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(picture alliance) „Wir wurden gerade Zeugen des Zusammenbruchs der deutschen Solarindustrie"

Wirtschaftsweiser - „Solarenergie sollte nicht weiter ausgebaut werden“

Der Wirtschaftsweise Christoph M. Schmidt fordert einen umgehenden Stopp der Solarförderung. Die Politik müsse stärkere Prioritäten bei der Energie setzen, andernfalls drohe ein Risiko der Versorgungssicherheit in Deutschland, sagt er im Cicero-Online-Interview.

Christoph M. Schmidt ist Direktor des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Er ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Enquête-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags

Die Energiewende gehört zu den kompliziertesten politischen und wirtschaftlichen Vorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik – ist da das Scheitern nicht schon programmiert?

Der erste Schritt ist, sich klarzumachen, dass das Ausrufen eines Prozesses nicht mit dem erfolgreichen Abschluss gleichzusetzen ist. Viele gehen zu Unrecht davon aus, dass jetzt schon alles geschafft ist. Die Politik hat aber im vergangenen Jahr lediglich beschlossen, trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie an dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Reduzierung der Treibhausgase festzuhalten.

Deshalb kam nicht die Idee auf, die Kernenergie zum Beispiel durch den Bau von neuen Kohlekraftwerken zu ersetzen. Das reflektierte den Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, ist aber eine Kombination sehr anspruchsvoller Ziele. Das große Missverständnis ist, dass man glaubt, all dies mit dem bestehenden Instrumentarium umsetzen zu können: Der Netzausbau wird ein bisschen erleichtert, die Fördersätze für Solar- und Windenergie werden ein bisschen heruntergesetzt, aber im Grunde genommen können wir so weitermachen wie bisher.

Doch das große Ziel ist, die Energieversorgung komplett auf Erneuerbare Energien ohne Treibhausgasemissionen umzubauen. Höchstwahrscheinlich wäre es sinnvoll, diese beiden Ziele nicht gleichzeitig erreichen zu wollen. Klüger wäre es gewesen, sich erst einmal auf ein Ziel zu konzentrieren: die Treibhausgase zu reduzieren.

Das will die Bundesregierung ja durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien erreichen. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie steht ja der einzige konventionelle, klimaneutrale Energieträger nicht mehr zur Verfügung.

Es gibt unterschiedliche Wege für den Umbau: Wir können bessere Technologien bei der Verfeuerung fossiler Energie einsetzen, wir können der Industrie Quoten bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien vorschreiben, den Energieunternehmen allerdings die Wahl lassen, mit welcher Technik sie das erreichen wollen, so dass ein Wettbewerb um die effektivsten und günstigsten Technologien entstehen würde.

Wir haben mit dem Emissionshandel ein gutes System, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, auch wenn man es sicherlich noch verbessern könnte: Es belohnt diejenigen, die Treibhausgase einsparen, und erhöht die Kosten für alle, die Treibhausgase erzeugen.

Aber die Politik meint, mehr eingreifen zu müssen. Beispielsweise fördert sie explizit bestimmte Technologien. In der Folge geht es vielen Investoren nicht mehr darum, möglichst günstig sauberen Strom herzustellen, sondern möglichst hohe Subventionsgewinne zu erzielen. Nur das erklärt den Boom der Solarenergie in Deutschland. Wir sind das Land mit der höchsten Produktion von Solarenergie in Europa, allerdings bei weitem nicht das mit den meisten Sonnenstunden.

Im trüben Deutschland wird mehr Solarenergie erzeugt als in ganz Südeuropa, wo Solarenergie wirtschaftlich mehr Sinn macht als bei uns. Und da sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass Deutschland künftig als Produzent von Solarzellen keine große Rolle mehr spielen wird, gibt es auch keine industriepolitischen Effekte. Wir wurden gerade Zeugen des Zusammenbruchs der deutschen Solarindustrie trotz Subventionen im dreistelligen Milliardenbereich.

Und der von Deutschland eingeschlagene Weg ist auch sehr teuer. In den kommenden Jahren werden die Strompreise stark steigen.

Der Ausbau der Kapazitäten der Erneuerbaren Energien ist teuer. Weil Sonne und Wind sehr unzuverlässige Energielieferanten sind, müssen konventionelle Kraftwerke bereitstehen, um die Lücken zu füllen. Diese Reservekraftwerke werden aber nur betrieben, wenn es sich lohnt. Das kann über einen hohen Strompreis geschehen oder über Bereitstellungsprämien - beides wird die Bürger sehr viel Geld kosten.

Das alles bedeutet: Wir entfernen uns vom Markt, von der Möglichkeit der Unternehmen, individuelle Investitionsentscheidungen zu treffen, und gehen im Energiesektor noch weiter in Richtung Planwirtschaft. Hinzu kommen die Kosten zur Integration der Erneuerbaren ins Netz: Wir brauchen Pumpspeicher und davon mehr, als in Deutschland gebaut werden können.

Das Netzt muss intelligenter werden, und der Windstrom muss von der Küste nach NRW, Bayern und Baden-Württemberg gebracht werden, wo die Industrie sitzt, die den Strom abnimmt. Auch das wird viele Milliarden kosten. Und auch die wird jemand bezahlen müssen, die Steuerzahler und die Stromkunden.

Im Moment konzentriert sich die Diskussion darauf, wie wir schnell die Erneuerbaren ausbauen. Aber das bringt nichts, wenn die so erzeugte Energie nicht ins Netz kommt. Jetzt sollten die Netze aus- und umgebaut werden und weiter an Erneuerbaren Energien geforscht werden.

Vielleicht haben wir ja in ein paar Jahren viel bessere und effektivere Möglichkeiten. Vor allem der Ausbau der Solarenergie ist teuer und schafft soziale Ungerechtigkeiten: Es entstehen Milliardenkosten, die von allen Stromkunden bezahlt werden und von denen vor allem die Immobilienbesitzer profitieren, auf deren Dächern die Anlagen installiert sind.

Die Menschen sind zwar bereit, für sauberen Strom mehr zu zahlen. Aber die Bereitschaft, diese Mehrkosten zu tragen, kommt an ihre Grenzen. Solarenergie in Deutschland sollte deshalb nicht weiter ausgebaut werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz muss reformiert werden. Es schafft die falschen Anreize, kostet sehr viel Geld und bringt uns dem Ziel der  Reduzierung von Treibhausgasen nicht viel näher. Wir haben mit dem Klimawandel ein globales Problem, das wir nicht national oder gar regional lösen können.

Droht ein Risiko in der Versorgungssicherheit?

Seit den 80er Jahren galt ja das Paradigma von Fritjof Capra, “Global denken, lokal handeln.”

 Das klingt schön, wird aber bei der Reduzierung der Treibhausgase und dem Klimawandel wenig bringen. Wir geben sehr viel Geld für sehr geringe Effekte aus: Für über 100 Milliarden Euro zukünftige Kosten erzeugen wir jetzt drei Prozent des Stroms in Deutschland durch Sonnenenergie. Im Vergleich zum Verbrauch von Kohle in Ländern wie Indien oder China ist das absolut unbedeutend. Da Klimawandel ein globales Problem ist, müssen wir dort ansetzen.

China und Indien sind Länder mit einem starken Wirtschaftswachstum und einem hohen Energieverbrauch.

Und die Menschen in diesen Ländern sind nach wie vor bedeutend ärmer als die in reichen Industrienationen wie Deutschland, den USA oder Japan. Bei uns gewinnen langsam Werte wie mehr Entspannung, Erfüllung bei der Arbeit oder Zeit für die Kindererziehung an Bedeutung.

Eine ausgeglichene Work-Life Balance ist nicht der größte Wunsch der meisten Chinesen.

Nein, in diesen Ländern wollen die Menschen möglichst schnell den Wohlstand des Westens erreichen. Wir haben moralisch keine Grundlage, ihnen das zu verwehren. Sie wollen auch Wohnungen mit Badezimmern, moderne Kleidung, Autos, Fernseher und Computer. Der Westen hat sein Wachstum über 100 Jahre lang mit einem Raubbau natürlicher Ressourcen erreicht.

Noch immer ist der Energieverbrauch eines Deutschen, US-Amerikaners oder Franzosen um ein Vielfaches höher als der eines Inders oder eines Chinesen. Wir sind, was den Klimawandel betrifft, diesen Ländern gegenüber in einer Bringschuld. Und wenn wir effektiv gegen den Klimawandel vorgehen wollen, müssen wir Länder wie China und Indien, aber auch die Dritte Welt dabei unterstützen, verantwortungsvoll mit Energie umzugehen. Das ist außerdem, was den Klimaschutz betrifft, am effektivsten.

Cicero: Mehr Klimaschutz für weniger Geld?

Schmidt: Ja. Wir können in Deutschland Milliarden dafür ausgeben unsere ohnehin gut isolierten Häuser noch ein wenig besser zu isolieren. Wir können Milliarden für Solarzellen ausgeben, die nur einen geringen Anteil an unserer Stromversorgung haben. Alles, was wir tun, hat im globalen Maßstab – und der Klimawandel ist eine globale Herausforderung – kaum Auswirkungen.

Für zehn Dollar kann man einer afrikanischen Familie einen kleine Kohleofen zur Verfügung stellen. Dieser spart, im Vergleich zu Holz, 40 Prozent der Energie. Die Menschen müssen dann auch nicht mehr stundenlang Holz sammeln und die Wälder roden. Und sie leben nicht mehr in Hütten voller Rauch, der sie krank macht. Wir können Solarzellen und kleine Akkus nach Afrika liefern, damit die Menschen dort Strom haben.

Kinder können dann noch nach Einbruch der Dunkelheit lesen und Schulaufgaben machen - und es wird am Äquator sehr früh dunkel. Wir könnten in Schwellenländern effektiver Kraftwerke bauen. Das alles würde sehr viel mehr Treibhausgase einsparen als das, was im Moment in Deutschland getan wird. Langfristig brauchen wir internationale Abkommen gegen den Klimawandel.

Aber diese sind im Augenblick nicht realistisch. Also müssen die Industrieländer voran gehen. Das sollten sie so effizient tun, wie es nur geht. In Deutschland sehr rasch die gesamte Energieversorgung umzubauen, ist ein sehr riskanter Prozess.  

Hohe Energiepreise sind ein Standortrisiko.

Sie sind ein großes Standortrisiko. Und das sollte man nicht ohne Not eingehen. Im Moment besteht die Gefahr, dass Deutschland durch den überhasteten Umbau seiner Energieversorgung seine Versorgungssicherheit riskiert und gleichzeitig über sehr hohe Energiepreise seine Industrie gefährdet. All das wird dem Klima kaum nutzen und birgt hohe Risiken.

Das Interview führte Stefan Laurin. Fotos: picture alliance

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