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TTIP-Demo in den Medien - War da was?

Egal ob man für oder gegen TTIP ist: Das geplante Freihandelsabkommen verdient es, in den Medien diskutiert zu werden. Wird es aber nur unzureichend. Und, schlimmer: Wer gegen TTIP und CETA protestiert, droht in die rechte Ecke gestellt zu werden

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Am Wochenende protestierten 150.000 Menschen in Berlin gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Die Organisatoren sprachen sogar von 250.000. Während die ersten Teilnehmer bereits das Ziel an der Siegessäule erreicht hätten, seien Zehntausende noch nicht einmal losgelaufen.

Die Demonstration am Samstag war nach Veranstalterangaben nicht nur die bislang größte gegen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) in Europa.  Es könnte auch die bestbesuchte Versammlung seit den Protesten gegen den Irakkrieg gewesen sein, als im Februar 2003 eine halbe Million Menschen auf die Straße gingen.

Man könnte also meinen: Das ist ein Thema. Für die Medien.

In den Medien: nur Schnipsel, kaum Debatte


Ist es aber nicht wirklich. Der „Bild am Sonntag“ und der „Bild“ waren der Aufruhr des kleinen Mannes genauso wenig eine Erwähnung auf der Seite eins wert wie der „Süddeutschen Zeitung“. Es ist ja schon erstaunlich, dass sich überhaupt so viele Menschen zur gleichen Uhrzeit in einer Stadt gefunden haben – aus den klassischen Medien hätten wohl nur wenige Demonstranten vorab davon erfahren können.

Auf dem Titel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ fand sich am Folgetag ein Schnipsel unten rechts; genau sieben Sätze, Copy-Paste-Agenturmaterial. Der Vor-Ort-Report fand sich dann irgendwo hinten, auf Seite 33. Hintergründe über das Abkommen, Kontroversen, Experteninterviews, Meinungen von Unternehmen? An jenem Tag Fehlanzeige.

Viel mehr lieferte da auch nicht der gedruckte „Tagesspiegel“, Regionalzeitung in Berlin: das Titelfoto verweist auf einen Text im Wirtschaftsteil, Seite 24. Dort hatte eine Reporterin – „mit dpa“-Material – ein Stimmungsbild gebastelt. Man hätte annehmen können, die TTIP-Demo wäre an diesem Tag ein Großthema gewesen, an dem es in den Nachrichten auch einen blutigen Anschlag auf eine Friedensdemonstration in der Türkei gab. War sie aber nicht wirklich.

„Wie auf dem braunen Mist gewachsen“


Nur dann am Montag, in zwei Sätzen auf der Meinungsseite des „Tagesspiegels“. Dort ging es – wie in einigen anderen Medien auch – dann doch mal um ein wichtiges Thema: um die blutverschmierte Guillotine, die auf der Veranstaltung am Samstag gesichtet wurde.

Der Fotograf der Agentur Getty Images, Axel Schmidt, erinnert sich, dass das Gefährt von vier mittelalten Männern geschoben worden sei. Von den mitlaufenden Demonstranten sei es „nicht als anstößig wahrgenommen worden“. Auf dem Schild über der Guillotine stand, in kreativer Auslegung der deutschen Sprache: „!Pass blos auf Sigmar!“

Das kann man unter Umständen als Aufruf zum Mord verstehen. Und das – da sind sich die Journalisten wenigstens einmal einig – geht gar nicht. Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, erstattete Anzeige. Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft nach eigenen Angaben, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt.

Was aber auch nicht geht, ist, den Protest gegen den Freihandel deswegen pauschal in die rechte Ecke zu stellen. Alexander Neubacher schrieb anlässlich der Demonstration bei Spiegel Online am Samstag: „Die Kampagne gegen den Freihandel ist wie auf dem braunen Mist gewachsen.“ Und: „Wer nichts Schlimmes daran findet, sich gedanklich bei Pegida-Bachmann, Marine Le Pen und Donald Trump unterzuhaken, darf bei der Demo heute gerne hinter dem Plakat mit dem Chlorhühnchen herrennen.“

Eine solche Polemik – auch wenn sie als solche gekennzeichnet ist – ist gefährlich: Was, wenn diese Leute derartige Medienberichte als Aufforderung verstehen? Wenn sich all die Rechtskonservativen und Amerikahasser jetzt erst recht unter die TTIP-Gegner mischen?

Mediale Verweigerungshaltung ist schädlich


Der Fotograf Schmidt zeigte sich „überrascht, wie viele amerikakritische Plakate auf der Demo waren“. Oft sei es pauschale USA-Kritik gewesen, „außerhalb des TTIP-Zusammenhangs“.

Fakt ist: Die Veranstalter der Demonstration distanzierten sich eindeutig und sogar auf der Bühne von US-Feinden, der AfD und von rechten Gruppierungen. Und: Hunderttausend zogen friedlich durch die Hauptstadt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund nannte die Gabriel-Guillotine in einer Stellungnahme eine „menschenverachtende, abstoßende Symbolik, die entschieden zu weit geht und absolut inakzeptabel ist“.

Ja, es ist richtig, dass viele sehr zwielichtige Personen den TTIP-Protest für ihren Hass, vielleicht sogar für mögliche Straftaten missbrauchen. Aber es ist falsch, wenn Journalisten das Thema nun braun anfärben statt neutral abzubilden, wenn sie sich der ernsthaften Debatte über das Handelsabkommens verweigern oder diese den ganz linken Medien überlassen. Genau das geschieht offenbar gerade.

Eine solche mediale Verweigerungshaltung ist aus gleich zwei Gründen schädlich. Erstens gibt sie den Verschwörungstheoretikern Nahrung. Jenen Irren, die glauben, die deutschen Medien würden von irgendwelchen transatlantischen Organisationen ferngesteuert oder unterwandert. Sie fördert zweitens aber auch den Frust jener Bürger, die ein wirkliches Anliegen haben.

Schiedsgerichte, mögliche Privatisierungen, Transparenz, die Folgen von TTIP für die Industrie, den Mittelstand und den Arbeitsmarkt: Wären das nicht alles spannende Themen für Zeitungen und Nachrichtensendungen?

Update um 18:31 Uhr: Die Stellungnahme des DGB zur Gabriel-Guillotine wurde noch ergänzt. Fotos: picture alliance (Demo), Getty Images (Guillotine)

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