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Jeroen Dijsselbloem - Durch Zufall Eurogruppenchef

Im Poker um Zypern ist Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem eine zentrale Figur: Er übernahm etwa die Verantwortung für die umstrittene Zwangsabgabe auf zyprische Konten. Wer ist dieser Mann, der mehr aus Zufall in dieses Amt katapultiert wurde?

Autoreninfo

Rob Savelberg ist Deutschland-Korrespondent für De Telegraaf, die auflagenstärkste Zeitung der Niederlande. Er lebt seit 1998 in Berlin.

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Seine erste Bewährungsprobe nach seiner Ernennung zum neuen Mr. Euro Ende Januar musste er nicht auf Zypern, in Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland bestehen, sondern direkt vor der eigenen Haustür. Um ein Beben des weiterhin fragilen niederländischen Finanzsektors zu verhindern, entschied sich Jeroen Dijsselbloem in seiner Funktion als niederländischer Finanzminister, die SNS-Bank zu verstaatlichen. Fast vier Milliarden Euro an Steuergeldern musste er dafür in die Hand nehmen. Von den vier großen Geldhäusern in Holland sind damit drei ganz oder teilweise in Händen des Staates.

Das Wiederaufflackern der Bankenkrise zu Hause könnte für Dijsselbloem auch in seinem Amt als neuer Vorsitzender des einflussreichen Ecofin-Rats, der Gruppe der Eurofinanzminister, zum Problem werden. Haftet dem gelernten Agrar­ökonomen ohnehin schon der Ruf an, ein Verlegenheitskandidat zu sein, wird sich sein Stand bei den Kollegen nicht verbessern, sollten die Niederlande infolge der Bankenrettung und einer anhaltenden Rezession die Drei-Prozent-Hürde bei der Neuverschuldung reißen. Er wird seinen europäischen Kollegen nun mit noch viel mehr diplomatischem Geschick begegnen müssen. Dabei hat Dijsselbloem bisher kaum Erfahrungen im Umgang mit den Spitzenpolitikern in der EU gesammelt, wurde er doch erst vor drei Monaten als Finanzminister vereidigt.

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Der Sozialdemokrat aus der Partij van de Arbeid (PvdA) tritt in Brüssel in die großen Fußstapfen des amtsmüden Jean-Claude Juncker. Größer könnten die Unterschiede zum bisher einzigen Chef der Eurogruppe kaum sein. Gilt der luxemburgische Ministerpräsident, der gleichzeitig Finanzminister des Landes ist, als extrovertierter, charismatischer und äußerst erfahrener, gut vernetzter Fuchs im Brüsseler Gehege, ist Dijsselbloem eher ruhig, immer etwas ernst und ein absoluter Neuling auf dem europäischen Parkett. Ein großer Nachteil für Dijsselbloem besteht darin, dass er anders als Juncker nur auf Einladung an den Sitzungen des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs teilnehmen kann, wo die wirklich relevanten Entscheidungen getroffen werden.

Die Wahl Dijsselbloems ist ein Experiment. Seine Kompetenz wird der hoch gewachsene Holländer mit den gegelten Locken erst noch unter Beweis stellen müssen, will er nicht so wirken wie die eher farblosen hauptamtlichen Eurokraten José Manuel Barroso an der Spitze der Kommission, Ratspräsident Herman Van Rompuy und die Außenbeauftragte Catherine Ashton. Sie gelangten alle in ihre Ämter, weil man ihnen kein eigenständiges Profil zutraute.

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Seine Blitzkarriere in Den Haag verdankt Dijsselbloem, vorher bildungs- und jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion im niederländischen Parlament, seinem Parteifreund Diederik Samsom. Der PvdA-Spitzenkandidat wollte nach dem überraschenden Wahlerfolg im September nicht als Minister in der großen Koalition unter dem liberalkonservativen Premier Mark Rutte dienen und blieb stattdessen als Fraktionschef im Parlament. Samsom, der die Wahl nur knapp gegen Rutte verloren hatte, ließ Dijsselbloem die Koalitionsverhandlungen führen. Dieser brachte sie schnell zu einem erfolgreichen Ende und erhielt dafür den Ministerposten.

Mit Samsom, einem ehemaligen Greenpeace-Aktivisten und Atomphysiker, verbindet Dijsselbloem nicht nur der gemeinsame technische Hintergrund und die linken Ideale, sondern auch die Mitgliedschaft bei den „roten Ingenieuren“, einem Kreis junger Akademiker, der sich vorgenommen hatte, die PvdA zu modernisieren. Dabei kommt er nach eigenen Angaben gar nicht aus einer „roten Familie“. „Bei uns wurde alles gewählt außer den Sozialdemokraten“, haben auch seine Eltern, beide Lehrer, in einem Interview zu Protokoll gegeben. Ihr jüngster Sohn wurde in Eindhoven geboren, einer Stadt, die vor allem als Standort des Elektronikkonzerns Philips bekannt geworden ist.

Dijsselbloem ist eine gute Mischung zwischen Calvinist und Kaufmann und verkörpert so vorbildlich die zwei niederländischen Stereotypen. Es bleibt aber die Frage, ob es dem Hobby-Salsatänzer gelingt, zwischen dem verarmten Süden und dem reichen Norden Europas zu vermitteln. Die Spanier blieben bis zuletzt skeptisch gegenüber dem Kandidaten, die Franzosen forderten vorab Bekenntnisse zur Wachstumsförderung und Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Die Deutschen dagegen sorgen sich, dass Dijsselbloem bei der Budgetdisziplin nicht streng genug sein wird. In der Heimat überwiegt dagegen der Stolz, dass nach Wim Duisenberg, dem ersten Chef der Europäischen Zentralbank, endlich wieder ein Niederländer eine wichtige Position in der EU bekleidet.

Entscheidend wird Dijsselbloems Beziehung zu Berlin sein. Er spricht relativ gut Deutsch und war vor wenigen Wochen schon zu Besuch in der deutschen Hauptstadt – ohne Pressetermine. Er wollte partout keinen Fehler machen und gibt sich seit seiner Ernennung zum Eurogruppen-Chef ohnehin recht wortkarg. Diskretion ist wichtig in seinem neuen Amt. Daher hat der zweifache Vater auch seine Twitter- und Facebook-Accounts deaktiviert. Über die notwendige Selbstironie verfügt er aber auch. Bei seiner Vorstellung in Brüssel lautete sein erster Satz: „Vielleicht ist es gut, wenn ich erst mal etwas sage. Sie haben mich ja noch nie reden hören.“

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