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Zum Tode von Ludwig Poullain - Kein Banker, sondern ein Bankier

Ludwig Poullain ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Bis zuletzt pflegte er eine liebenswerte altmodische Eleganz, appellierte an die Tugenden des Bankiers und hielt den Euro für einen großen Fehler

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Schon in seinen Anschreiben spiegelte sich all das, was Ludwig Poullain so unwiderstehlich machte: Verve, Witz, Schwung, Freude an der Sprache, ein bisschen Eitelkeit und eine liebenswerte altmodische Eleganz. „Lieber Christoph Schwennicke“ hob die letzte Mail an, die der Bankier aus einer anderen Zeit zu Beginn des vergangenen Jahres schrieb, „ein Glückauf zum Neuen Jahr. Viel Erfolg und ganz viel Freude am Tun! Als ich von der Pariser Posse des unglückseligen Hollande las, habe ich, und dies mir zur Lust, eine Spottschrift geschrieben. Scheinbar nichts Ernsthaftes, und darum für den CICERO einige Klafter zu tief. Aber vielleicht haben Sie einfach nur Freude beim Lesen.“

Das war gekonnt tief gestapelt, denn im Anhang fand sich wieder ein echter Poullain. Im zehnten Jahrzehnt seines Lebens zeigte der frühere Chef der West LB und fulminanter Kritiker des ruchlosen Roulette-Bankings eines Anshu Jain uns Jüngeren, wie man als Autor Elan und Grandezza aufs trefflichste vereint. Wir waren uns im Zuge einer Recherche begegnet. Aus dieser Begegnung hat sich eine zarte, seinerseits beinahe väterliche Freundschaft entwickelt. Mit dem Ergebnis, dass Poullain in den letzten Jahren seines Lebens regelmäßig in CICERO publizierte. Meistens zum moralischen Verfall der Banken, zum Euro, aber eben auch zum liebestollen französischen Staatspräsidenten auf dem Moped. Am Dienstag ist Ludwig Poullain im Alter von 95 Jahren in seinem Haus in Münster gestorben.

Im Gedenken an den Levitenleser der Finanzwelt noch einmal seine Abrechnung mit dem in seinen Augen missratenen Euro. Sie ist immer noch aktuell.  

Schafft den Euro ab!
 

Das Ende des Euro rückt näher. Er treibt die Völker wieder auseinander. Neid, Missgunst, Verachtung, selbst Hass sind wieder lebendig geworden. Ludwig Poullain über Erlebtes und Wahrgenommenes, Gedachtes und Empfundenes und ein hieraus erwachsenes Stoßgebet. Vom 31. Oktober 2012

Ich bin ein Unstudierter. So sehr ich auch in meinem langen Leben akademisches Wissen schmerzlich vermisst habe, in diesen Zeiten bin ich glücklich, in meinem Denken nicht durch Ballast behindert zu sein. Eine solch chaotische Phase wie die jetzige durchlebte die Menschen Mitteleuropas wohl noch nie. Drum kann auch über die Beherrschung einer solchen Krise nichts im Lehrbuch stehen.

Für mich gilt als Gesetzmäßigkeit, dass verschiedenartige Volkswirtschaften nicht unter dem Dach einer gemeinsamen Währung leben können. Also wird der Euro einem ständig wachsenden Druck der sich hieraus entwickelnden zentrifugalen Kräften ausgesetzt sein. Ihm wird er nicht standhalten. Sein Ende rückt näher.

Die These der Kanzlerin, das Scheitern das Euros würde das Ende Europas zur Folge haben, hat sich im Gedächtnis ihres Volkes festgesetzt. Mit der in ihrer so genannten Regierungserklärung eingebundenen Beförderung des Euro vom Zahlungsmittel zum Symbol eines vereinigten Europas hat sie eine weitere Pirouette in ihrer Kunst, Spuren zu verwischen, gedreht. Mich erschreckt, zu welch simplen Tricks sie inzwischen glaubt greifen zu müssen.

Mit der Übermittlung der Nachricht an einen Zahlungsunfähigen, er, sein Gläubiger, würde ihn vor der Insolvenz bewahren, stattet er ihn mit einem unbegrenzten Erpressungspotential aus.  (Schäuble, Minister der Finanzen, Singapur, Oktober 2012: „I think there will be no Staatsbankrott in Greece“) Vor seiner Abreise ist er noch vom Gegenteil ausgegangen. Hierzu passt Peter Sloterdijk: „Prinzipien sind drehbare Geschütze, mit denen man in jede Richtung schießen kann“.

Die aus Abgestellten der EZB, des IWF und der Brüsseler Behörde gebildete Troika hat sich in Athen festgesessen. Ihre Arbeiten werden sie längst abgeschlossen haben, wie auch deren Ergebnisse – sie können nicht anders als schlecht bis verheerend lauten – feststehen dürften. Derweil verkünden ihre Auftraggeber, nicht eher über die nächste Tranche für Griechenland entscheiden zu können, bis ihnen der Bericht der Troika vorliegt. Es liegt nicht an der Postverbindung, dass sie ihn noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Vielmehr werden sie einen ihnen günstig erscheinenden Zeitpunkt abwarten, um der Troika das von ihnen für ihre Zwecke passend gemachte Ergebnis als das Resultat ihrer vor Ort angestellten Recherchen aufzuerlegen. Dieses wird zwar nicht der Wirklichkeit entsprechen, jedoch die Spender legitimieren, den Griechen weiteres Geld zum Versenken zu überweisen.

Ich denke, alle Klarsichtigen dieses Landes wissen, dass Griechenland nie und nimmer die ihm zugeflossenen Hilfsmittel zurückzahlen kann. Zählen die uns Regierenden nicht zu diesem Kreis, oder handeln sie vorsätzlich gegen ihr besseres Wissen? Oder wollen sie sich damit Zeit kaufen, etwa bis zur nächsten Bundestagswahl, auf dass das tumbe Volk nicht vorher durch die Offenbarung effektiver Verluste aus seiner Starre aufgeschreckt wird?

Unsere Gesellschaft ist bequem, sie lässt sich in ihren Lebensgewohnheiten, sei es Alltagstrott oder Highfidelity, nicht stören. Nebenher schleppt sie eine panikartige Angst vor dem Ungewissen mit sich, jedoch ist sie zu feige, ihr zu begegnen. Dies kommt in dem von Allensbach erfragten Umfrageergebnis zum Ausdruck, dass 69 Prozent unserer Bevölkerung nichts von der Staatenschuldenkrise verstehen. Etwa gleich hoch ist der Beliebtheitsgrad der Kanzlerin im Volke. Für mich besteht zwischen beiden Werten ein kausaler Zusammenhang.

Kürzer und präziser als Ökonomen dies vermögen, können Philosophen die Verfassung unseres Kontinents beschreiben. Noch einmal  Peter Sloterdijk: „Die Flutung der Geldmärkte ist erfolgt. Die Entwässerung scheitert wie gewohnt.“ Schon vor dreißig Jahren hat Johannes Groß diesen hohen Pegelstand prophezeit: „Das Hauptproblem der Weltwirtschaft wird der Mangel an Knappheit sein. Den hat die Menschheit noch nie gekannt.“ Die in diesem genialen Gedankensplitter versteckte Warnung hat sie nicht verstehen wollen. Politiker und Notenbänkler haben die hieraus zu ziehende Konsequenz sogar auf den Kopf gestellt. Hieraus, wiederum, haben Finanzjongleure ihren Profit ziehen können.

Womit ich bei der Deutschen Bank angekommen bin. Nach dem Abtritt des Altstars mit dem bodenständigen Namen haben die beiden neuen Hauptdarsteller für ihre Spielzeit ein höheres Kulturniveau angekündigt. Doch spielen sie auch weiterhin dasselbe Stück. Was sollten sie auch schon tun, wenn ihr Repertoire nichts anderes hergibt?

Ich bin ein Kind des Krieges. Gezeugt von einem aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrenden einigermaßen wohlversehrten Frontsoldaten habe ich in dem Weltkrieg, den man den zweiten nennen muss, meinen Teil zur Zerstörung dieser Welt beigetragen. Hierdurch habe ich neben der Schuld, den ich als Deutscher an den an anderen Menschen auch in meinem Namen begangenen Verbrechen mittrage, auch eine ganz individuelle auf mich geladen. Ich werde sie in meinem Leben nicht tilgen können. Schon gar nicht durch Münzen. Im Gegensatz hierzu handeln seit Bestehen der Bundesrepublik unsere Politiker frei nach dem Werbeslogan eines mittelalterlichen Ablasspredigers, wonach die Seele, sobald der Taler im Kasten klingt, aus dem Fegefeuer auf direktem Wege in den Himmel springt. Luther hat den Unseligen davon gejagt. Ich halte Ausschau nach dem Reformator unserer Zeit.

Von außen betrachtet muss sich Deutschland anders ansehen als meine Innenbetrachtung es mir darstellt. Nur so mag ich zu deuten, dass sich von dort aus die Stimmen mehren, die Deutschland auffordern, eine seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Stärke gemäße Führungsrolle zu übernehmen. Wenn wir uns hierzu aufraffen, sollten wir uns zuvor der Büßergewänder entledigen.

Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht Gesetz. Sie steht auch in keinem Verordnungsblatt. Sie ist eine der Philosophie entsprossene Balancierstange, die das Gleichgewicht zwischen Markt und Sozialem halten soll. Der Geist der Sozialen Marktwirtschaft ist schwer erlernbar. Letzthin ist er nur durch Selbsterleben zu verinnerlichen. Frau Dr. Angela Merkel hat die Spanne ihres Lebens, in der der Mensch für die Wahrnehmung und die Verarbeitung des Erkannten weit geöffnet ist, in einer Planwirtschaft verbracht.

Die beiden wortführenden Oppositionsparteien, die Roten und die Grünen, haben sich beim Schuldenmachen zur Rettung der Selbstverschuldeten als kniebeugende Messdiener der Kanzlerin rechtschaffen abgemüht. Nun versuchen sie gar, die Priesterin im überholenden Gehorsam zu überbieten. Frau Merkel tut das ihre, um die CDU im Halblinks zu positionieren. Ich sehe zwischen ihrer Partei und der SPD allenfalls noch partielle Unterschiedlichkeiten. Sie sollten fusionieren. Dann gäbe es auch endlich wieder eine Partei, die sich zu Recht Volkspartei nennen darf.

Alfred Kerr schrieb vor etwa hundert Jahren den auf Kaiser Wilhelm II. gemünzten Vers:

Was man schnell an ihm erkannt
War der Mangel an Verstand.
Sonst besaß er alle Kräfte
Für die Führung der Geschäfte.

Ich finde, dies ist ein zeitloser Reim.

Die Entstehung der griechischen Mythologie ist in Jahreszahlen nicht einzuordnen. Darum ist nicht nachzurechnen, wann Zeus in der Gestalt des Stiers die Jungfrau nach Kreta verschleppte und damit Europa schuf. Seitdem, und diese Zeitspanne umfasst einige tausend Jahre, haben seine Völker ihre Energien daran vertan, sich jedes Stückchen Boden streitig zu machen, sich gegenseitig zu berauben, sich zu bekriegen und Erbfeindschaften zu begründen. Erst das Desaster bis dahin nicht vorstellbaren Ausmaßes vermochte den Völkern den Wahnsinn ihres Tuns zum Bewusstsein zu bringen.

Seit 1945 herrscht Frieden im Zentrum des Kontinents. Die Völker begannen Gefallen daran zu finden, friedlich nebeneinander zu leben, sich aneinander zu gewöhnen und sogar freundschaftliche Gefühle füreinander zu entwickeln. Bis zwei, drei Zauberlehrlinge ihren Geist aus der Flasche ließen und den Euro erfanden. Der treibt nun die Völker wieder auseinander. Längst begraben geglaubte Elemente wie Neid, Missgunst, Verachtung, selbst Hass sind wieder lebendig geworden. Wie wäre es, man würde überhastet geschaffene Gebilde beseitigen, die Völker wieder, ein jedes für sich, gewähren lassen und einfach darauf warten, bis aus ihnen selbst der Wunsch auf Vereinung erwächst? Das mag hundert Jahre währen. Warum auch nicht? Im Verhältnis zu der mehrtausendjährigen kriegerischen Vergangenheit wäre dies für Europa nur ein Wimpernschlag.

Mein Stoßgebet

Nun gebt doch einmal endlich Ruhe, ihr Turboeuropäer, und haltet inne in eurem hektischen Tun. Klettert heraus aus euren Hamsterrädern, legt eure Hände in den Schoß und versucht, euch eures Verstandes zu bedienen! Besinnt euch! Hört damit auf, uns Völkern unser Wesen zu stehlen und uns unserer Gesichter zu berauben!

Wer von euch hat uns, die Menschen des alten Europas, jemals danach gefragt, ob wir ein einziges Volk werden wollen? Nur eure grenzenlose Anmaßung hat euch den verwegenen Gedanken eingeben können, euer Streben gelte auch unserem Ziel. Was wisst ihr schon von uns, derweil ihr uns über die letzten Jahre, in denen wir zunächst fassungslos und dann wie gelähmt zusahen, wie ihr die von euch selbst gezogenen roten Linien immer wieder aufs neue durchbrochen habt, Gesetze missachtetet und dazu, partiell uns, die Deutschen, mit Schulden für Sinnloses überhäuften, immer nur mit dummen Floskeln beseifert habt.

Ich, L.P., Bürger der Bundesrepublik Deutschland, fühle mich von euch hinters Licht geführt. Durch den Grad der Primitivität, mit der ihr dies tut, demütigt und beleidigt ihr mich ständig aufs Neue. Stoppt endlich eure Manöver der Finten und Hintergehungen, spielt uns nicht weiter vor, als hättet ihr allesamt nur ein Ziel. Ein jeder von euch will etwas anderes und dennoch letzthin doch wieder dasselbe: seinen Vorteil. Und dies jeweils auf Kosten und zu Lasten der Nachbarn und öffentlich erklärter Freunde oder/und auch der euch Anvertrauten.

Beendet euer menschenverachtendes Mühen, uns zu einer amorphen Masse zu formen, die alles bereitwillig glauben soll, was ihr Gaukler uns als ernsthafte Kunst darzubieten wagt! Ringt euch nur ein einziges Mal dazu durch, uns Völkern die Wahrheit zu sagen! Stellt euch endlich der Wirklichkeit. Und befreit uns von dem von euch gezeugten unseligen Homunkulus Euro!

Und lasst uns dann in Ruhe!!

Dass das Nachfolgende von mir zitiert wird, ist eine Anmaßung. Doch woher kann ich sonst wohl die Legitimation ableiten, solches, wie geschehen, zu schreiben?

(„Unsere Zeit verehrt die Intellektuellen der Altersklasse Neunzig plus auf dieselbe hingebungsvolle, emotionale Art, mit der in den 1970er Jahren einem John Lennon gehuldigt wurde. Man möchte die Gegenwart von ihnen gelesen bekommen, man möchte, dass sie aus dem Strom der Ereignisse die Zeichen herausfiltern und für uns deuten.“ -Nils Minkbar in der FAZ vom 02.10.2012 zum Tode des britischen Universalhistorikers Eric Hobsbawm)

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