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(picture alliance (Bildmontage: CICERO)) Martin Walser, Oskar Lafontaine und Sascha Lobo über das Raubtier Kapitalismus

Promis zur Krise - Schluss mit dem Kapitalismus-Bashing

Wie bedrohlich ist die Finanzkrise für unsere Demokratie? Für die Oktober-Ausgabe fragte das Magazin CICERO 50 Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Lesen Sie, wie Richard David Precht, Hans-Jochen Vogel, Martin Walser und andere die Situation einschätzen.

„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?

John Kornblum, Diplomat

Regeln ändern

Langsam werden wir vernünftiger, aber gerade am Anfang der jetzigen Krise war die Reaktion überstürzt. Es gab zwei Feinde: die Spekulanten – die es nicht gibt. Und die Hedge-Fonds, die es gibt. Aber weder die einen noch die anderen sind es, die dem Euro Schwierigkeiten machen. Es sind ganz biedere, konservative Pensionskassen, die so viel Rendite haben wollen, wie es geht. Ihre Investoren sind Rentner oder Menschen, die einmal in Rente gehen wollen.

Der Unterschied liegt darin, dass die Trader dieser Pensionskassen heute anders als vor 20 Jahren in Bruchteilen von Sekunden Hunderte von Milliarden hin und her schieben. Das macht es fast unmöglich für eine Finanzpolitik, die auf einem festen Vertrag und festen Regeln gründet – wie das die Politik der Euroländer tut –, damit umzugehen. Das System des Euro ist für die Vergangenheit entworfen worden. Die Europäer müssen ihre Regeln ändern. Das Ziel muss lauten, ein System zu schaffen, das den neuen Anforderungen angepasst ist, damit die Fonds die Anleihen kaufen und nicht ständig versuchen, in Sekundenbruchteilen mehr Rendite rauszuholen. Es muss Stabilität in die Lage gebracht werden.

Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten für den Euro: Entweder man bildet eine richtige Transferunion. Oder einige Staaten müssen den Euro verlassen. Eurobonds und so weiter – das wird alles nicht helfen. Viele in Deutschland glauben immer noch, dass es sich um ein finanztechnisches Problem handele. Ist es aber nicht. Es ist ein tiefes strukturelles Problem der europäischen Volkswirtschaft.

Oskar Lafontaine, Bundesminister a. D., Die Linke

Drei-Sechs-Drei

Wir leben in einer Diktatur der Finanzmärkte. Nur eine durchgreifende öffentlich rechtliche Organisation des Bankensektors beendet die Herrschaft der Finanzindustrie über die Politik. Wie die Landesbanken gezeigt haben, müssen die Zockerei und der Handel mit Giftpapieren verboten werden.

Für alle Bankenvorstände gilt die Drei-Sechs-Drei-Regel: Sie sollten das Geld der Sparer für 3 Prozent einsammeln, es für 6 Prozent an Investoren und Konsumenten ausleihen und um 3 Uhr Golf spielen gehen.

Sascha Lobo, Autor und Blogger

Demokratie bedroht

Da ich selbst bedrückend wenig Ahnung von Finanzmärkten habe, habe ich mir die Meinung von Experten geborgt, denen ich vertraue. Unter denen herrscht der schmerzhafte Konsens, dass in der Tat Wohlstand und Demokratie bedroht sind. Ihren Forderungen möchte ich mich anschließen: bis zum Beweis eines Gegenteils dürfte eine Transaktionssteuer mehr nützen als Schaden anrichten. Wichtig ist aber meiner Meinung nach, deutlich zu trennen zwischen Unternehmen und ihren Finanzmarktbedürfnissen und ihrem hauptberuflichen Spekulantentum.

Als zusätzlich notwendig für eine gerechtere Gesellschaft – und hier habe ich sogar eine eigene Expertenmeinung – sehe ich Bildung und Internet, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit international und ein wesentlich entschiedeneres Eintreten für eine offene, tolerante und progressive Demokratie. Sonst kann man es auch gleich lassen.

 

Die Umfrage mit weiteren Antworten lesen Sie in der Oktober-Ausgabe des Magazins CICERO. Dort finden Sie auch Texte von Colin Crouch, Carl Christian von Weizsäcker oder Hamed Abdel-Samad. Jetzt am Kiosk oder hier bestellen.

 

Harald Martenstein, Kolumnist

Bashing reicht nicht

Zur Schaffung von Wohlstand und Demokratie haben die Finanzmärkte auch einiges beigetragen, oder etwa nicht? Der Kapitalismus ist ja nicht gänzlich erfolglos gewesen, vor allem, wenn man ihn mit dem Staatssozialismus vergleicht. Gegen eine stärkere Regulierung der Märkte ist nichts einzuwenden,  aber gegen das modische Kapitalismus-Bashing, vor allem in den reichen kapitalistischen Ländern, ließe sich auch einiges sagen. Die Krise hängt unter anderem ein wenig mit der Staatsverschuldung zusammen, vergessen wir das mal nicht.

Mainhardt Graf Nayhauß, Bild-Kolumnist

Keine Angst

Die Bundesrepublik ist stark genug, um mit der Bedrohung, die von den Finanzmärkten ausgeht, umzugehen. Ängste sind zu beschwichtigen, nicht zu schüren. Das gilt vor allem für Opposition und Medien! Wenn der Eurokurs nach Rücktritt von EZB-Chefvolkswirt Stark vorübergehend um etwa ein Prozent auf 1,37 Dollar „absackt“ (FAZ) – na und? Wo bleibt der Hinweis, dass wir einst 4,20 DM für einen Dollar zahlten! Vorbildlich ein ganzseitiges Waigel-Porträt in der Süddeutschen Zeitung, in dem er versuchte, „etwas Gelassenheit in diese sterile Aufgeregtheit zu bringen“. Ich vertraue auch Schäuble („Unsere Währung ist sicher“). Als er noch nicht im Rollstuhl saß, wurden wir beide beim Skilaufen am Arlberg in 2.000 Meter Höhe von dichtem Schneetreiben überrascht. Er: „Bleiben Sie hinter mir! Ich bring‘ uns sicher runter ins Hotel.“ So geschehen.

 

Richard David Precht, Philosoph

Staat im Staate

Die ungeheure Macht der Banken und die Systemgesetze der Finanzwirtschaft widersprechen der Vorstellung von der Souveränität der Bürger und reduzieren die Handlungsmacht der demokratischen Staaten. Sie sind ein Staat im Staate, wenn nicht präziser gesagt: ein Staat über den Staaten. Dieser Staat ist weder demokratisch legitimiert noch am Gemeinwohl interessiert noch solidarisch noch verantwortungsbewusst. Deshalb müssen die Finanzmärkte zwingend stärker kontrolliert werden.

Gefordert sind deshalb: Die strikte Trennung von Investment-Banking und Geschäftsbanken. Die Zahlung von „Versicherungsgebühren“ systemrelevanter Banken an den Staat als Rücklage für den Fall der Insolvenz. Das Verbot von Hedgefonds, Leerverkäufen und Derivaten. Die stärkere Haftung der Aktionäre bei Insolvenzen. Und das Verbot der Veröffentlichung von Quartalsberichten der Banken und Unternehmen, um kurzfristige Spekulationen zu unterbinden

Diese Forderungen widersprechen zwar den kurzfristigen Interessen vieler Banken, dienen aber letztlich deren wohlverstandenem, langfristigen Eigeninteresse.

Gunther Thielen, Vorsitzender des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung

Alle vernetzen

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat gezeigt, dass unsere Ökonomien global verflochten sind und sich alle Entwicklungen auch national auswirken. Dass die Folgen alle Menschen erreichen, aber die Verantwortung nur in den Händen von wenigen liegt, ist nicht akzeptabel. Eine globale Ökonomie braucht globale Regeln und verlässliche Strukturen.

Die bestehenden Organisationen und Gremien binden zu wenige Akteure ein oder sind der Dynamik nicht mehr gewachsen. Wir brauchen eine konsensorientierte Ordnungspolitik ohne die Dominanz einzelner Akteure, ganz gleich ob aus der Wirtschaft oder der Politik. Eine solche globale Lenkung steht für die Kooperation staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen.

Verabschieden müssen wir uns von der Vorstellung, alle Kräfte in einer Organisation bündeln zu können. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, alle zu vernetzen.

 

Bernhard Vogel, Ministerpräsident a. D., CDU

Bessere Spielregeln

Unregulierte Finanzmärkte gefährden Wohlstand und Demokratie. Das Beispiel der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 ist dafür bleibende Warnung: Der Zusammenbruch der Börsen und die damit einhergehende Massenarbeitslosigkeit hatten auch für die Weimarer Demokratie verheerende Folgen. Deshalb stellt die heutige Nervosität der Börsen die Politik vor eine große Gestaltungsaufgabe. Sie muss für die Finanzmärkte bessere Spielregeln finden – und das in einem internationalen Rahmen. Die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft sind dafür eine gute Grundlage: der Bankensektor muss sich auf seine, den Menschen und den Unternehmen dienende Funktion besinnen; das Haftungsprinzip muss wieder gelten, indem Banken riskante Geschäfte mit genügend eigenem Kapital unterlegen. Auch der Staat muss seinen Beitrag leisten: Solide Staatsfinanzen und eine stabilitätsorientierte Geldpolitik beruhigen die Finanzmärkte.

 

Hans-Jochen Vogel, Bundesminister a. D., SPD

Mehr Kontrollen

Ja. In dieser Auffassung bin ich zunächst durch die Finanzmarktkrise und die Reaktion der Finanzmärkte auf die Verschuldungskrise der USA und einzelner Euro-Länder noch bestärkt worden. Wurde dadurch doch für jedermann sichtbar, dass wesentliche Entscheidungen nicht von der Politik, sondern von den Finanzmarkt-Mächtigen – etwa von den Ratingagenturen – getroffen werden. Für diese Entscheidungen war stets die höchstmögliche Gewinnmaximierung, nicht das Gemeinwohl maßgebend. Um diese Entwicklung zu stoppen, bedarf es stärkerer politischer Regulierungen und Kontrollen, und zwar insbesondere auf europäischer und auf globaler Ebene. Dazu gehören eine höhere Eigenkapitalpflicht der Banken, eine Regulierung des Ratingwesens, eine Finanztransaktionssteuer und europäische Maßnahmen zur Schuldenbegrenzung. Und außerdem muss das Scheitern des Euro verhindert werden. Meine persönliche Vision bleiben die Vereinigten Staaten von Europa, von denen meine Partei schon in ihrem Heidelberger Grundsatzprogramm 1925 gesprochen hat.

 

Martin Walser, Schriftsteller

Woher dieser Missmut?

Wir haben miterlebt, wie ein George Soros durch das Fehlen jeder Regulierung ganze Volkswirtschaften mit seinen Spekulationen an den Rand des Ruins gebracht hat. Seit er die Milliarden hat, tritt er heftig für Regulierung ein. Früher hieß das: Junge Huren werden alte Nonnen. Dass Leerverkäufe verboten werden müssen, bestreitet heute niemand mehr. Bei der Transaktionssteuer ist das, weil sie offenbar nicht international durchsetzbar ist, nicht so einfach. Aber wir haben das Glück, immer gute Finanzminister zu haben, von Weigel über Steinbrück zu Schäuble. Als 2008 die von leichtsinnigen Banken aus den USA importierte Finanzkrise bedrohlich aussah, haben Merkel und Steinbrück eine Garantieerklärung für Spareinlagen gegeben. Im Herbst 2008 dann das „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“.

So ist Deutschland dank politischer Führung aus dem Debakel besser hervorgekommen als jedes andere Land. Und was melden unsere Dauerumfrager: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung trauen den deutschen Parteien die Lösung unserer Finanzprobleme nicht zu. Dann müssten 60 bis 70 Prozent besser wissen, was zu tun ist, als jetzt beispielsweise Schäuble. Ich weiß es nicht besser. Woher dieses 60- bis 70-prozentige  Misstrauen? Es könnte an der Information liegen, mit der wir versorgt werden. Als Journalist ist man offenbar darauf angewiesen, andauernd das Schlimmste zu befürchten. Das sagt man dann weiter. Dann wird umgefragt. Dann erfährt man, bei wie viel Prozent das Befürchten angekommen ist. Der Missmut der Bevölkerung, sagen die Umfrager, könne sich bald auf die Wahlbeteiligung auswirken. Und das bei sinkenden Arbeitslosenzahlen und steigendem Sozialprodukt. Das kann doch nur heißen: die Journalisten können den Leuten unsere erstaunlich gute Lage nicht vermitteln. Es gehört zu ihrem Beruf, dass sie lieber Sturmwarnung geben als Gutwetterbericht. Die Bevölkerung aber nimmt die berufsbedingte Stimmung für bare Münze und reagiert sauer. Schäuble und Jean-Claude Trichet verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Die Medien sind der Stammtisch der Nation. Das sollten sie in ihrer Selbsterregungspraxis bedenken.

Fotos: picture alliance

Die Umfrage mit weiteren Antworten lesen Sie in der Oktober-Ausgabe des Magazins CICERO. Dort finden Sie auch Texte von Colin Crouch, Carl Christian von Weizsäcker oder Hamed Abdel-Samad. Jetzt am Kiosk oder hier bestellen.

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