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(picture alliance) Lebt auch von der Transparenz. Dieser Mann hat biologisch abbbaubare Folie entwickelt.

Staat und Küche - Transparenz ist kein Allheilmittel

Transparenz scheint das Gebot der Stunde zu sein. Sie suggeriert mehr Sicherheit in diesen turbulenten Zeiten. Das aber ist zu durchsichtig - und nur eine Pseudosicherheit, die zu Totalitarismus führt statt zu mehr Sicherheit, erklärt Til Knipper in seiner Freitagskolumne.

Transparenz scheint das Gebot der Stunde zu sein. Wenn ein Politiker in diesen turbulenten Zeiten etwas Zuspruch erhalten möchte, und wer könnte ihm diesen Wunsch verdenken, fordert er mehr Transparenz. Und was sollte man auch dagegen haben, einen besseren Einblick zu bekommen in die hygienischen Bedingungen von gastronomischen Betrieben, was in Berlin gerade ein großes Thema ist, oder in die Rechenmodelle der Ratingagenturen, die den Rest der Welt beschäftigen, um nur zwei Beispiel zu nennen?

Auf den ersten Blick suggeriert mehr Transparenz auch immer mehr Sicherheit und die Sehnsucht danach scheint aktuell groß zu sein. Aber es ist eine Pseudosicherheit, die dadurch entsteht, weil immer so getan wird, als habe man selbst das perfekte Modell, um zu beurteilen, ob ein Restaurant sauber ist oder ein Staat pleite. Daran muss man aber zweifeln, wenn bei den Berliner Hygienetests die Küchen von Altersheimen und Kindertagesstätten am besten abschneiden, die ihre Gäste ausschließlich mit Tiefkühlkost verwöhnen, während viele gut gehende Restaurants und Cafés schlechte Noten erhalten, weil der Lachs ein Grad zu warm gelagert wird oder der Apfelstrudel im selben Teil der kleinen Küche zubereitet wird wie das Gulasch. Dass der Lachs dort wegen des hohen Durchlaufs nur kürzeste Zeit steht und der Strudel trotzdem nicht nach Fleisch schmeckt und nie die Gesundheit der Gäste gefährdet wurde, wird in der Bewertung nicht berücksichtigt.

Die Forderung nach mehr Einsicht, in die Bewertungsmodelle der Ratingagenturen ist ein Widerspruch in sich. Warum sollte sich die Qualität der Ratings dadurch verbessern? Es gibt auch hier kein perfektes Modell, um die Bonität eines Schuldners zu bewerten. Wenn der Schuldner aber vor seiner Bewertung genau weiß, worauf die Agenturen bei ihrer Notenvergabe achten, kann er die Schwachstellen des Bewertungsmodells identifizieren, um die Noten zu seinen Gunsten zu manipulieren. Genau das haben die Investmentbanken gemacht, als sie die Bestnote „AAA“ für die sogenannten Asset backed securities (ABS), die Immobilienkreditverbriefungen, haben wollten, die einer der Hauptauslöser für die Finanzkrise waren.

Sie warben Mitarbeiter der Ratingagenturen ab, die ihnen halfen, ihre ABS so zu gestalten, dass sie am Ende die erwünschte Bestnote bekamen. Zugegeben, das war dann nur für die Beteiligten damals transparent. Aber warum haben denn damals nicht die Finanzaufsichtsbehörden wie die amerikanische SEC oder die Bafin in Deutschland reagiert, die doch für die Kontrolle der Märkte zuständig sind? Die Tatsache, dass es vor Einführung der ABS weltweit nur sehr wenige „AAA“-Wertpapiere gab und plötzlich innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend davon auf dem Markt waren, wäre das nicht Anlass genug gewesen, dies mal zu untersuchen?

Statt immer nur mehr Transparenz zu fordern, kommen sowohl Anleger als auch Regulierer nicht darum herum, die Märkte ständig aufmerksam zu beobachten. Auch die Politik tut sich keinen Gefallen damit, wenn sie ihren Bevölkerungen nach jedem Rettungspaket vorzugaukeln versucht, jetzt sei die Krise vorbei.

Den Ratingagenturen mehr Transparenz abzuverlangen, hilft da nur wenig. Es verlangt im übrigen auch keiner von Google, seinen Suchalgorithmus offenzulegen. Ob man den Urteilen der Ratingagenturen eine derartige Bedeutung einräumen muss, ist dann wieder eine andere Frage. Zweifel daran scheinen in der Tat begründet, wie man in dem Artikel von Nate Silver in der New York Times nachlesen kann.

Überhaupt sollte man nicht vergessen, dass ein gewisser Grad an Intransparenz Voraussetzung für unser nach Angebot und Nachfrage funktionierendes Wirtschaftssystem ist. Oder anders gesagt, muss eigentlich immer der Käufer oder der Verkäufer bei einer Transaktion einen gewissen Informationsvorsprung haben, weil sonst der Kauf gar nicht zustande käme. Es würde ja niemand eine Aktie kaufen, von der er genau wüsste, dass sie am nächsten Tag noch billiger wäre.

Wer völlige Transparenz einem freiheitlichen Rechtstaat fordert, macht sich ohnehin verdächtig. Denn sie führt zu Totalitarismus statt zu mehr Sicherheit – und das kann ja nun wirklich keiner wollen.

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