sich wirklich Sorgen machen sollte: um die Geringverdiener, bei denen hohe Verbrauchskosten sofort hart einschlagen. Für einen Hartz-IV-Haushalt können vielleicht auch schon vier Euro im Jahr schmerzhaft sein.

Doch auch hier gäbe es Abhilfe: den Stromanbieter wechseln. Fast jeder zweite Deutsche ist selbst Schuld, dass er zu viel bezahlt – weil er sich nicht kümmert. 44 Prozent der Verbraucher haben noch ihren alten Grundversorgungstarif. Wer wechselt, kann nach Angaben des „Bundesverbands Neuer Energieanbieter“ derzeit bis zu 300 Euro im Jahr sparen.

Wenn die Strompreise steigen, werden das möglicherweise mehr Menschen erkennen. Mit positiven Nebeneffekten: Mehr Kündigungen von Verbrauchern zwingen die Anbieter zu mehr Wettbewerb – und faireren Strompreisen.

Vielleicht sollte man sogar darauf hoffen, dass der Strompreis weiter steigt.

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