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(Picture Alliance)
Werden sie Wirtschaftsministerin?

Eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl? Gut möglich - für das Amt eines grünen Wirtschaftsministers wäre Christine Scheel die Favoritin. Ein Gespräch mit der Wirtschafts- und Finanzexpertin von Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Scheel, Hand aufs Herz, sind Sie manchmal froh, dass die Grünen derzeit nicht regieren?
Im Gegenteil. Mit uns hätte es kein Konjunkturpaket gegeben, das nur ein beliebiges Sammelsurium ist. Wir hätten uns auf ökologische Investitionen konzentriert.

Krisenzeiten eignen sich schwer für die Umsetzung großer grüner Visionen…
Es kann aber auch nicht sein, dass jetzt mit Milliardenhilfen Strukturen verfestigt werden, die nicht zukunftsfähig sind.

War es denn falsch, den Absturz der Wirtschaft zu stoppen?
Das Bankensystem musste stabilisiert werden.

War es auch richtig, Opel mit Staatsgeldern zu retten?
Erhaltungssubventionen sind kein Zukunftsmodell für die Automobilindus­trie. Bei Opel hätte die Regierung deshalb darauf drängen müssen, alte Strukturen und altes Denken zu überwinden. Mit der Abwrackprämie wurden die Probleme stattdessen nur ins kommende Jahr verschoben.

Und der Fall Quelle?
Da hätte man wohl Nein sagen müssen, weil es keine Zukunftsperspektive gibt. Zu Recht klagen jetzt viele Mittelständler, dass nur den Großen geholfen wird.

Im grünen Wahlprogramm steht erstmals nicht die Umwelt, sondern die Wirtschaft an vorderster Stelle. Ist das ein Signal?
Das ist konsequent. Denn wir müssen zukünftig Ökonomie und Ökologie zusammendenken. Nur so kann die deutsche Wirtschaft erfolgreich sein.
Aber die Stärken der Wirtschaft liegen in den traditionellen Branchen. Die Auto- und Chemieindustrie sowie der Maschinenbau fürchten vor allem die ökologische Regulierungswut.
Dabei haben die Grünen längst gezeigt, wie es geht. In der Umweltbranche sind in den vergangenen Jahren viele Zehntausend neue Arbeitsplätze entstanden. Jetzt wird es höchste Zeit, dass die traditionellen Branchen nachziehen. Die Automobilindustrie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten alle ökologischen Trends verschlafen.

Im Wahlkampf versprechen die Grünen eine Million neue Arbeitsplätze: Ist das eines jener Versprechen, die nach der Wahl schnell wieder vergessen sind?
Das ist seriös durchgerechnet. Aber dafür brauchen wir zum Beispiel moderne Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, ein anderes Unternehmenssteuerrecht und neue Mobilitätskonzepte. Wir müssen Investitionen in die Zukunft fördern, damit Deutschland seine Abhängigkeit vom Öl überwindet.

Gibt es dafür überhaupt finanzielle Spielräume?
Wer den Kassensturz erst nach der Wahl macht, der täuscht die Wähler. Wir wissen doch schon jetzt, wie die Realität aussehen wird.

Diese Realität heißt, Deutschland steht vor einem gigantischen Schuldenberg…
Deshalb ist es höchst unseriös, jetzt Steuersenkungen zu versprechen. Wenn wir Veränderungen im Steuerrecht vornehmen, dann müssen diese auch gegenfinanziert werden.

Auch die Grünen wollen das Arbeitslosengeld II erhöhen und kleine Einkommen steuerlich entlasten: Ist das seriöser?
Wir wollen für die unteren Einkommen vor allem die Sozialabgaben senken. Dafür haben wir ein Progressivmodell entwickelt, von dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen profitieren. Auch bei den Hartz-IV-Sätzen müssen wir sicher etwas tun. Wir können die Betroffenen nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abkoppeln.

Sie haben sich weit über die eigene grüne Klientel hinaus den Ruf einer Finanz- und Wirtschaftspolitikerin erworben. Können Sie sich vorstellen, nach der Wahl das Amt der Wirtschaftsministerin zu übernehmen?
Ich kann mir vorstellen, dass die Grünen bei der Bundestagswahl zur stärksten der drei kleinen Parteien werden. Alles Weitere werden wir sehen. Ich bin zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, dass es bis zu einer Regierungsbildung noch ein weiter Weg ist.

In welcher Konstellation könnten die Grünen in eine Regierung eintreten?
Die SPD schwächelt ja dramatisch, deshalb ist eine rot-grüne Regierung äußerst unrealistisch…

…und eine Ampel-Regierung mit SPD und FDP ist an der grünen Basis äußerst unpopulär. Steht Ihre Partei damit schon jetzt ohne Machtperspektive da?
Warten wir doch mal ab, wie die Wahl ausgeht.

Könnte anschließend sogar Schwarz-Grün wieder ein Thema werden?
Solange die Union an der Atomkraft festhält, brauchen wir darüber nicht nachzudenken.

Was ist, wenn Angela Merkel Ihnen hier entgegenkommt?
Ein einzelnes Zugeständnis reicht sicher nicht, da müsste sich in der Union schon einiges verändern. Aber aussichtslos ist das nicht. Ich kenne viele Konservative, die sagen, wir Grünen seien mit der Energiepolitik auf dem richtigen Weg. Ich glaube, in der Union gibt es mehr Anhänger von Schwarz-Grün als in meiner eigenen Partei.

Das Gespräch führte Christoph Seils

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