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VW-Skandal - „Niemand will einen Flächenbrand“

Fast täglich kommen neue Tricksereien des VW-Konzerns an die Öffentlichkeit und schaden dem Image des deutschen Automobilbauers. Warum es die Marke nachhaltig gefährdet und was das für „Made in Germany“ bedeutet, beantwortet Marketing-Professor Sascha Raithel

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Ina Bullwinkel arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Sie hat Außenwirtschaft in Hamburg studiert.

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Herr Raithel, gerade wurde bekannt, dass die Europäische Kommission Volkswagen eine Frist von zehn Tagen gesetzt hat, um weitere Details zu veröffentlichen. Bei mehr als einer halben Million Diesel-Fahrzeugen müssen technische Änderungen vorgenommen werden. Wie sehr schadet dieser Skandal dem Image von VW?
Man muss zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Perspektive unterscheiden. Kurzfristig ist es so, dass im Moment jeder etwas Negatives über VW sagen kann. Das Problem für VW ist aber, dass scheibchenweise immer mehr herauskommt. Erst ging es nur um die Stickoxid-Manipulation, jetzt kommt die CO2-Manipulation noch oben drauf. Das ist eine nicht enden wollende Kette von negativen Nachrichten und das wird sich, je länger das anhält, immer stärker im Kopf der Konsumenten festsetzen. Insofern wäre es für VW besser gewesen, die Dinge mit einem großen Knall herauszuhauen. Dann wäre die Aufregung zwar groß gewesen, aber wohl nicht viel größer als sie jetzt am Anfang war.

Braucht VW eine radikale Neuausrichtung oder kuriert sich das Unternehmen durch Transparenz von Innen heraus – etwa durch die Enthüllungen der Mitarbeiter?
Viele Menschen haben ein Interesse daran, dass VW wieder in die Spur kommt. Mitarbeiter, die Angst um ihren Job haben oder sich in ihrem Umfeld rechtfertigen müssen, ob sie in die Manipulationen verstrickt sind. Aber auch Investoren, die um ihre Rendite bangen oder Politiker, die Volkswagen als wichtigen Arbeitgeber sehen. Das Wichtige ist, dass an alle Gruppen klare Signale gesendet werden. Da reicht es nicht, nur Lippenbekenntnisse zu geben oder das Management auszutauschen. Es muss von außen klar sichtbare Änderungen geben, damit es glaubhaft ist. Intern ist es eine wichtige Aufgabe, die eigene Belegschaft ins Boot zu holen und mit ihr Änderungen umzusetzen, damit die Volkswagen-Familie nicht auseinanderfällt. Wenn die Mitarbeiter Angst vor der nächsten negativen Nachricht haben und nicht mehr motiviert sind, wirkt sich das langfristig auf die Produkte aus.

Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage halten die meisten Deutschen Volkswagen die Treue – aber an der Börse sieht es anders aus: Die VW-Aktie verliert an Wert und auch die Ratingagentur Moody’s hat VW herabgesetzt. Wie viel vertragen die Anteilseigner?
Die oberste Priorität ist, dass VW seine Produkte im nächsten Jahr verkaufen kann. Die Kunden, die jetzt ein betroffenes Produkt haben, müssen entschädigt werden und das mit möglichst wenig negativem Geräusch. Den Kunden, die mit dem Gedanken gespielt haben, einen VW zu kaufen, muss man die Sorgen nehmen, dass sie ein mangelhaftes Produkt bekommen. Wenn das Unternehmen robuste Verkaufszahlen und einen stabilen Marktanteil in seinen Kernmärkten vorzeigen kann, dann wird es auch an der Börse relativ schnell wieder in die andere Richtung gehen. Aber diese Informationen müssen erst einmal an den Kapitalmarkt fließen, damit das Vertrauen der Anleger zurückgewonnen werden kann.

In den USA werden bereits Sammelklagen von Privatleuten gegen VW vorbereitet. Hollywood hat gar angeklopft und will einen Film über den Abgasskandal drehen. Wird der Skandal in den USA anders wahrgenommen als in Deutschland?
VW ist ein Symbol für die Fähigkeiten der deutschen Industrie. Deutsche Produkte sind nicht nur in den USA mit Labels wie „Made in Germany“ und „tested on German Autobahn“ eng verbunden. Diese positiv besetzten Symbole kontrastieren sehr stark mit dem Bild, das Volkswagen im Moment bietet. Das findet man natürlich interessant und stürzt sich darauf.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt will nun auch andere Hersteller prüfen lassen. Haben VWs Fehltritte Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der gesamten deutschen Automobilbranche?
Im Moment noch nicht, weil es jetzt als ein Volkswagen-Problem gesehen wird und die Konsumenten relativ gut unterscheiden können, wer einen Fehler gemacht hat und wer nicht. Aber die Gefahr ist natürlich schon da, insbesondere dann, wenn zeitnah bei anderen deutschen Autoherstellern ähnliche oder andere Probleme publik werden sollten. Hersteller wie BMW haben die Gefahr erkannt und halten sich dementsprechend zurück oder wirken sogar – wie im Fall von Daimler – unterstützend. Niemand will, dass ein Flächenbrand entsteht und am Ende alle deutschen Autobauer als Verlierer dastehen.

Neben Volkswagen gibt es auch Korruptionsfälle bei der Deutschen Bank und beim Deutschen Fußballbund – alles große deutsche Marken. Ist im Ausland auch das Qualitätssiegel „Made in Germany“ in Gefahr?
Der Fall der Deutschen Bank ist eigentlich nichts Neues. Die Reputation der gesamten Finanzbranche hat durch die Finanzkrise schon vorher schweren Schaden genommen. Was beim DFB passiert, kommt allerdings als negative Überraschung noch auf den VW-Skandal oben drauf und ist für den Ruf Deutschlands im Ausland sicherlich nicht förderlich.

Wie sollte die Zukunftsstrategie eines Traditionsunternehmens wie VW in einer Markenkrise aussehen? Auf alte Werte berufen oder ganz neue Wege gehen?
Sowohl als auch. Schließlich ist Volkswagen ein erfolgreicher Autobauer und viele Dinge sind in der Vergangenheit richtig gemacht worden, sonst hätten die Kunden die Autos von VW nicht gekauft. Wichtig ist jetzt, dass man sich auf die Aspekte fokussiert, die zu den Problemen geführt haben. Eine Gefahr wäre, die entstandenen Schäden zu Lasten der Investitionen in Forschung und Entwicklung abzudecken – das wäre mit Sicherheit tödlich. Das würde dazu führen, dass die Produkte in Zukunft nicht mehr wettbewerbsfähig sind und weniger nachgefragt werden. Da kann ein Teufelskreis entstehen, der auf jeden Fall vermieden werden muss.

In welchem Fall könnte VW gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Jede Krise ist eine Chance, wenn man die Dinge, die falsch gelaufen sind, ändert und daraus lernt. Man kann eine neue Unternehmenskultur etablieren, bessere Steuerungs- und Monitoringsysteme einführen. Außerdem dürfen Ziele für das Management nicht so unrealistisch formuliert werden, dass man sich in Tricksereien flüchtet, weil man Angst davor hat, bei Nichterfüllung seiner Karriere zu schaden. Wenn man das geschafft hat, ist es wie in einer langen Beziehung: Hat man Täler und Krisen gemeinsam durchschritten, kann man mit mehr Selbstbewusstsein und größerem Vertrauen die zukünftigen Aufgaben angehen.

 

Die Fragen stellte Ina Bullwinkel

 

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Prof. Dr. Sascha Raithel ist Professor für Marketing an der Freien Universität Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Markenwert und Unternehmensreputation. Dabei untersucht er u.a. wie der Markenwert und die Reputation durch eine Unternehmenskrise beeinflusst werden und welche Maßnahmen die Marke und den guten Ruf schützen können.

 

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