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Staatsrechtler zur NSA-Spionage: - „Wenn ich US-Geheimdienst wäre, würde ich Airbus auch überwachen“

Der Staatsrechtler Ulrich Battis spricht sich für eine schärfere Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste aus, zeigt aber auch Verständnis für die Wirtschaftsspionage der NSA: Europäische Unternehmen wie Airbus fielen immer wieder durch korrupte Rüstungsgeschäfte auf

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Herr Battis, die USA hatten offenbar nie vor, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen mit Deutschland abzuschließen. Hat Sie das überrascht?
Überhaupt nicht. Ich habe die entsprechenden Beteuerungen der Bundesregierung damals schon nicht geglaubt. Es hat doch jeder, der sich mit der Sache näher beschäftigte, gewusst, dass das alles nur eine Hinhaltetaktik war.

[[{"fid":"65524","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":319,"width":345,"style":"margin: 3px 6px; float: left; height: 166px; width: 180px;","class":"media-element file-copyright"}}]]Die Taktik bestand darin, kurz vor der Bundestagswahl 2013 den Eindruck zu erwecken, dass eine deutsch-amerikanische Anti-Spionage-Vereinbarung unmittelbar vor dem Abschluss stand. Würden Sie das eine „Lüge“ nennen?
Die Bundesregierung hat auf Zeit gespielt und eine Nebelwand aufgebaut. Aber ich würde das nicht als Lüge empfinden, nein.

In einer der am Wochenende aufgetauchten E-Mails zwischen dem Kanzleramt und dem Weißen Haus hieß es von Obama-Beraterin Donfried: „Die Frage, ob deutsches Recht auf deutschem Boden respektiert wird, müsste durch eine sehr sorgfältige Prüfung und Interpretation der deutschen Gesetze unter Einschaltung von Experten geklärt werden.“ Ist Ihnen bekannt, dass die Bundesregierung jemals versucht hätte, unabhängige Experten einzuschalten?
Es gab eine Anhörung von Experten vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Dort haben Hans-Jürgen Papier, Wolfgang Hoffmann-Riem und Matthias Bäcker deutlich gemacht, dass möglicherweise Grundrechte verletzt wurden.

Also verstößt die NSA-Überwachung in Deutschland auch aus Ihrer Sicht eindeutig gegen das Grundgesetz?
Ja, und das wird ja auch gar nicht bestritten. Die US-Seite hat allerdings auch gar keine Veranlassung, die deutschen Gesetze näher zu prüfen. Das interessiert die einen feuchten Kehricht. Es ist doch überall so: Die Geheimdienste müssen sich an die jeweiligen Gesetze in ihren Heimatländern halten. Das hat ein amerikanisches Bundesgericht erst in der vergangenen Woche auch den US-Geheimdiensten bescheinigt. Weder die US- noch die deutschen Dienste müssen sich aber an die Gesetze in anderen Staaten halten. Sonst könnten sie den Laden auch gleich zumachen. Das heißt nicht, dass wir eine Kolonie der USA sind. Es gibt Vereinbarungen zwischen den Diensten, dass man dem Partner bei bestimmten Suchen um Hilfe fragt.
Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Artikel im Wall Street Journal im Jahr 2000. Damals hat Ex-CIA-Chef James Woolsey sinngemäß gesagt: „Liebe europäische Freunde, wir müssen euch leider abhören, auch wirtschaftlich, weil es bei euch immer wieder Bestechung gibt. Ihr haltet euch nicht an die Regeln, bei euch sind Bestechungsgelder sogar absetzbar.“ Noch offener kann man das nicht sagen. In Griechenland sind viele Millionen Euro Schmiergelder geflossen. Airbus soll in den 1990er Jahren Saudi-Arabien Bestechungsgelder gezahlt haben, um an einen Milliardenauftrag zu kommen. Die Sache ist nur aufgeflogen, weil die NSA das mitbekam – und dann ging der Auftrag an Boeing. Derzeit ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft wegen möglicher Korruption bei Rüstungsgeschäften in Saudi-Arabien und Rumänien. Wenn ich amerikanerischer Geheimdienst wäre, würde ich Airbus auch überwachen!

Wenn Sie sagen, alle Geheimdienste spionieren im Ausland, ohne sich an dortige Gesetze zu halten: Macht das unser Auslandsnachrichtendienst, der BND, dann genauso?
Ja. Bei uns dürfen sie nicht schießen, deswegen ist es natürlich nur ein Nachrichten- und kein Geheimdienst. Aber die Vorstellung, dass die nur zu Hause sitzen und Zeitungsausschnitte sammeln, ist naiv. Die Frage ist doch: Was macht der BND bei uns? Bei uns darf er nicht gegen Gesetze verstoßen.

Aber offensichtlich hat der BND im Auftrag der NSA in Deutschland – bewusst oder unbewusst – doch spioniert. Von rund sechs Millionen NSA-Suchbegriffen für die Internetüberwachung ist die Rede.
Das muss man ganz strikt trennen: Wenn der BND einem ausländischen Geheimdienst hilft und dabei deutsches Recht bricht, dann muss das aufgeklärt werden. Da geht es jetzt auch um Frage, ob die Amerikaner Teile der 25.000 problematischen Selektoren offenlegen. Interessant wäre ja, was passiert, wenn sich die Amerikaner weigern, diese Informationen preiszugeben.

Für diesen Fall empfehlen Sie eine Klage beim Bundesverfassungsgericht.
Ich sehe gute Chancen für eine solche Klage. Aber das Gericht wird auch prüfen müssen, ob Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik verletzt würden, wenn diese geheimen Informationen offengelegt würden. Es kann sein, dass das Gericht sagt, hier ist offenkundig gegen Gesetze verstoßen worden, und bestimmte Verbesserungen anmahnt. Der umgedrehte Fall ist auch denkbar: Dass die Richter – genau wie im NPD-Verfahren – sagen, ihr müsst mehr Beweise für solche Rechtsverstöße vorlegen, sonst ist die Klage aussichtslos. Das wäre für die Kläger natürlich vernichtend.

Die Selektoren – also Suchbegriffe wie IP-Daten, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen– sind ja überhaupt erst durch den NSA-Untersuchungsausschuss ans Licht gekommen. Braucht es für die Zukunft, wenn der Ausschuss seine Arbeit beendet, eine Verstetigung dieser Prüfarbeit?
Klar, die Folge des Ausschusses muss zwangsläufig sein, dass wir die Kontrolle der Nachrichtendienste verschärfen und verbessern. Ich sehe beim Parlamentarischen Kontrollgremium und bei der G10-Kommission im Übrigen Reformbedarf: Hier müssen die Berichtspflichten des Bundeskanzleramtes und der Verfassungsschutzämter verstärkt werden.

Kritiker fordern eine eigenständige Kontrollinstanz, etwa eine Art Wehrbeauftragten zur Überwachung der Nachrichtendienste.
Bitte nicht noch mehr Gremien! Kein neuer Beauftragter! Wir sollten lieber den Informationsfluss zu den bestehenden Institutionen verbessern.

Herr Battis, vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis: Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat am Dienstag die Protokolle des NSA-Untersuchungsausschusses veröffentlicht.

Das Interview führte Petra Sorge.

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