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Tim Wegner

Headhunter - „Es gibt hier keine geeigneten Frauen für CEO-Jobs“

Die Headhunter Christina Virzí und Heiner Thorborg über Führungsstile in Konzernen, versteckten Machismo und mangelndes weibliches Selbstvertrauen

Autoreninfo

Bergmann, Lena

So erreichen Sie Lena Bergmann:

Herr Thorborg, was macht Ihre Kollegin Christina Virzí zu einer guten Headhunterin?
Heiner Thorborg: Ein guter Headhunter muss im Grunde seines Herzens Verkäufer sein. Wir suchen im Auftrag der Unternehmen die passenden Menschen für Führungspositionen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir die Kandidaten und das Unternehmen davon überzeugen, dass sie füreinander bestimmt sind. Und das kann Christina Virzí mindestens so gut wie ich.

Frau Virzí, Sie sind auf die Vermittlung von Frauen in Toppositionen spezialisiert. Ist es da für Sie nicht problematisch, dass Sie mit Heiner Thorborg einen Mann vor der Nase sitzen haben?
Christina Virzí: Das empfinde ich nicht so. Ich habe schon nach unserem ersten Gespräch gewusst, dass er mir ein Angebot machen wird. Bei ihm hat es einen Monat länger gedauert, aber dann hat er mir einen Job bei sich angeboten. Ich fand es spannend, dass er das Thema Frauen in Spitzenpositionen schon vor sieben Jahren gepusht hat, als es für viele noch gar keine Rolle gespielt hat.
Thorborg: Es gibt zwischen uns höchstens eine Erfahrungshierarchie, da ich jetzt 35 Jahre in diesem Geschäft bin. Wir profitieren beide von der Zusammenarbeit. Geplant hatte ich das so nie. Ich wollte eigentlich irgendwann den Schlüssel umdrehen und sagen: Das war es.

Sie haben bereits 2007 das Netzwerk „Generation CEO“ für weibliche Manager ins Leben gerufen.
Thorborg: Es gab damals kaum Frauen in Führungspositionen deutscher Unternehmen, weder in den Aufsichtsräten noch in den Vorständen. Durch Gespräche mit Topmanagerinnen im Ausland ist die Idee für „Generation CEO“ entstanden. Inzwischen sitzen viele der 140 Frauen in Aufsichts- und Beiräten und einige machen Superkarrieren. Jedes Jahr werden 20 neue Frauen in das Netzwerk aufgenommen.

War es die logische Konsequenz, dann mit Female Factor auch eine auf Frauen spezialisierte Personalberatung zu gründen?
Thorborg: Ich habe schon früher in meinem Berufsleben die Frauen vermisst. Ich dachte immer: Es kann doch nicht sein, dass ich von morgens bis abends nur Männer interviewe! In den neunziger Jahren gehörte die Deutsche Bahn zu meinen Kunden. Ich habe denen viele Führungskräfte vermittelt, 10 Prozent davon waren Frauen. Der damalige Vorstandsvorsitzende Heinz Dürr hat immer gesagt: „Super! Hast du noch mehr?“ Er hat sich dem stillschweigenden Einverständnis zwischen Unternehmen und Personalberatern verweigert, das damals lautete: Es gibt ohnehin keine Frauen, also suchen wir auch nicht nach ihnen.

Hat sich das inzwischen geändert?
Thorborg: Die Kunden erwarten von Headhuntern, dass auch Kandidatinnen auf der Shortlist stehen. Bei vielen Unternehmen bleibt es aber immer noch beim Lippenbekenntnis. Wir arbeiten lieber mit den Unternehmen zusammen, die wirklich Frauen wollen. Da heißt es dann: „Suchen Sie nach einer qualifizierten Frau. Wenn Sie eine finden, sind wir Ihnen unendlich dankbar, damit sich endlich etwas bewegt.“

Warum sind trotzdem von 17 Frauen, die in den vergangenen drei Jahren Vorstandsjobs in Dax-Unternehmen bekleideten, acht ihren Job schon wieder los?
Thorborg: Diese Entwicklung hat dem ganzen Thema geschadet. Plötzlich ging es nur noch darum: Wer hat die meisten Frauen im Vorstand? Es war wie bei kleinen Jungs im Sandkasten – und wir sprechen hier von Dax-Unternehmen! Und dann kamen die mit Frauen an, die teilweise überhaupt nicht für diese Positionen qualifiziert waren. Wenn das Männer gewesen wären, hätte man mit denen gar nicht erst geredet. Bei den Lebensläufen.
Virzí: Wir befinden uns allerdings auch in einer Übergangszeit. Die Männer, die über die Vergabe der Spitzenjobs entscheiden, haben meist noch nie mit einer Frau auf Augenhöhe gearbeitet. Sie haben mit Frauen nur in anderen Rollen zu tun gehabt, als Söhne, Ehemänner oder vielleicht als Väter. Diesen Männern fällt es enorm schwer, ehrlich zu überlegen: Was kann die Kandidatin denn eigentlich? Was hat sie bisher gemacht? Welche beruflichen Herausforderungen hat sie gemeistert? Eigentlich denken sie nur: Wie schafft sie das mit den Kindern?

Was ist denn für Sie der größte Unterschied, wenn Sie eine Frau oder einen Mann interviewen?
Virzí: Ich habe oft Frauen vor mir sitzen, die am Anfang sagen: „Ich möchte nach ganz oben.“ Doch es braucht nur zwei, drei Fragen von mir, und die Frau gesteht sich plötzlich ein, dass sie es eigentlich doch nicht will. Das gibt es bei Männern selten. Einer der größten Unterschiede bei der Arbeit mit Frauen und Männern ist die Zeit, die man für Gespräche braucht. Bei mir dauert ein Erstgespräch mit einer Frau bis zu zwei Stunden. Bei Männern maximal eine Stunde, sie kommen schneller zur Sache. Es müssen weniger emotionale Faktoren abgeklopft werden.

Woran liegt das?
Virzí: Frauen berücksichtigen andere Dinge bei ihrer Entscheidung. Wenn ich einer Kandidatin eine Position in China anbiete, überlegt sie, ob sie Ärger mit ihrem pubertierenden Kind bekommt, das aus seinem vertrauten Umfeld gerissen wird. Oder kürzlich sagte eine Kandidatin, sie müsse ihren Mann anrufen, ob er mit umziehen würde. Sie war sofort aus dem Rennen. Männer gehen automatisch davon aus: Meine Frau kommt mit.

Nimmt diese bedingungslose Unterstützung für Männer nicht ab?
Virzí: Ja, aber das führt dann eher zum umgedrehten Modell: Der Mann bleibt zu Hause – wir nennen ihn den Betamann – und die Frau macht Karriere. Dass beide Partner eine Topkarriere machen, das gibt es extrem selten.

Erzählen Sie den Kandidatinnen, dass Sie selbst Mutter sind?
Virzí: Wer in mein Büro kommt, kann es kaum übersehen. Aber es hilft auch, um Vertrauen aufzubauen.

Im Englischen spricht man von der „Confidence Gap“, was so viel heißt wie „Selbstbewusstseinsgefälle“. Stimmt es, dass Männer sich im Job über- und Frauen sich unterschätzen?
Virzí: Das beobachte ich oft. Häufig bekomme ich von Frauen nebulöse Antworten, kein klares Ja. Oder sie erzählen ihren Werdegang viel zu detailliert, was besonders Männer nervt. Frauen versuchen mit der Beschreibung der Vergangenheit zu beweisen, was sie in der Zukunft leisten können. So entstehen auch ihre Gehaltsvorstellungen.

Was heißt das konkret für die Gehaltsverhandlungen?
Virzí: Frauen haben meistens keine genaue Vorstellung davon, was sie verdienen wollen. „Nicht weniger als das, was ich jetzt verdiene“, sagen Frauen oft, weil sie denken: „Ich muss doch erst einmal zeigen, was ich kann.“ Sie lassen sich für Geleistetes bezahlen, Männer lassen sich dafür bezahlen, was sie dem Unternehmen in Zukunft an Mehrwert bringen.

Müssen Frauen fordernder auftreten?
Thorborg: Wenn eine Frau im Gespräch mit Männern typisch männliches Verhalten an den Tag legt, zum Beispiel harte, kompetente Fragen stellt, kann das aber auch nach hinten losgehen. Dann fragen die Männer danach oft: „Was war denn das für eine? Da kann ich ja gleich einen Mann einstellen.“ Bei einem Mann hätten sie gedacht: „Guter Typ. Unternehmer. Der weiß, was er will. Mit dem sollten wir arbeiten.“

Also können Frauen es nur falsch machen?
Virzí: Das ist auch immer noch eine kulturelle Frage. Wir müssen Mädchen so erziehen, dass es für sie selbstverständlich ist, auch über Führungspositionen nachzudenken. Die meisten Frauen empfinden Konkurrenz, politische Spielchen und Wettbewerb noch immer als negativ. So darf jemand, der in die Vorstands­etage will, aber nicht denken.

Fördern sich Frauen denn gegenseitig?
Virzí: Die meisten Frauen, die es bisher nach ganz oben geschafft haben, wurden von Männern gefördert. Gegenseitig betätigen sich Frauen bisher nur begrenzt als Türöffner. Sie scheitern in Vorstandsjobs aber auch häufiger daran, dass sie sich auf der Ebene darunter kein loyales Netzwerk aufbauen. Ich würde mich nach 100 Tagen fragen: Wer ist für mich, wer ist gegen mich? Wen tausche ich aus?

Kann es einer Frau zum Verhängnis werden, wenn man sieht, dass sie mal wieder zum Nachsträhnen müsste oder die Maniküre vernachlässigt hat?
Thorborg: Das hängt vom Betrachter ab. Männer sind sehr streng, wenn bei Frauen ein Haar krumm sitzt. Ein Fleck auf der Krawatte eines Mannes stört dagegen niemanden.
Virzí: Frauen müssen sehr gepflegt sein, und sie müssen wissen, wie sie sich anzuziehen haben. Aber sage ich Kandidatinnen dazu etwas? Das ist ein wunder Punkt, weil Frauen da sehr emotional reagieren und sich manchmal zurückziehen.

In den USA haben es schon mehrere Frauen an die Spitze großer Konzerne geschafft wie Anfang des Jahres Mary Barra, die neue Vorstandsvorsitzende bei General Motors. Wann sehen wir die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns?
Thorborg: Es gibt in Deutschland zurzeit keine Frau, die das Potenzial hätte, den Vorstandsvorsitz eines Dax-Konzerns zu übernehmen. Und ich sage Ihnen auch warum: Frauen, die es bis in die Vorstände schaffen, besetzen dort meist die Posten Personal und Recht. Das sind nicht die optimalen Sprungbretter, um später auf dem CEO-Posten zu landen.

Könnte eine Quotenregelung daran etwas ändern?
Thorborg: Nein, eine Quote ändert das Denken nicht. Das hat man in Norwegen gesehen. Da hat der Gesetzgeber eine Quote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen mit drakonischen Maßnahmen durchgesetzt. Die ist jetzt übererfüllt, aber in den Vorständen sitzen deswegen nicht mehr Frauen.

Was muss dann passieren, damit sich das Klima für Frauen wirklich ändert?
Thorborg: Dafür müssen die CEOs erst mal hart durchgreifen. Frauen müssen sich heute auf ihrem Weg nach oben noch immer so viele blöde Sprüche von Kollegen anhören. Es gibt so viel Mobbing im mittleren und oberen Management gegen Frauen, alles versteckt unter der Decke. Da müssen Sie als Chef auch mal ein Exempel statuieren. Und sagen: Für diesen Spruch bist du gefeuert. Habt ihr das alle gesehen? Wenn es an die eigene Brieftasche geht, sind Männer übrigens auch sehr lernfähig. Daher muss das Thema Frauenförderung in die Zielvereinbarungen mit rein. Es müsste sich jemand in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen: So geht das hier nicht weiter! Doch wer von den Dax-Unternehmen steht wirklich mit geballter Faust dahinter und sagt: Und wenn ihr nicht mitmacht, werdet ihr das spüren? Ich würde sagen, vielleicht ein Drittel.

Gibt es in den Vorstandsetagen wirklich noch so viele Machos?
Virzí: Das sind vor allem Ängste, die sich da äußern. Wenn zwischen neun Männern auf der Ebene unterm Vorstand eine Frau eingestellt wird und alle wissen, dass in fünf Jahren eine Vakanz im Vorstand entsteht und die Frau automatisch in der Pole Position steht, dann empfindet das jeder einzelne Mann als unfair.
Thorborg: Das heißt aber nicht, dass Männer ein Auslaufmodell sind. Es gibt diesen Spruch: „Mit den Lehman Sisters hätten wir uns die Finanzkrise erspart.“ Frauen und Männer führen zwar unterschiedlich, aber das ist trotzdem etwas zu kurz gedacht. Optimal ist es, wenn ein Unternehmen im Management eine gute Mischung von Brothers und Sisters hinbekommt.

Heiner Thorborg ist einer der renommiertesten Headhunter Deutschlands. Wenn Deutschlands Topunternehmen ihre Vorstandsposten neu besetzen müssen, wenden sie sich an das Büro des 69-Jährigen in Frankfurt am Main.

Christina Virzí hat 2012 zusammen mit Thorborg die Personalberatung The Female Factor gegründet. Die 34-Jährige vermittelt Frauen mit einem Jahresgehalt von mehr als 200 000 Euro in Führungspositionen.

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