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(picture alliance) Beim Essen und auch in der Politik gilt: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“

Freitagskolumne - Keine Kompromisse mehr

Über schlechte Bewertungen guter Restaurants ärgert sich unser Kolumnist Til Knipper und findet, dass man Restaurantkritiken und auch das Amt des Bundespräsidenten Profis überlassen sollte. Knipper erklärt, warum uns das Internet verweichlicht und der Euro darunter zu leiden hat

Kennen Sie Leute, die in Restaurants sitzen und mit dem Handy das Essen fotografieren, die Zeit zwischen Bestellen und Servieren stoppen und aufzeichnen, ob der Kellner sich für den Nachbartisch mehr Zeit nimmt als für den eigenen? Kennen Sie nicht, sehr gut, sonst müsste ich Sie an dieser Stelle aus der Kolumne herausschmeißen, weil ich keine Leser dulde, die mit solchen Leuten Kontakt haben.

Diese Leute sind nämlich dieselben, die 45 Minuten nach Verlassen des Restaurants auf Internetdiensten wie restaurantkritik.de oder qype.com Noten verteilen und Sätze schreiben wie: „Ich habe den Eindruck, dass Freunde dort besser behandelt werden als der normale Gast.“ Dass sie mit dieser Formulierung gleich die Begründung dafür mitliefern, warum sie keine Freunde haben, merken sie nicht einmal. Wer möchte schon mit jemandem befreundet sein, der einen behandelt, wie alle anderen? Aber jetzt drohe ich in diesen Wulff-Duktus zu verfallen und darum soll es hier heute ausnahmsweise mal gar nicht gehen.

Es geht mir eher darum, dass man gewisse Dinge, u.a. Restaurantkritiken oder auch das Amt des Bundespräsidenten Profis überlassen sollte. Denn der Hinweis, dass das „Steak zu teuer“ sei , hilft in der Regel wenig, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass es sich um ein Stück Filet handelte, das der selbsternannte Internet-Gourmet-Kritiker offenbar nicht voneinander unterscheiden konnte. Auch wenn 250 Qype-User einem Restaurant im Durchschnitt 4,5 Sterne gegeben haben, hilft das mir bei der Restaurantauswahl nur selten, weil die Erfahrung lehrt, dass hohe Noten vor allem solche Restaurants bekommen, die billig und gewöhnlich und durchschnittlich sind.

Professionelle Kritiker geben natürlich häufig auch ein hoffnungslos subjektives Urteil ab, aber man kann sich besser darauf einstellen, weil sie es nicht anonym im Internet machen oder hinter einer Durchschnittswertung verschwinden. Beispielsweise gibt es bei einer öffentlich-rechtlichen Radiostation hier in Berlin einen Kinokritiker, der den unprätentiösen Titel "Kino King Knut" trägt. Ich fahre jetzt schon seit Jahren gut mit der Taktik, ausschließlich Filme zu sehen, die der König zerreißt. Unsere Filmgeschmäcker unterscheiden sich einfach diametral voneinander.

Ich will damit gar nicht bestreiten, dass so etwas nicht auch im Internet funktionieren kann, aber dadurch, dass es im Grunde keine Eintrittshürde gibt, hier seine Meinung zu publizieren, sind auf den entsprechenden Portalen schon häufiger etwas schwierige Personen unterwegs. Oder finden Sie es normal, wenn sich wegen eines Bankwerbespots, in dem der Basketballer Dirk Nowitzki bei einem Metzger eine Wurstscheibe isst, Fleischliebhaber und Vegetarier eine Kommentar-Schlacht auf der Facebookseite der ING Diba liefern?

Ist Ihnen egal? Sie gehen eh nicht mehr ins Kino, nutzen kein Facebook mehr und wissen, welche Restaurants gut sind?

Man kann das Thema ja auch noch auf eine höhere Ebene hieven. Es gibt, und das wird durch das Internet gefördert, eine immer stärkere Tendenz zu mehr Kompromissen, mehr Bürgerbeteiligung, weniger Führung und weniger Mut, für etwas persönlich einzustehen. In 95 Prozent der Fälle geht es gut, wenn man sich bei widerstreitenden Interessen irgendwo in der Mitte einigt, einen Kompromiss schließt. Aber es gibt auch Situationen, in denen das nicht funktioniert: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“, heißt das Sprichwort. Und bei der Diskussion um den Euro und die Zukunft der Gemeinschaftswährung sind wir längst an diesem Punkt angelangt. Oder anders gesagt: Es wäre schön, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel eine klare Linie vorgäbe und nicht, wie es seit zwei Jahren der Fall ist, im Kanzleramt sitzt, die Zeit zwischen dem Bestellen und Servieren demoskopischer Umfragen stoppt und aufzeichnet, ob sich der Wähler mit einer anderen Partei mehr beschäftigt als mit ihrer.

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