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Mindestlohn - Keine Gefahr für den Arbeitsmarkt

Der Mindestlohn gefährdet keineswegs den Arbeitsmarkt, sagt der Wirtschaftsexperte Gustav Horn. Es sei Zeit, die Brille ökonomischer Dogmatik abzulegen

Autoreninfo

Gustav Horn ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Er lehrt an den Universitäten Flensburg und Duisburg-Essen

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Nun geht es also wieder los. Nachdem für einige Zeit Ruhe in die Debatte um Mindestlöhne eingekehrt war, ist mit den Koalitionsverhandlungen, bei denen sich zumindest die SPD ernsthaft bemüht, einen allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn durchzusetzen, der Streit um dessen Nützlichkeit neu entbrannt. Da werden ältere Untersuchungen wieder herausgekramt und steif und fest behauptet, ein Mindestlohn koste in Deutschland eine Unzahl an Arbeitsplätzen.

Gefahr für den Arbeitsmarkt?
 

Bei Ökonomen ist es immer wichtig, sich die Brille, sprich die Modelle, anzuschauen, durch die sie auf die Welt blicken. Denn nur dann vermag man selbst zu erkennen, was sie zu sehen vermeinen. Beginnen wir mit den Modellen, die Arbeitsplatzgefahren befürchten. Durch die hier verwendete Brille erscheint der Arbeitsmarkt als ein wohlgestaltetes Phänomen, bei dem jeder, der Arbeit sucht, diese früher oder später findet, vorausgesetzt, er findet sich mit dem Lohn ab, der ihm von Arbeitgebern angeboten wird. Dann ist alles gut. Im Umkehrschluss heißt dies, jeder Lohn, der gezahlt wird, reflektiert die optimalen Marktverhältnisse, bei dem jeder Beschäftigung finden kann. Niedrige Löhne sind in dieser Sichtweise Ausdruck eines hohen Angebots an Arbeitskräften oder deren geringere Qualifikation, die keine für das Unternehmen rentable höhere Bezahlung zulässt. Es ist offenkundig, dass jeder Eingriff in so gesehene Marktverhältnisse das Ergebnis nur verschlechtern kann. Mit anderen Worten: Jeder gesetzliche Mindestlohn erzeugt in Abhängigkeit von seiner Höhe Arbeitslosigkeit.

Mindestlohn steigert gesamtwirtschaftliche Nachfrage
 

Es gibt andere Brillen, die zeigen ihren Trägern einen Arbeitsmarkt, der nicht so wohlgestaltet ist. In dieser Sicht gibt es ein störendes Phänomen und das heißt Marktmacht. Diese drückt sich darin aus, dass der Machthaber in der Lage ist, Marktpreise nach seinem Gutdünken festzusetzen. Auf den Arbeitsmarkt übertragen, heißt dies, Unternehmen können in Bereichen mit schwacher oder schlicht nicht vorhandener gewerkschaftlicher Organisation und in denen die Qualifikationsanforderungen nicht allzu hoch sind, die Löhne sehr weit nach unten drücken. Schließlich sind in solchen Fällen die Arbeitnehmer stärker auf die Beschäftigung angewiesen als das Unternehmen auf den einzelnen Arbeitnehmer. In diesem Umfeld, das in Deutschland vor allem im Osten und dort im Dienstleistungsbereich anzutreffen ist, sind Mindestlöhne hilfreich. Sie erhöhen die Einkommen der Beschäftigten und schaffen damit vermehrte Anreize zur Arbeitsaufnahme. Insgesamt steigen gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Beschäftigung durch die Einführung eines Mindestlohns an.

Kein Beschäftigungseffekt durch Mindestlöhne
 

Es gibt noch eine dritte Gruppe von Ökonomen, die empfehlen, alle Brillen beiseite zu legen, stattdessen eine Lupe in die Hand zu nehmen und ergebnisoffen zu untersuchen, ob dort, wo Mindestlöhne eingeführt oder erhöht wurden, negative Beschäftigungseffekte zu verzeichnen sind. Solche Studien gibt es für die USA, Großbritannien und auf Branchenebene auch für Deutschland. Sie haben in der Tendenz alle ein Ergebnis: Es gibt keine nennenswerten Beschäftigungseffekte durch Mindestlöhne, weder positiv noch negativ. Zugleich werden die Einkommen der Niedrigverdiener erhöht, die Preise steigen leicht und die Gewinne gehen etwas zurück. Das ist insgesamt kein schlechtes Ergebnis für eine einzelne wirtschaftspolitische Maßnahme. Es lohnt sich also, die Brille ökonomischer Dogmatik einmal abzulegen und einen möglichst unverstellten Blick auf die Wirklichkeit zu werfen.

 

 

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