Klärschlamm statt Klausurtagung

Mit 28 Jahren wurde sie Schulleiterin, mit 34 Vorstandssprecherin der Grünen. Nach vier turbulenten Jahren an der Parteispitze wechselte die Sonderpädagogin in die Wirtschaft.

Alles meins“, sagt Gunda Röstel und lacht. Natürlich stimmt das nicht, und dies weiß die 44-Jährige auch. Aber wenn sie oben auf dem Balkon der Zentralen Warte stehe und all die Pumpen und Maschinen, Kanäle und Klärbecken sehe, erzählt sie, dann komme ihr schon mal dieser Gedanke. Alles meins. Immerhin ist Gunda Röstel hier die Chefin, verantwortlich für 400 Beschäftigte, 75 Millionen Euro Jahresumsatz und eine ordentliche Rendite. Und sie ist verantwortlich dafür, dass jährlich 60 Millionen Kubikmeter Kloake als sauberes Wasser wieder in die Elbe fließen. Denn seit zwei Jahren ist Gunda Röstel die Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden. Ein ungewöhnlicher Job für eine ehemalige Spitzenpolitikerin.
Vier Jahre lang war Gunda Röstel zuvor Sprecherin der Grünen, als Quotenossi in der Westpartei und als Quotenfrau unter Politmachos. Sie verhandelte 1998 den rot-grünen Koalitionsvertrag und warb 2000 an der grünen Basis für den umstrittenen Atomkonsens. Dann war Schluss. Entnervt von innergrünen Intrigen gab Gunda Röstel auf. Anschließend ließ sie sich jedoch nicht mit einem Job in der parteinahen Stiftung versorgen. Auch in ihren alten Beruf als Direktorin einer Sonderschule im sächsischen Flöha kehrte sie nicht zurück. „Das wäre für mich keine Herausforderung mehr gewesen“, sagt sie. Schule aus, Parteipolitik ade. Gunda Röstel entschied sich für ein drittes Leben und ging in die Privatwirtschaft.
Es war schon eine ziemliche Überraschung, als die einstige Lehrerin und ehemalige Parteisprecherin im Herbst 2000 als Projektentwicklerin bei der Gelsenwasser AG einstieg. Deutschlands größter privater Wasserkonzern gehörte damals noch zum E.ON-Konzern, inzwischen jedoch ist er im Besitz der Stadtwerke Dortmund und Bochum. Als Prokuristin kümmerte sich Gunda Röstel fortan vor allem um die Akquise von Unternehmen in Ostdeutschland sowie um Kontakte zu Politik und Verbänden. „Mutig“ war der „Seitenwechsel“, das weiß sie, aber er habe sich gelohnt. Inzwischen ist Gunda Röstel weit mehr als eine reine Lobbyistin. Seit Gelsenwasser für 165 Millionen Euro 49 Prozent der Dresdener Stadtentwässerung erworben hat, trägt sie dort zusätzlich die Verantwortung als kaufmännische Geschäftsführerin.
Am Stadtrand von Dresden sitzt Gunda Röstel in ihrem Büro. Sie trägt einen grauen Hosenanzug und einen pinkfarbenen Rollkragenpullover. Sie spricht routiniert über Faulungsanlagen und Klärschlamm, über Investitionsquoten und über Finanzierungsmodelle wie Public-Private-Partnership. Doch Gunda Röstel sieht müde aus. Eine Aufsichtsratssitzung steht kurz bevor, die Zahlen müssen stimmen, die Vorlagen vollständig sein. „Da bin ich pingelig“, sagt sie und macht ein Gesicht wie drei bevorstehende Nachtschichten. Aber als die Ex-Politikerin die Frage beantworten soll, ob sie den neuen Job genießt, antwortet sie schnell mit „ja“ und strahlt. Keine bremsende Basis mehr, keine Endlosdebatten und auch keine vertagten Entscheidungen. „Wir müssen die Probleme anpacken“, sagt sie, „aussitzen geht nicht, sonst bin ich weg.“ Gunda Röstel schätzt ihre neuen Freiheiten und sagt stolz: „Ich bin gerne die Entscheiderin.“
Von der Politik jedoch kann Gunda Röstel dennoch nicht so richtig lassen. Vor allem deshalb, weil ihr Job alles andere als unpolitisch ist. „Wasser ist ein weltweites Topthema“, sagt sie. Neben dem Stopp des Klimawandels stehe die Lösung der Wasserkrise ganz oben auf der internationalen Agenda. „1,2 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Trinkwasser“, doziert sie, für doppelt so viele gebe es keine Abwasser-entsorgung. Die Vereinten Nationen wollen diese Zahlen bis zum Jahr 2015 halbieren. Gunda Röstel ist stolz darauf, dass die Gelsenwasser-Gruppe ihren Teil dazu beitragen kann, etwa mit dem Export von Know-how und Dienstleistungen. In Kasachstan ist der Wasserkonzern schon aktiv, in der Türkei und auch im Kosovo.
Aber Trink- und Abwasser sind nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland Wachstumsmärkte. Es gibt über 14000 meist kommunale Unternehmen. Überall, wo diese privatisiert werden sollen, stoßen Investoren auf großes Misstrauen und vehemente Proteste. Für viele Betroffene ist die Wasserversorgung eine elementare Daseinsvorsorge, die nicht privatisiert werden dürfe. Die Diskussionen in den Kommunen werden leidenschaftlich geführt. Auf zahllosen Bürgerversammlungen und Stadtratssitzungen hat Gunda Röstel gegen Misstrauen angekämpft, sie hat stabile Preise versprochen und höchste ökologische Standards. Kommunikation sei wichtig in ihrem Job, sagt Gunda Röstel und sie weiß, dass dies eine ihrer Stärken ist. Nicht nur entscheiden kann sie, sondern auch überzeugen. Das hat sie in der Politik gelernt.

Christoph Seils ist Politologe und arbeitet in Berlin als freier Journalist. Er schreibt für überregionale Tages- und Wochenzeitungen über bundespolitische Themen

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